Das gottgelobte Herz. Erwin Guido Kolbenheyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erwin Guido Kolbenheyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748521006
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      Da hob eine Ritterschaft Lanze und Schild, und sie schlugen Wehr und Waffen über den Köpfen zusammen, das Volk folgte, wenn auch zögernd und in den ferneren Reihen nicht ohne Gemurmel. Der König aber hatte das Zeichen gegeben, denn das Geläut begann vom Pfarrturm aus und wurde von den Klöstern aufgenommen. Der Herold mußte seine Stimme aufs äußerste erheben:

      „Mein reisigs Volk allegemeine, euch seie aber ze wissende: Das obrist Guet dieser Stadt Werde leit nicht in diesen Muren, so ihr es suechet, es leit ußenthalb für dem Tor, das ist Kreuztor genannt oder das Rot’. Dasselb Guet sullt ihr empfahen uf diese Stund und ist uf Erdenrich kein höcher Gwalt des Guets ninder nicht. Davor will ich ze dieser Stund dies Zepter in Demuet neigen unde fallin uf die Knie, dann es ist das Kreuz, das heilig Kreuz Gottes des Sohns, davon ist in diesem Kloster ein merklichs Partikul. Und es soll obir uns und euch obirscheinen mit der großen Macht und Stärken, so das Kreuz obir euch hingoht, als ganget der Herr Christ obir euch. Wir habent euch entboten uf diese gemeine Freiung, do sullt ihr des Guets sein teilhaftig und aller Sünd frei, die euch hät geminderet an Leib und Seel. Höret das Gläut, es wird euch die göttlich Gewalt obirkommen.“

      Der König hatte sich erhoben, und der Helm wurde ihm abgenommen. Er stand seitlich gewendet und sah gegen die Pfleggasse. Der Gesang war unter den Glocken vernehmlich geworden. Und sie kamen im Ornat mit Silbersdiellen, Lichtstangen, Weihrauch und allen Reliquien, zuvorderst aber – von Konrad, dem Abt, an einer Kette um den Hals getragen und hoch vor das geneigte Gesicht gehoben – das Kleinod aus Byzanz, die heiligen Partikel. Vor dem Abte zogen dieTogaten im Ordenskleide, sie sangen das Kreuzlied der Passionshoren:

       Crux ave benedicta!

       Per te mors est devicta,

       In te pependit Deus,

       Rex et Salvator meus.

       O arborum Regina,

       Salutis medicina,

       Pressorum es levamen Et tristium solamen.

       Dum Crucis inimicos Vocabis et amicos,

       O Jesu, Fili Dei,

       Sis, oro, memor mei.

      Und mancher Bürger hörte nicht nur den fremden, feierlichen Laut aus einer anderen Welt. Er vernahm es in seinem Herzen nach deutscher Zunge:

      O heiligs Kruiz, gegrueßet si,

      Von dir seind allen Tods wir fri,

      An dich muoßt Gott gehangen sin,

      Der Heiland und der Künig min.

      Vor allen Böumen königlich Bringst du die heilend Frucht für mich,

      Ein Freiung nach der Kettenlast,

      Nach Elendfahrt ein milde Rast.

      Des heiligen Marterholzes Pein

      Ruoft Fründ- und Feindschaft in die Gmein,

      Als ruof ouch mich, us Gottes Schoß Herr Jesus, und der Sünd mich los’.

      Uber sie alle ging sie hin, die Sprache des himmlischen Heeres, machtvoll und voll Geheimnis.

      Der König Albrecht lag auf den Knien, sein Volk mit ihm. Hinter den Fenstern der Häuser knieten die Frauen, Greise und Kinder.

      Abt Konrad trat zum Gerüst und reichte der Majestät die Kreuzpartikel zum Kusse. Dabei jauchzten die Silberschellen, und die Weihrauchfässer schwangen weiße duftende Wolken aus, hell tönten die Stimmen der Togaten in den Glockenschwall.

      Und wie der Abt sich abwärts wandte, um durch das kniende Kriegsvolk hindurchzuschreiten, daß jeder der Nähe des Heiltums teilhaftig sei, erinnerte sich ein jeder des hellen Klanges der Königsstimme, die ihnen vor dem Sturm verheißen hatte:

      „In dieser Stadt leit des Siegs ein Zeichen und ist obir alle Widersacher ufgericht’ in Zeit und Ewigkeit. Dann der Herr Christ hat den Teufil zerworfen und den Frieden vollbracht an dem heiligen Guet, das in der Stadt leit.“

      Kein Mann unter dem Glockenklang und Schellengang und unter dem duftenden Gewölk, der es gewagt hätte, dem großen Heiltum Gottes mit frechem Blick zu begegnen. Sie bekreuzten sich und fühlten bei sich, was an ihnen geschah.

      Heinrich, der Ebner, kniete unter den Ratsverwandten und er dankte, daß sein Haus bewahrt bleibe, und betete für das Kind, das der hitzige Ritt überkommen hatte.

      „Heilig Kruiz, gnade üns allsamt: dem Büeble, miner Husfrou, dem Gretle! Heilig Kruiz, erbarm dich ober üns!“

      2

      Margret steht unter dem spitzen Torbogen und zieht den Gugelrand tiefer ins Gesicht, sie hat zwei Finger dafür, die anderen müssen die Laterne halten. Es weht ihr die Schneegraupen gegen die Augen. Gugel und Kragenmantel sind mit weichem Lammsfell gefüttert. Nur den einen Arm kann sie aus dem Schlitz nehmen, ihr linker ist voll beladen: zwei große Holzscheite, die Tafel, eine Kerze. Die Scheite verhängen sich in der Wolle, das flaumige Futterhaar gibt ihnen mit tausend feinen Fängen Halt.

      Sie sieht über den Markt hinüber, winkt mit der Laterne, wartet ein wenig. Dann springt sie die Stufen hinunter, der Schmutz spritzt noch. Sie winkt, aber die Schulbuben drüben bleiben nicht stehen, die warten nicht auf ein Mädchen. Der Hertlin muß es sein mit dem Rüssel-Peter, sie kennt den Pfiff. Auf den sie gepfiffen haben, der steht mit seinem Lichtlein schon oben am Markt. Pfeifen kann sie nicht, und könnte sie, so wollte sie nicht. Buben – wenn auch der Hertlin, der junge Barwich, ihr Vetterle ist. Sie steigt von Stein zu Stein, erst an der Kirchhofmauer wird der Boden fest. Die drei sind schon hinter der Mauer. Der Obermarkt ist leer, unten aber gegen das Rathaus zu geht das Leben auf. Schaukelnde Lichter blinken und verschwinden, man hört das reisige Zeug, etliche Wagen queren den Platz: Salzfuhren. Die kommen vom Stadel und wollen durch die Bäckengaß zum Obertor. In den Häusern leuchtet da und dort ein Fenster, oder es glüht durch die Ladenritzen. Das macht den Morgen so heimlich.

      Der schmale Steig zwischen der Kirchhofmauer und der drübigen Zeile ist hochgeschottert, da braucht sie nicht mehr auf die Schuhe zu achten. Über den Kieseln bleibt der Schnee. Nicht viel, aber doch Schnee.

      Der Hertlin und die anderen beiden laufen schon durchs Tor. Das Katzenpförtl geht. Margarete winkt, jetzt wird sie gesehen, denn der Keichend-Märtel will nicht alle Augenblicke von seinem Gluttopf in den Zug, und es saust und stöbert durch das Katzenpförtl, und sie läuft, den Alten nicht warten zu lassen. Sie weiß von ihm mehr, als er ahnt.

      Er hat lange auf den Straßen gelegen. Für einen Topf Hafermus und einen Weck hat er dem Pförtner das ungute Frühgeschäft abgenommen. Er schläft auch im Torturm, wird oft, was ihn irr macht vor Zorn, unnütz herausgetrommelt. Aber kommt das Kloster in die Mauern, das hat der Vater gesagt, dann hat er sein Hafermus und den Unterschlupf verloren und kann sich nicht mehr über dem Speiwerk entladen, das man seinem Amt antut. Sie sagen, sein Kopf läuft in der Jähe auf, und er kriegt das Zittern, er schnappt nach Luft, als müsse er an dem ersticken, was er Galle in sich geschlagen hat, und dann bricht es aus: Schwur und Flüche. Gottslästerlich soll es sein. Mancher ist vor ihm gestanden, der ihn am kecksten getratzt hat, und hat sich nicht mehr rühren können, vom Fluch gebannt. Der Keichend-Märtel hat seine Schwür schon mit drei Fingern büßen müssen. Am Ohrenstock sind ihm die Finger abgehackt worden. Doch Margarete kennt sein künftiges Schicksal. Sie grüßt ihn fromm, trotz seiner Gottslästerlichkeit. Er brummt sie nicht freundlicher an als die Buben, die ihn zecken, um seine Flüche zu hören, wenn er nicht gerade die Schlüsselgewalt führt. Gott wahr dem Keichend-Märtel seine Zung!

      Dann sind nur noch wenige Schritte hinüber ins Refectorium.

      Sie sitzen auf den Schemeln und den Bänken um den breiten Ofenbau, der aus hundert hohlen, braun-glasierten Kachelaugen in den dämmrigen Raum glotzt. Der Magister Reinward lehnt steif im Katheder.

      Der Gugelmantel des Margretlein, von den Holzscheiten aufgespreizt, trippelt befangen hinzu.