Alles lief bestens für das junge Glück, bis auf eine Sache. Julias Eltern, vor allem ihr Vater, waren gegen die Beziehung. Niko hatte ihn bislang nur einmal zu Gesicht bekommen, als er sie eines Abends heimbegleitete. Er grüßte ihn höflich, bekam aber nur ein Murren als Antwort. Tags darauf erfuhr er von Julia, dass sie ein Gespräch mit ihrem Vater hatte, der von ihr verlangte, sich auf die Schule zu konzentrieren und nicht von einem dahergelaufenen Burschen den Kopf verdrehen zu lassen.
»Ich bin immerhin eine stolze schottische Frau mit einer eindrucksvollen Familiengeschichte und die habe ich zu ehren. So ein Schwachsinn!«, schimpfte sie mit Tränen in den Augen. Niko hatte Mühe, sie zu trösten, versicherte ihr, dass er alles tun würde, damit ihre Familie keinen Grund hatte, so über ihn zu denken. Doch Julia war sich sicher, dass ihr Vater bei seiner Meinung bleiben würde. Deshalb trafen sie sich nur bei Niko, seinen Freunden oder verbrachten den Tag im Freien.
Es war ein Samstag Mitte März, als Julia vor Unterrichtsbeginn zu Niko stürmte und ihn aus der Klasse zerrte.
»Was ist passiert?«
Noch bevor sie antwortete, drückte sie ihm einen langen Kuss auf den Mund.
»Nehmt euch doch ein Zimmer! Ist ja schrecklich, der Grieche und die rote Schottin.« Die Stimme kannten sie beide, es war Mathias.
»Neidisch, weil du keine abkriegst?«, gab ihm Julia als Antwort und zog Niko ein Stück weiter.
»Du musst zu Hause durchbringen, dass du von heute auf morgen bei mir bleiben darfst«, erklärte sie ihm aufgeregt. Niko sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. Einerseits wegen der Aussicht, nicht nur einige Stunden, sondern eine ganze Nacht mit ihr verbringen zu können. Andererseits hatte er sofort wieder das mürrische Gesicht ihres Vaters vor Augen.
»Wie soll das ...?«
»Meine Eltern sind gestern Nachmittag nach Schottland geflogen und kommen Sonntag in der Nacht wieder. Wir haben das ganze Wochenende für uns.«
Niko strahlte übers ganze Gesicht und versprach ihr, dass ihn nichts und niemand daran hindern würde. Gleich nach der Stunde lief er zu seinem Bruder und teilte ihm mit, dass er nicht heimkommen würde.
»Ich werde es Mama schonend beibringen, dass ihr kleiner Sohn langsam zum Mann wird.«
»Idiot!«
Stefanos kramte eine kleine Schachtel aus seinem Rucksack und drückte Niko zwei Kondome in die Hand.
»Viel Spaß und benutz die Dinger, verstanden!«
Niko wollte etwas antworten, unterließ es aber, nickte und verschwand wieder in Richtung seiner Klasse.
Sehnsüchtig wartete er, bis die Schulglocken um zwölf Uhr das Ende der Woche einläuteten.
»Schönes Wochenende, euch beiden«, wünschte ihm Daniel, der sich inzwischen damit abgefunden hatte, dass sein bester Freund nicht mehr so viel Zeit mit ihm verbrachte.
Bei Julias Haus angelangt bekam Niko zunächst eine Führung durch das Haus, eine dreistöckige Villa, die am Ende einer Sackgasse lag. Der dazugehörige Garten schloss direkt an den Wald an. Niko war überwältig von der eleganten, noblen Einrichtung und den riesigen Räumen, die das Haus bot. Julias Reich erstreckte sich über das ganze zweite Stockwerk. Sie besaß ein eigenes Badezimmer, ein Arbeitszimmer und ein geräumiges Schlafzimmer, mit Balkon.
»Alleine deine Zimmer sind größer als meine Wohnung.«
»Meine Eltern haben viel Geld, meinem Vater gehören einige Firmen in Schottland. Aber glaub mir, das ganze Geld ist mir egal, solange er sich wegen dir so aufführt.«
Nachdem sie für ihren Freund ein Mittagessen gezaubert hatte, zog sie ihn ins Schlafzimmer. Nikos nervöser Blick ließ sie schmunzeln.
»Nein, jetzt noch nicht. Wir wissen beide, was heute passieren wird, aber jetzt machen wir es uns auf dem Bett gemütlich. Ich möchte mir ›Beverly Hills 90210‹ ansehen. Nachher spielt es dann eine neue Serie, die Fortsetzung zum Film ›Highlander‹. Es wird sicherlich nichts mit Schottland zu tun haben, aber trotzdem.«
Niko musste grinsen. Jeder kannte die Serie ›Beverly Hills 90210‹. Selbst viele Burschen sahen sie regelmäßig, wobei die wenigstens es zugeben wollten.
Gemeinsam krochen sie unter eine Decke und verbrachten den Nachmittag eng aneinander gekuschelt vor Julias Fernseher. Niko tat sich schwer, seine Hände bei sich zu belassen, aber von Julias Seite kamen keine Beschwerden.
Es war schon späterer Nachmittag, als Julia entschied, im Wald spazieren zu gehen. Für den Abend hatte sie ihm einen ihrer Lieblingsfilme versprochen. Ohne zu verraten, welcher dies war, versicherte sie ihm, dass er ihm auch zusagen würde.
»Solange es nicht ›Dirty Dancing‹ ist.«
»Nein, aber den habe ich auch«, antwortete sie lachend, »Ich glaube, der wird auch in vielen Jahren der Kultfilm für uns Mädchen sein.«
»Dann möchte ich ihn in vielen Jahren mit dir zusammen sehen«, meinte Niko, als sich Julia bei ihm einhackte und ihn durch den Wald führte. Sie waren schon oft spazieren gewesen, doch an diesem Tag war es anders, unbeschwerter. Niko machte sich keine Gedanken, ob jemand aus ihrer Familie sie sehen konnte, was den Spaziergang noch angenehmer machte. Außerdem fiel ihm auf, dass Julia immer wieder Körperkontakt suchte, was ihn zwar nervöser machte, seine Vorfreude auf nachher aber umso mehr steigerte.
Das Abendessen wurde von der nahe gelegenen Pizzeria geliefert. Julia hatte den Tisch auf der Terrasse gedeckt und aus dem Keller eine Flasche Wein geholt.
»Mein Vater hat genug davon, die eine Flasche wird ihm nicht auffallen.«
Sie erzählten sich Geschichten aus der Schule, sprachen über ihre Freunde und auch über weitere Pläne nach der Schule. Julia plante, in Schottland zu studieren, wobei sie nichts mit den Familiengeschäften zu tun haben wollte. Sie war an Naturwissenschaften und der Tierwelt interessiert. Niko hingegen hatte noch keinen Plan, er wollte bis zur Matura genau überlegen, in welche Richtung sein Leben weitergehen sollte.
»Egal was, es wäre auch auf der Insel möglich«, meinte Julia.
»Wie meinst du das?«
»Ich meine damit, dass ich nach der Schule nach Schottland gehen möchte. Aber nicht ins Schloss meines Vaters. Ich will mir alles alleine aufbauen. Und wenn mein Freund mitkommt ...«
»Du meinst, dass wir beide, zusammen ...«
»Ja, warum nicht?«, sie legte ihr Besteck zur Seite und nahm ihr Weinglas zur Hand, »Nikólaos Dovas, ich liebe Dich. Wir sind zwar gerade einmal fünfzehn Jahre alt und haben noch das ganze Leben vor uns. Na und? Ich kann mir vorstellen, es mit dir zu verbringen.«
Niko griff nach seinem Glas.
»Julia, ich liebe dich und möchte nicht ohne dich sein. Ganz egal ob hier, in Schottland oder am anderen Ende der Welt.«
Die Flasche Wein war schnell geleert. Während Niko die Pizzakartons und die Flasche entsorgte, richtete Julia zwei Whiskygläser her.
»Zur Einstimmung auf den hoffentlich langen Abend. Echter schottischer Single Malt Whisky aus Talisker. Ein ganz besonderer Tropfen, für einen ganz besonderen Abend.«
Sie stießen an und Niko sah, wie sie das Glas in einem Zug leerte. Er machte es ihr nach, bereute es aber im nächsten Moment. Der Whisky brannte sich die Kehle hinab, der kräftig rauchige Geschmack, ließ ihn zusammenzucken. Das kurz darauf einsetzende Wärmegefühl in Brust und Bauch entschädigte ihn umgehend.
»Nicht, dass ich viel Ahnung habe, aber der schmeckt ... ich würde sagen, da ist Pfeffer mit drinnen.«
»Eigentlich nicht, aber er schmeckt pfeffrig, rauchig. Ich habe ihn schon ein paar Mal kosten dürfen.«
Sie verstaute die Flasche und nahm Niko das Glas ab.
»Komm mit, jetzt wird´s heiß.«
»Ach so, wirklich?«
»Nicht