Endlich kommt selbst der längste Sinn Salomonis an seinen Ort. Er hat auf dem Wege nicht allzuviel Zucht abgesetzt, auch sind schon über dem Rüssel-Peter die morgendlichen Kräfte des Magisters nahe an den Rand gebracht worden.
„Nu merkent ihr wohl, was Weishet es bedüt’. Das wellent wir in ein’ Reim satzen.“
Der Magister Reinward erhebt sich, und die gelehrten Donatisten mit ihm. Es muß feierlich genommen werden, was der Alte in einem Reim bringt. Sie wissen, daß nach Jahren noch ihre älteren Brüder und auch ihre Eltern abgefragt werden, wenn es eine fröhliche Gelegenheit ergibt. Er schlägt den Takt:
„Salomo besaget in dieser Sentenz:
Wer groß Guot bsitzet, derselb Mann Muoß als ouch manich Zehrer han.“
Das schallt aus allen viele Male, die Tabulisten müssen mit. Hoch steht die Weisheit Salomonis bis an die Decke des Refectoriums, unter der noch ein Rüchlein der ausgekniffenen Lichtstümpfe schwebt.
Um die Weihe nicht zu kränken, die Gottes Allmacht aus der Weisheit Salomonis in die Herzen einer aufgehenden Weltlust senken möge, läßt der Magister den Unterricht für eine Weile ruhen, nicht aber die Zucht. Sein Blick geht von einem zum anderen und steht gleichwohl über allen wie das böse Gewissen. Sie dürfen nur flüstern. Zuletzt trifft der Blich den in der Ecke.
„Kumm, sündhaftig, verstocket Kreatur!“
Der Rüssel-Peter weiß, daß er nichts mehr zu fürchten hat, er setzt aber seine Füße einwärts einen vor den anderen und dreht seine hangenden Hände nach außen, als müßten sie bereit sein, nach hinten zu fahren und aufzufangen; er fängt auch mit den Lippen zu zucken und zu spielen an, als müsse der Jammer seiner gemarterten Seele ausbrechen. Der alte Reinward ist damit zufrieden. Treib allerweg dein Gugelwerk, Büeble, bist du nicht weich im Herzen, so gib dich und lern aus einer Gebärden der Demut. Es ist schon manches Bäumlein an einem hölzernen Pfahl strack aufgewachsen. Nur wenig, die in Gnade stehen, können aus sich selber werden, die anderen treiben den Gebärden nach. Stell schrittweis einen Fuß vor den anderen und einwärts in Züchten, Büeble!
Der Rüssel-Peter blinzelt hie und da auf und hat das Gefühl, daß der Alte, ohne ein Wort zu sagen, mit ihm spricht. Er weiß gut: der hat ihn am gestrigen Tag raufen sehen, am Kirchhof, über den Gräbern dazu. Jetzt weiß er es, gestern hat er gehofft, daß der Alte doch nicht hingesehen habe. Er steht vor dem Katheder, und der Magister läßt seinen ruhigen Blich an ihm auf und nieder gehen, als sei er aller Ecken und Enden voll Dreck. Gestern ist ers gewesen. Da verzieht der Magister seinen Mund ein wenig, und der Brust des Rüssel-Peter entringt sich ein tiefer Seufzer. Der Alte zuckt mit dem Zeigefinger gegen den Platz hin, ein wenig nur, und der Rüssel-Peter springt davon. Die anderen haben aufgehört zu flüstern, nun schwillt das Geschwüre wieder an.
Die Schule nimmt ihren Fortgang. Die Donatisten mit den ersten Ansätzen des Abwandeins und Biegens, und später die Tabulisten, nur mehr im Paternoster und Credo erprobt. Aber endlich schlägt der Türmer eins in den Tag, und alle können in die helle Frühe. Mit Schlag drei sind sie auf Sankt Ulrich vor den Kantor bestellt, der ist des Magisters Feind, er führt die Stadtschule, dort dürfen sie schon ein wenig jücken, wo sie der Hafer sticht.
Die Buben stürmen voraus. Margarete hat nur mehr die Tafel mit der Sentenz unter dem Arm. Sie geht wie immer als die letzte fort. Es hat aufgehört zu schneien, und alle Erwartung, daß es hell und weiß auf Weg und Dächern liege, ist unerfüllt. Sie zögert. Vor ihr geht Uta, die Vetterin, und die soll warten. Die Uta hat einen Mantel mit einem Saum, beinahe eine Spanne breit, und der Mantel ist an den Lenden gefältelt. Dagegen ist die baumwollene Gugel mit dem Lammsfutter nichts, und weil die Gugel nichts ist, muß die Uta in dem schönen Mantel, der wie neu aussieht, warten. Sie wird, denn ihr großer Bruder, der Matthies, das burgundisch Vetterle – so heißen sie ihn, weil er sehr höfisch ist – darf seit Mariä Himmelfahrt im Ebnerhaus aus und ein. Es ist wegen der Alheid. Und der Vater Ebner trifft mit dem Vater der Uta, dem alten Hans, dem Vetter von der Ilgen, zusammen. Sie wollen wegen der Aussteuer reden. Das hat Margaret herausbekommen. Es wäre aber auch noch der Konz von Katzenstein, ritterbürtig, da, und sie brauchten nicht auf den Mattthies zu spannen, wenn er auch ein Vetter von der Ilgen ist und nicht vom Panther. Die Vetter von Panther sind das mindere Geschlecht und nicht ratsmäßig. Die Alheid aber ist eine Ebnerin, und das muß gemerkt sein.
So geht Margretlein verhalten und abwartend. Es ist der Familie wegen. Lieber ginge sie schnell, denn sie hat ihr Mus nicht mehr aufessen können. Wo es auf das Rote Tor einbiegt, bleibt die Uta stehen, und Margaret kann voran.
Sie zotteln zunächst schweigend nebeneinander. Die Uta hat auch Handschuhe an und streicht mit der Rechten über die Mantelfalten hinunter, lupft den Saum ein wenig und wendet ihn. Sie spitzt hinauf zur Margaret und sagt:
„Karmesin-Siden, die ist von miner Muotter ihrm Sorkett.“
Margaret bekommt wieder ein weißes, hochmütiges Näschen.
„Min Vater hat der Muotter dri Ellen Maramat mitbracht, der ist ein Siden mit gülden Fäden ingspunnen – vor Ärmel. Davor ist die Siden an dinem Mantel gring, als ein Rupfen.“
So hat die Uta ihre Lehre. Sie sieht auch verstockt drein, denn ihr Vater, wiewohl ein Handelsherr und hochangesehen wie der Ebner, hat nichts mit Tuch zu tun; die Margaret ist ihr um hundert prachtvolle Namen und Kenntnisse voraus.
Margaret fährt weiter im Text: „Die tragent jetzo ze Mailand Ärmel, die sänt mit Gluften ans Kleid gheft’t, wit unde lang, und hangent abe bis uf die Füeß, sänt als ouch gelappet und gefuderet mit Ormasin-Siden, etwan Camocato …“
Uta reißt die Augen auf: unheimlich, was die weiß. Dann aber schlägt doch etwas aus den Vettern von der Ilgen durch, und sie wird rot. Ohne den Mantelkragen Margaretes eines Blickes zu würdigen, meint sie:
„Din Gugel ist von dem schäffen Futter bockstif und ist als ein Glocken; so du inkummst, do müssent es all verbeißen, daß sie nit helluf lachent und der Alt merkets.“
Die Uta erschrickt vor der eigenen spitzigen Stimme. So weit hat sie nicht vor wollen. Die Ebnerin wird losfahren, und gegen die Ebnerin kommt sie nicht auf. Aber Margaret senkt ihren Kopf tief nieder, sieht zu Boden, schließt fast die Augen und schweigt.
Es ist ihr zugleich mit der Uta heiß aufgestiegen, als sei sie mit ihrem Reden sündfällig geworden. Sie hat nicht gelogen, und doch ist ihr bang vor Schuld. Die Worte der Uta treffen sie zurecht. Sie ist angelobt, und der heilige Martin, an dessen Kirchhof sie vorübergehen, will sie durch den Mund der Uta strafen. Ganz leise und demütig kommt es über ihre Lippen.
„Ich wellt, sie lacheten öffentlich min.“
Uta, die Vetterin, bleibt ratlos stehen. Sie war auf alles mögliche gefaßt gewesen, nur darauf nicht. Margarete bleibt sanft und leise.
„Kumm, Uta, mich hüngert.“
Uta geht, wie ihr geheißen ist, bestürzt, befangen, sie läuft einfach mit, sie ist nicht viel jünger als die Ebnerin, es ist ihr, als liefe sie neben der Priorin von Sankt Ursel, wohin sie beide ins Nähen und Sticken gehen.
Das wissen schon viele: man kann mit der Ebnerin nicht gut allein sein. Sie sagt oder tut immer etwas, und man kann nichts dazu tun und möchte am liebsten entlaufen.
Sie kommen zum Kirchhofeingang. Die Buben sind wieder über den Gräbern und suchen. Die beiden Mädchen springen die Stufen hinauf. Der Rüssel-Peter ist immer der wildeste, fährt dahin und dorthin und bringt alle durcheinander wie der Eber den Sauhaufen, wenn der Ecker schon ausgefressen ist und die Schweine noch einmal über ihn nachgetrieben werden. Wo etliche glauben, etwas blinken zu sehen, fährt der Rüssel-Peter dazwischen