Das gottgelobte Herz. Erwin Guido Kolbenheyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erwin Guido Kolbenheyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748521006
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      Alb mit diner krumben Nasen Sollst das Büeble nüt anblasen …“

      Als der Segen gesprochen war, das Zimmer aber voll des läuternden Duftes stand, sank die Alte wieder in ihre emsig gebeugte Haltung zurück. Sie warf das Reis in das Badschaff und sagte zur Frau:

      „Muoß abe und luegen, Frou, ’s Margretle ist ußer.“

      Die Mutter reckte sich hoch, daß die Frauen hinzueilten und sie auf die Kissen zwangen.

      „Margretle … gang, Ann, ruofs Gretle, gang … unter denen Reisigen! Tuet die Laden uf!“

      Als sei sie dann näher bei dem Kinde und brauchte es nur zu rufen. Die Alte aber winkte ihr, zu schweigen, sie ging und öffnete die Fensterladen, der graue Morgen drang ein, er hatte es noch nicht über die Brandrote gewonnen. Sie hörten das Klirren und das Schwirren herauf. Die Männer warteten in Waffen ungeduldig des Kriegsherren. Es fiel die Frauen an, wiewohl sie vom Ammann her gute Nachricht kannten. Sie kreuzten ihre Hände vor der Brust, sie bedeckten das Gesicht, der Schrecken überkam sie neu. Die alte Dienerin sagte trocken, während sie den Laden des zweiten Fensters befestigte:

      „Froue, bis still … ’s Margretle hat ein sundern Engel bi ihr.“

      Lind dann schlurfte sie hinaus, unberührt von der marktläufigen Zeit und nur auf das Haus bedacht. Sie hatte die Hulden von des Sohnes Wiege gebannt, sie hatte am zweiten Abend, da ihrer Frau Schoß die Frucht unter großen Schmerzen nicht lassen wollte, beim Wachszieher ein Wachsdöcklein gekauft und war nach Sankt Ulrich gelaufen, hatte das Bildnis im Namen des Vaters, des Sohnes und Geistes aus dem Weihbrunn getauft und unter der Altardecke versteckt. Und jetzt wollte sie noch das Gretlein finden, sie ahnte wohl, wo es sei.

      ***

      Auch in einer Brust, kindhaft noch und von der Sehnsucht unbeschwert, die aus dem tagharten Leben steigt, kann das letzte Geheimnis des Gebetes blühen, das sich jenseits der Bewußtseinshelle hervor aus einer dunklen Inbrunst hebt. Ein Geheimnis, wie es lockend im Tonreigen eines Organum oder Modetus lebt, und gleich dem, das in der Tiefe Orgelbrausens, im hallenden Wohlklang der Harfe und im Laut der Flöten durch die Seele schwingt – Abseitiges, Übersinnliches.

      Margarete bleibt dessen immer bewußt, daß sie eine Angelobte des himmlischen Herrn ist, seit sie aus den Erklärungen der Klosterfrau Klara ihre Berufung erkannt hat. Aber sie ist noch zu jung, gegen alle Natur aufzukommen. So ist es ihr geschehen, daß sie an den Paternosterperlen allmählich tiefer und tiefer hinabgeglitten war, fast zu den Bodenfalten des Altartuches, und endlich lehnt sie am Altäre und schläft, die Schnur der Buchskügelchen des Rosenkranzes durch ihre Finger geschlungen und den Mund des an die Brust gesunkenen, blassen Gesichtes auf die oberste Perle gepreßt.

      Inzwischen ist der Glockensturm verklungen, die Königsfanfaren haben Besitz von der Stadt genommen, und ihrem Hall nach sind die Belagerer eingedrungen. Sie haben den oberen Markt bezogen. Inzwischen auch hat der Vater einen scharfen Ritt getan. Die drei Heiligen aber haben die Bitte des schlafenden Kindes vorgebracht.

      Und unter den Trompeten sind die Leute aus der Kirche gelaufen. Sie hätten Grund genug gehabt, zu bleiben, auf den Knien näher zu rutschen. Denn Wüsten, Brechen, Plündern und Gewaltigen sind bittere Läufe, davor Gott seine Hand halte. Allein es hat keinen und keine mehr, noch so alt, außer Haus in der Kirche gelitten.

      Da wird Margarete wach, sieht den grauen Morgen in den runden Fensterbögen, zu denen der verarmte Kerzenschein nicht mehr hinaufreicht, sie sieht auch die Röte in den Fenstern auf der anderen Seite und im Tor. Sie ist allein, das Kirchenschiff ist weiter als sonst, dämmriger, drohender. Von draußen herein braust und klirrt die Ungeduld. Mit stockendem Herzen, langsam, redet sie sich auf, als dürfe sie mit keiner Bewegung das Lauernde wecken, das ringsum nur geschlafen hat wie sie. Sie erinnert sich, weshalb sie hierher gekommen ist. Es durchrieselt sie kalt, die Leut sind fort … etwan … es sind keine Leut gewesen!

      „Muotti … Agnes-Muotti … Muotti, Muotti …"

      Sie läuft auf das Tor zu, hinter ihr die eigene wimmernde Stimme, als würde sie ereilt, umschlungen, erstickt. Sie kommt unter den Bogen, sieht über der Kirchhofmauer den Markt vom Fackelqualm rot, den Himmel zur Linken rot vom Brand, sie huscht zwischen den Toten durch … die liegen jetzt wieder unter der Erde … und da sie aus dem Mauerpförtlein über die Stufen will, wird sie von der alten Ann aufgefangen. Die nimmt sie mit ruhigen Worten und stillt sie, faßt ihre Hand fest, zieht sie längs der Mauer hin, hinter einem hohen Stuhl vorbei; der ist auf ein Gerüst gestellt: Lägel und Bretter, ein Teppich darüber. Vor dem Gerüst drängen sich die Männer im Harnisch; Schildbuckel und Glevenspitzen blitzen. Die Ann und das Kind können nicht quer hinüber über den Markt.

      „Gretle, was host ton? Alleinig ußer Hus! Bi stürmender Zit!“

      Aber das Kind kann nicht antworten, es zittert an Arm und Bein, und die Zähne schnattern im Munde.

      Sie drücken sich den oberen Häusern entlang, und die Alte redet auf sie ein, daß das Büeble gekommen sei, daß der Vater gekommen sei mitten im Lärm, und daß es gut stünde. Die Agnes-Mutter aber vergehe vor Angst um sie. Margarete hört das Schwatzen durch eine Benommenheit hindurch, sie spürt die Nähe der Männer deutlicher fast, als sie sieht, und ihre Beine laufen weiter, als liefen sie für sich allein unter ihr weg. Daß das Büeble da ist, daß der Vater da ist, hätte die Ann nicht zu sagen brauchen, erst recht nicht so glucksend vor Neuigkeit. Das weiß sie längst, und sie hat es von den Heiligen.

      Sie kommt in die Stube hinauf vor das Bett. Die Agnes-Mutter betastet sie, als sie hört, wo sie gewesen sei. Die Agnes-Mutter fragt nicht so töricht, die weiß, warum. Die Mutter ist nur voll Sorge, denn von dem Kinde läßt der Frost nicht. Die Alheid ist noch da, sonst keine mehr, und die Alheid läuft mit der Ann, Kolter und Kissen Margaretleins herunterzuholen. Jetzt soll sie wieder daneben schlafen, denn das Büeble ist da, und die Agnes-Mutter schreit nicht mehr.

      Allein mit der Mutter, flüstert sie:

      „Der heilig Ulrich häts ton und die heilig Margaret … die hat din dicken Bouch zerrissen als dem Drachen sin Bouch, do ist das Büeble kummen.“

      Die Hand der Mutter streichelt über die schmale, heiße Stirn und die flammenden Augen. Die Augen der Mutter sind weit, sie ist im tiefsten Herzen erschrocken.

      „Bis still, Margret … bis still.“

      Margaret löst sich vom Bette, sie leidet es nicht, gestreichelt zu sein, auch nicht wenn sie vor Frost zittert. Sie schleicht auf den Zehen zur Wiege, wo es schläft, und sie sieht das kleine Runzelgesichtlein, das von feinem Linnen umfaltet ist; gemalte Heiligenbilder gegen die Freisen sind in das Linnen eingebunden. Und das Gesichtlein liegt in sich und seinen Schlaf vertieft. Sie nickt dazu, sie weiß ihr Teil daran und ists zufrieden. Scheu betrachtet die Mutter das unkindliche Gehaben.

      „Kumm, Margretle, Gretle, kumm.“

      Die Kleine winkt nur.

      Man bringt sie fiebernd und lallend ins Bett. Die alte Ann wäscht später den zarten glühenden Leib mit Essig und gibt den dürstenden Lippen Welschwein, darin Zitronensaft, Nägelin, Zimmt und Honig gesotten sind, dann – als Friede ins Haus gekommen ist und man eines Kranken warten kann.

      ***

      Heinrich, der Ebner, hat aus den noch flatternden Worten des Kindes abgefangen, daß es in dieser bewegten Nacht mit ihm gewesen sei. Dann folgt er eilig dem Ruf der Ratsglocke. Er muß ans untere Ende des Marktes.

      Der König war zunächst vor die Ratsstube geritten und hatte den Rat einläuten lassen. Heinrich, der Ebner, trat als der letzte in den Saal. Die Ratsverwandten machten runde Augen auf ihn, denn sie glaubten ihn zu Hochstätt.

      Es traf sich alles fast zufällig noch und ungefüge. Der König saß in der Brünne, und auf dem Ratstisch standen Krug und Becher, eine irdene Schüssel mit gesottenem Fleisch, ein Holzteller mit Käse und Brot. Der Koch war noch nicht zur Stelle, und es sollte der erste Hunger gestillt sein nach der rumorigen Nacht. Zwei Junker warteten ihm auf, Ministeriale und Ritterschaft standen dahinter.

      Er