Das gottgelobte Herz. Erwin Guido Kolbenheyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erwin Guido Kolbenheyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748521006
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man nicht sehen, sonst platzt es einem aus.

      „Globt seis Jeses Christ, hochgelahrt domine magister Reinwarde“, klingt es unter der Kapuze hervor. In dem hageren Greisengesicht zucken die Mundfalten. Der Magister blitzt sie aus den dunklen Augen an und zeigt auf den Holzhaufen, der neben dem Ofen liegt.

      „Nunc et semper et in saecula saeculorum“, antwortet er.

      Sie darf die Scheite zu dem anderen Holz legen, sie tut es vorsichtig und leise. Dann schlüpft sie zu ihrem Schemel, der dicht bei dem Magisterthron steht. Sie schält sich aus, zündet ihre Kerze beim Nachbarn an und hockt nun unter dem Haufen der Donatisten, der Fortgeschrittenen. Es sind ihrer ganze sechs. Die anderen, die Tabulisten, kämpfen noch in den Niederungen der Wissenschaft auf ihren Tafeln mit Griffel und Wort.

      Im Augenblicke wohl scheint die Ordnung umgestoßen. Die Donatisten haben die Wachstafeln auf den Knien und schreiben ab, was auf den Wandbrettern neben dem Katheder kunstvoll von der Hand des Magisters gemalt steht. Die Tabulisten sind unmittelbar unter die Fuchtel geraten.

      Alle Kerzlein brennen, etliche werden in der linken Hand gehalten, andere sind auf die Bank gepflanzt. Margarete hält das ihre und kritzelt mühsam die angeschriebene Sentenz auf die Tafel, die auf den fest aneinander gepreßten Knien liegt.

      Der Magister ruft: „Domine – o Herre“, und zückt die Gerte gegen den grünen Haufen.

      Der fällt mit hellen Stimmen ein: „Domine, o Herre!“

      „Exaudi – hör an.“

      „Exaudi – hör an.“

      „Orationem meam – die Bitt min.“

      Dann folgt ein ganzer Satz: „Et clamor meus ad te veniat – als ouch min Gschrei sull dringen für dich!“

      Da quirlen die Stimmen durcheinander. Der Magister schlägt auf den Katheder, zunächst einmal Takt in den Strudel zu bringen. Nach langem Aufwand klärt es sich, und der Schwall gewinnt sein Maß. „Et clamor meus ad te veniat, als ouch min Gschrei sull dringen für dich.“ Noch ein dutzendmal, dann steht die Sache soweit. Aber sie steht nur im Chor, sie muß an den Mann und wird verfänglich.

      Die Gerte fährt aus: „Der Mengenwart!“

      Ulrich, der Mengenwart, dehnt sich auf und geht mit seinem Lichtlein in die Reichweite.

      „O Herre“, fällt es zu ihm nieder.

      „Domi … domi … dominus … o dominus“ , stammelt es auf.

      „O … o!“

      Die Kerze fackelt, der Ulrich blinzelt und ruft laut: „O“, befangener setzt er „Dominus“ hinzu.

      „Was bedüt’ O?“

      „O bedüt’ … der fufzehent Buochstab.“

      „O asinee, meh dann fufzehn Esel! Asinissime! Was bedüt’ O?“

      Der Magister blitzt über die Tabulisten hin, und keiner weiß, was O bedeutet. Es wird still, auch die Donatisten lauern, es könnte eine Seitenfrage geben.

      „Din Huof!“

      Ulrich, der Mengenwart, hält seine Linke hin, ober der rechten weht das Lichtzünglein und tropft Angst. Der Hieb sitzt, er war von der milderen Sorte, ein Gedächtnis zu erfrischen.

      „O bedüt’ den Anruof, den Zuruof, du ghürnter Rammei.“

      „O bedüt’ den Anruof, den Zuruof“, stößt es aus dem Ulrich durch, und er atmet auf.

      „Und der Anruof machet us dem Dominus ein’ – ?“

      „O domine", entfährt es licht.

      Der Magister nickt, er schwingt über alle aus: „Insgemein! Was bedüt’ O?“

      „Den Anruof, den Zuruof“, schreien alle.

      „Was machet der Anruof us deme Dominus? Insgemein!“

      „Domine“, schallt das Refectorium.

      Margarete ist sehr befriedigt, der Mengenwart ist gut davon gekommen. Sie hat inzwischen ihrer Tafel die Sentenz einverleibt. Die Donatisten stehen die Köpfe zusammen und beraten darüber.

       Ubi plures sunt opes, plures sunt cosumunt eas.

      Im Rat der Donatisten hört man Margaretes Stimme willig. Aber sie werden nicht klug, denn „sunt“ und „consumunt“ sind zwei Tätigkeiten auf einmal und in einem Satz, und daß kein Wort zuviel sei, das wissen alle.

      Von den Tabulisten ist der Rüssel-Peter vorgelangt, und das Spiel der Fragen und Antworten hat merklich an Laut gewonnen. Die Donatisten fahren zusammen, denn der Magister verläßt den Katheder und hat auch schon mit einem Griff die Hosen des Rüssel-Peter gepackt und gespannt. Kein Trommler paukt hurtiger und sicherer. Der Rüssel-Peter ist rot, aber er schreit nicht. Margarete preßt ihre um den Griffel geballte Hand auf das Knie. Wenn er nur schon! Alles kann sie sehen, auch Blut, nur soll sich keiner verhalten. Es steigt ihr in den Hals, als müsse sie für den Rüssel-Peter schreien. Die anderen wissen das: Ihr Gesicht nimmt einen Ausdruck an, vor dem die anderen stumm werden, neugierig und befangen zugleich. Manche schauen nur auf sie und nicht dorthin, wo die Zucht geübt wird, wohin sie des Beispiels halber eigentlich sehen müßten.

      Es fällt ihr wie ein Nebel vor die Augen, wenn sie zu lange auf den Schmerzensschrei warten muß. Und der Rüssel-Peter ist so einer. Der wird nur rot und gibt keinen Laut. Das macht auch den Magister wild. Sie sieht den Magister vor ihren offenen Augen nicht mehr. Es ist der fahrend Schüler, der Wendlein, der hat eine Zeitlang an des alten Reinwards Statt Schule gehalten. Da hat sie auch zum erstenmal in der Schule Blut gesehen. Der Wendlein hat sie alle das Veni Creator singen heißen, daß man draußen das Wehgeschrei nicht vernehme. Es ist Konz, der Grüß, gebunden auf der Bank gelegen, und der Wendlein war mit seiner Gerte über ihm …

      Da hört sie den Rüssel-Peter. Seine Seele ist entbunden, gelobt sei der Heiland! Ihre Tränen tropfen auf die Wachstafel und funkeln im Kerzenschein wie Sternscheibchen über die Sentenz hingestreut. Der Peter geht heulend in den Winkel: „ad … te … verdat … ad te verdat …“

      Magister Reinwardus besteigt nach hochgeübter Zucht den Lehrstuhl, er sagt, noch ein wenig benommen:

      „Derselb do! Alls verhärt’ in dem unde verstocket ganz!“ Seine Stimme wird wieder voll und gemessen: „Dannocht so ist deme von Gott geben ein’ Zucht us sins Meisters Hand, die sull er empfahen ungeschmächt!“ Er sieht, daß die Wangen der Ebnerin naß sind. „Jedannocht so ihr nit mügent das Wort nießen der Weishet us minem Mund“, das ist ganz deutlich auf sie hingesagt, „als ganget in die Schuol ze Werde. Do habent sie uf z’letzt ein Schuolmeister bstellt, der wird üch lernen brun und blou, daß ihrs an ürem Leib zu Hus tragent, nützlich unde kräftiglichen!“

      Sie wissen, was diese Drohung bedeutet. Der Alte war bis vor kurzem der Einzige gewesen, und nun ist eine Schule von der Stadt aufgetan worden. Keiner möchte dorthin, von dorther wußte man andere Dinge.

       Donatistae, jetzo ze üch. Was for ein Sentenz habet ihr in üer Täfelin ingraben“, fragt er und fügt beiseits hinzu: „Tabulistae, ihr sullt schriben, was ihr behalten hänt.“

      Er wartet. Es regt sich keine Hand.

      „Daß ihr wisset“, meint er ermunternd, „dies ist ein Spruoch und us des Salomonis Weishet. Ist üch nit ingangen? Ebnerin?“

      „Sunt und consumunt sänt zween“, haucht es zu ihm auf, „und wir nit wissen, wohin“.

      Die Donatisten sind zufrieden, daß es die Ebnerin war. Die bringt die längste Kerze mit und wirft dann den größten Stumpf in das Körbchen, das dem Magister gehört, wenn der Tag durch die hohen Fenster herein alle Kerzen blendet. Die Ebnerin bringt auch immer zwei Scheite und oft einen eidienen, der lang nachhält