Lebendkontrolle. Heike Bicher-Seidel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heike Bicher-Seidel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742737861
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interessiert Sie mein Liebesleben?“

      Er sah mir direkt in die Augen und dieses beunruhigende Kribbeln breitete sich wieder in mir aus.

      „Willst du das wirklich wissen, Nina?“ Er beugte sich zu mir rüber und ich wich ein Stück zurück.

      „Nein, ich glaube, ich sollte das lieber nicht wissen.“

      Er schmunzelte, als er sich wieder zurücklehnte.

      „Dann fragen Sie etwas anderes“, forderte er mich auf.

      „Was ist Ihre Lieblingsfarbe?“

      Er lachte.

      „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie die Erste sind, der es zu persönlich wird. Also, ich habe keine Lieblingsfarbe. Ich mag alle Farben, außer Blau.“ Er sah zuerst an seiner blauen Anstaltskleidung hinunter, dann schaute er auf meine blaue Uniform. Ich nickte verständnisvoll.

      „Warum haben Sie ihren Freund verlassen?“, fragte er.

      Ich sah ihn empört an.

      „Ich stelle so eine leichte Frage und Sie kommen mit so einem Hammer?“ Er sah mich unschuldig lächelnd an und ich stöhnte.

      „Also gut. Ich war mit meinem Freund Marc acht Jahre zusammen. Ich wusste immer, dass es ihm schwerfiel, Gefühle zu zeigen, aber als meine Eltern starben und ich ihn gebraucht hätte, war er nicht für mich da und das hab ich nicht akzeptiert.“

      „Es war richtig, zu gehen. Sie verdienen etwas Besseres als diesen Schwachkopf.“

      „Da bin ich mir manchmal nicht so sicher.“

      „Sie sind eine tolle Frau. Lassen Sie sich bloß von niemandem etwas anderes erzählen.“

      Ich sah ihn skeptisch an.

      „Sogar ihr Boss gräbt Sie nach nur drei Wochen schon an.“

      „Das ist kein Date!“

      „Weiß er das auch?“

      Ich zuckte unschuldig mit den Schultern.

      „Biest“, sagte Julian und grinste.

      „Ich bin wieder dran. Womit haben Sie ihr Geld verdient, bevor Sie hier gelandet sind?“

      Julians Blick verdüsterte sich und ich befürchtete schon, er würde nicht antworten, aber dann schien er es sich doch anders zu überlegen.

      „Ich war Architekt.“

      „Angestellt oder selbständig?“

      „Selbständig. Zusammen mit meinem Freund Martin Hoffmann“, sagte er und betonte das Wort Freund auf eine merkwürdige Art.

      „Gibt es Ihre Firma noch?“

      „Martin führt sie weiter.“

      „Und wenn Sie rauskommen?“

      „Weiß ich noch nicht.“

      „Warum arbeiten Sie nicht von hier aus? Sie können zwar an keinen Baubegehungen teilnehmen, aber Sie könnten Entwürfe machen. Wenn Sie wollen, spreche ich mit der Anstaltsleitung, ob Sie sich einen Laptop mit den notwendigen Programmen bringen lassen dürfen. Internet werden sie nicht genehmigen, aber wir finden sicher einen Weg, wie Sie mit ihrem Kompagnon kommunizieren können.“

      „Ich kommuniziere aber nicht mehr mit Martin.“

      „Hat er Sie nie besucht?“

      „Er hat es versucht.“

      „Und Sie wollten ihn nicht sehen?“

      Er schüttelte verneinend den Kopf.

      „Wann hatten Sie den letzten Besuch?“

      Er sah mich nur an, antwortete aber nicht.

      „Haben Sie überhaupt schon mal einen Besuch zugelassen?“

      „Nein.“

      „Julian, warum denn nicht? Kontakte nach draußen sind wichtig. Sie werden doch nicht ewig hier sein.“

      „Darüber denke ich nicht nach.“

      Ich sah ihn fassungslos an, als mir ein anderer Gedanke kam, der mir bei keinem anderen Häftling realistisch erschienen wäre.

      „Sie haben die Hälfte ihrer Strafe jetzt abgesessen, nicht wahr?“

      „Ja.“

      „Haben Sie schon einen Antrag auf Gewährung einer Halbstrafe gestellt?“

      „Nein, wozu?“

      Ich hob ungläubig die Hände.

      „Sie könnten auf Bewährung entlassen werden! Sie könnten hier raus, Ihr Leben weiterführen, Jessie zurückgewinnen.“

      Er zuckte unter meinen Worten zusammen.

      „Warum, zum Teufel, wollen Sie nicht hier raus? Und jetzt kommen Sie mir nicht wieder damit, dass Sie das nicht verdienen.“

      Er sah mich schweigend an.

      „Los! Reden Sie mit mir“, forderte ich.

      „Ich darf ja nicht sagen, dass ich keine Entlassung verdiene.“

      Frustriert rieb ich meine Stirn.

      „Wir sollten noch ein paar Bücher erfassen, sonst werden wir nie fertig“, sagte er und griff nach einem Buch.

      „Kommt gar nicht in Frage. Sie versprechen mir jetzt sofort, dass Sie morgen Kontakt mit ihrem Anwalt aufnehmen und den Antrag auf Halbstrafe stellen!“ Ich legte meine Hand auf das Buch, damit er den Titel nicht lesen konnte.

      „Sie können mich hier zu fast allem zwingen, aber dazu nicht.“

      „Julian, bitte!“

      „Warum ist Ihnen das so wichtig?“, fuhr er mich an. Ich zog meinen Stuhl näher zu ihm und sah ihn eindringlich an.

      „Weil ich Sie mag, verdammt! Sie müssen vielleicht gar nicht mehr hier sein und ich sehe doch, wie sehr Sie unter der Haft leiden. Meinen Sie, ich merke nicht, wie Sie jedes Mal zusammenzucken, wenn jemand eine Tür abschließt? Klaustrophobie, stimmt’s? Aber Sie sind natürlich viel zu stur, um jemandem davon zu erzählen.“

      „Warum stellen Sie Fragen, wenn Sie alle Antworten schon kennen?“

      „Ich will, dass Sie mir sagen, ob ich damit recht habe.“

      Er sah mich wütend an und stand auf. Mit beiden Händen fuhr er durch seine Haare und starrte die Wand an. Als er sich wieder umdrehte, brannten zurückgehaltene Tränen in seinen Augen.

      „Ja, verdammt noch mal. Natürlich haben Sie recht. Jetzt zufrieden?“

      Ich ging zu ihm, wollte ihn umarmen, ihn trösten, so wie gestern Abend, aber er hob abwehrend die Hände.

      „Nicht, das ertrage ich jetzt nicht.“

      „Warum nicht? Weil du meinst, du verdienst nicht, dass jemand nett zu dir ist?“

      Er sah mich verbittert an und ich wusste, ich hatte genau ins Schwarze getroffen.

      „Julian, du bist der netteste Mensch, den ich seit Langem kennengelernt habe. Du verdienst es, glücklich zu sein, so wie jeder andere auch.“ Ich machte einen weiteren Schritt auf ihn zu und er stieß mit dem Rücken gegen das Regal.

      „Wehr dich nicht dagegen, dich auch mal gut zu fühlen.“ Ich öffnete einladend die Arme und wartete ab. Gequält sah er mich an, gab dann aber doch nach und schloss seine Arme um mich. Ich fühlte, wie er zitternd einatmete und es dauerte eine ganze Weile, bis die Spannung in ihm nachließ.

      „Du bist verrückt. Warum tust du das?“, flüsterte er.

      „Weil du mir wichtig bist.“ Er lehnte sich zurück, um mich anzusehen. Dann strich er eine Haarsträhne zurück, die sich aus dem Pferdeschwanz gelöst hatte und sein Blick