Heinrich, der Ebner, wandte sich nicht wie die meisten von der Burg ins ’Ölgässel, aus dem die Hörner zu rufen schienen, er lief unter den Bäcken hin gegen das Rote Tor, um hinter Sankt Ulrich zu kommen. Die Gleven des Königs mochten sich auf dem Markt zusammenziehen.
Vor dem Roten Tor aber beugte er die Knie und bekreuzte sich für ein Paternoster. In seinem Herzen brannte der Dank. Hinter dem Tor vor der festen Stadt lag das höchste Heiltum von Werde im Kreuzkloster, wohl gefügt und kostbar gefaßt: die heiligen Späne des allerheiligsten Kreuzes, von dem ersten Mangold eingebracht, dessen Burg jetzt brannte, die Burg, darin ein unschuldiges Blut vergossen war. Sie brannte zur Sühne für ihre dunkelste Stunde. Im Rücken des Ebner das Schallen der Trompeten, das Rollen der Trommeln. Er kniete allein. Es war seine erste Minute.
Da er das kurze Gebet schloß und die Stirn bekreuzte, stieß er mit dem Daumen an den Eisenrand seiner Haube, das brachte ihn aus dem Dämmer des Verschnaufens zu Zeit und Gegenwart. Er raffte sich auf, sah um sich, bog abwärts ein hinter Sankt Ulrich, drückte sich in den Schatten der Kirchhofsmauer und riß im Weitergehen den Eisenhut ab und zerrte das Ringhemd vom Leib, warf alles über die Mauer; nur seine Kappe barg er im Wams.
Es faßte den müden und hochbefreiten Mann eine fast jungenhafte Lust. Er sprang gegen den Zehenthof hinab und hinüber ins Färbergässel. Dann stand er vor den drei steilen Stufen des Hinterpförtleins, vor seinem Haus … Dach, Mauer, Schutz, Freiheit, Geborgensein. Seine Lippen zitterten. Gotts Dank und der Heiligen Jungfrau! Er schnob und spürte die Stufen, als er sie nahm. Das Pförtlein war wohl geschlossen. Vom Obermarkt scholl der Rumor in den grauenden Morgen. Sie traten vor ihrem Kriegsherrn zusammen, und es sollte das Schicksal der Stadt entschieden sein, ehe noch die Waffen aus den Fäusten kamen.
Der Ebner pochte am Törlein und pochte auf seine Weise. Lang blieb er ungehört, er wagte nicht Lärm zu schlagen. Aber endlich erlöste seine fiebernde Ungeduld doch ein Schein, und ein Augapfel glänzte hinter dem Lugloch. Noch ein unterdrückter Laut, und der Riegel ging.
„Herr … kummt, kummt eilends … Herr! Ein Büeble!“
„Ann!“ Er packte die alte Dienerin beim Arm und schüttelte sie, daß die Lichtzunge wehte und das Unschlitt spritzte. „Was ist?“
„’s Büeble, Herr, uf diese Stund …“
„Potz Wunden und aller Heiligen! Stohts guet mit der Frou?“
„Guet, Herr … ganget no, ganget no!“
Er wußte nicht, wie er die Stiege hinaufkam. Eine Magd sprang ihm voraus. Sie rief in die Tür: „Der Herr, der Ebner ist do!“
Und es hielt ihn mit zitternden Knien und keuchender Brust unter der Tür. Er sah die Frauen alle, die seinem Weibe in Kindsnöten zustatten gekommen waren, sie standen still bei Bett und Tisch. Es war, als hielten die Kerzen auf Tisch und Wandbord den Atem an. Und sittig standen die Weiber, leicht vorgeneigt, und sie legten die Hände zusammen, sahen nieder und wehrten so seiner Raschheit: die Trugenhovin, die Münzmeisterin, die Höchstätterin, die Barwichin. Der Himmel weiß, ein Aufwand zu diesen stürmenden Zeiten! Von ihnen aber gewartet und bewahrt, lag seine Hausfrau. Die Hände, wächsern fast und müd, hielt sie ober dem Kolter gefaltet.
Und da hoben sie es, die Alheid und die geschworene Frau, aus dem dampfenden Schaff, und es begann sein Geschrei. Das zuckte dem Vater in das Herz, und er schlug sich mit beiden Händen schallend auf die gespreizten Knie und lachte und rief:
„Agnes min … ’s Büeble! ’s Büeble host ’bracht!“
Die Frauen, wohl bewußt, was Maß und Unmaß sei, hielten eine Hand vor dem Mund, das Lachen vor diesem verrußten, verschwitzten, freudebleckenden Mannsbild zu verstecken.
Und der jüngste Ebner wäre fast um die Würde seiner Darbietung und Aufnahme gekommen, wenn nicht die geschworene Frau gewahrt hätte, was ihr und dem Hause, dem sie zu dieser Stunde diente, gebühre. Sie wickelte das krebsrote Wesen in warme Windeln und in sein Kissen, umschlug das Bündel mit einem Tuch aus schwerer Seide, das ihr von der Wiege her gereicht wurde, und Heinrich, der Ebner, sammelte sich an diesem bedachten Gebaren. Er stapfte, etwas steif und merklich mitgenommen, in das Zimmer. Die Wehmutter trug das Menschenkind an das Bett, Frau Agnes bekreuzte es im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit, und dann wurde der Sohn auf den Estrich vor des Vaters Füße niedergelegt. Ein Paternoster lang mußte er liegen. Die Frauen waren im Kreise nähergetreten und hatten die Hände gefaltet.
Heinrich, der Ebner, hob den Sohn auf zum treubezeugten Zeichen, daß er sein Kind sei und Erbe des Namens und des Gutes, die beide er, Heinrich, nunmehr der alte Ebner, in Ehren erhalten und gemehrt hatte. Doch ließ man das Kindlein nicht lange in seinen Armen, und er konnte zu ihr, und sie wartete seines Grußes in frommer Sattheit. Er küßte sie auf Mund, Augen und Stirn und sagte:
„Guet ist, Agnes. Du host mir den Sohn ’bracht in dinem drißigst und sechsten Johr, des solltu von mir hoch gelobet sin.“
Die Frauen hörten die gemessenen Worte beifällig, auch die alte Trugenhovin schien zufrieden. So langte der Ebner in sein Wams, zog die Mütze hervor, warf sie beiseite, zog weiters ein Beutelchen heraus, dessen Schnur er vom Halse riß, denn er wollte sich vor den Weibern nicht entblößen. In Mittewald hatte es mancherlei Kaufgelegenheit gegeben. Er trat nahe an eine Kerze und grub, tief zum Licht gebeugt, mit einem bedächtigen Finger in dem Ledersäcklein; das klirrte leise. Und es schien, als wolle dem Manne nichts köstlich genug sein. Endlich griff er einen Ring heraus und ließ Gold und Steine in dem Lichte spielen. Die Weiber reckten die Hälse hinzu, die Barwichin, als die Vornehmste und des Ammann Weib, ließ hinter der schmalen Hand ein langgezogenes Ouh! höchster Anerkennung vernehmen. Auch die Hauswirtin hatte aus aller Mattigkeit den Kopf so hoch, als sie konnte, gereckt und hindurchgeblinzelt, da die Frauen sich eng um das Kleinod geschlossen hatten. Der Ebner streckte in einer vornehmen Haltung den Ring vor sich, trat mit breiten Schritten hinzu und legte die Kostbarkeit der Hausfrau in die beiden dargetanen Hände. Er sagte nicht ohne innere Schwebung:
„Dies Fingerlin soll sagent, du sigest von mir als ein wohlgefällig Gemachei in dem Kindsbette befunden. Des will ich gedenken mit dem Spruoch:
Es grünet mir in dem Herzen min Als uf der Ouen,
Des weiß ich dir ze danken,
Min Lieb, ohn allen Wanken!“
Die Frauen reckten ihre Ohren. Er war ein höfischer Mann, der Ebner, und sein Eheweib, die Ilsungin, brauchte nicht so leidig zu tun; zu dem, er mochte etliches überstanden haben, wie er dastand voll Dreck und mit dem rußigen Gesicht. Die alte Trugenhovin, längst über das Wundern um ein Mannsbild hinaus, brach das Schweigen:
„Nu gang, Ebner, und wäsch dich, kleid dich als ouch, dann es möcht nit lang währent, und das Glöckel lüt ze Rate.“
Was sollte er anderes? Ein Kindsbett richtet Frauenregiment auf. Er stieg sein Haus hinab in die gemauerte Stube. Daß der Wasserkessel heiß war, wußte er und dankte es seinem Söhnlein.
Kaum aber war der Herr in der Tiefe verschwunden, noch schallte sein Tritt, trat die alte Ann aus dem Schatten des Söllers; sie hatte mit Ungeduld gewartet, daß er ginge. Einen langen Wacholderzweig trug sie hinein und entzündete ihn an einer Kerze. Die Frauen zogen sich von Wiege und Bett zurück, sie wehrten ihr nicht, sie bekreuzten sich nur.
Die Alte schwang den Zweig, seine Flamme erlosch, aber wach blieb die Glut, und das Zimmer begann von dem weißen Rauch zu duften. Sie schwang den Zweig gegen Fenster und Tür, sie ging um die Wiege, sie ging um das Bett, ihre Schritte glitten, sonst schlappten und traten sie humpelnd. Sie flüsterte:
„Buone robbe, buones choses …“, das hatte sie in Burgund erlauscht, wohin sie im Dienst des alten Konz, des Ebner, gekommen war. Der hatte eine burgundische Frau gehabt. Und sie flüsterte:
„Mare solls nüt tragen,