nicht identifizieren konnte. »Notpack, Survival Kit?«, las er vor. »Das können wir vielleicht noch brauchen, steck es in deinen Rucksack. Wir springen hinaus.« »Ernsthaft?« Niko sah sie mit aufgerissenen Augen an, folgte aber ihren Anweisungen. Hinter der Tür wurde es ebenfalls hektisch. Offenbar versuchten die Stewards die Tür zu ihnen zu öffnen. Doch das Rütteln an der Tür blieb erfolglos. Alison streckte ihm einen dick gefüllten Rucksack entgegen. »Schon einmal gesprungen?« Niko starrte sie ungläubig an. »Gesprungen?« »Ja, mit einem Fallschirm.«
Bin nicht ich sonst derjenige mit verrückten Ideen?»Nein.« »Rausspringen, Hände ausstrecken und versuchen, in Bauchlage zu bleiben. Bis zehn zählen und dann dieses Seil ziehen, um den Fallschirm aufzumachen.« Niko sah sie perplex an. »Bist du verrückt?« Alison antwortete ihm nicht und schulterte einen Fallschirmrucksack. Bevor er dazu kam, etwas zu sagen, flog die Kabinentür mit einem lauten Kreischen auf. Gleichzeitig packte Niko ein gewaltiger Sog und riss ihn von den Beinen. Ohne eine Chance, sich dagegen zu wehren, wurde er in Richtung Tür geschleudert. Er stieß gegen Kiste und versuchte sich an dieser festzukrallen. Doch er fand keinen Halt und wurde ins Freie geschleudert. Sein Rucksack hing an seiner Schulter, doch der Fallschirmrucksack flog ohne ihn ins Freie. Augenblicklich umschloss ihn eisige Kälte, mehrmals drehte er sich um sich selbst. Ein kurzes Blinzeln reichte ihm, um zu sehen, wo er sich befand. Das Flugzeug war binnen Sekunden schon weit über ihm und er fiel wie ein Stein auf die Erde zu. Alisons Worte kamen ihm in den Sinn und Niko versuchte, seinen Körper in Richtung Boden zu drehen. Seine Hände wurden zur Seite gerissen, der eiskalte Wind blies ihm nun direkt und schmerzhaft ins Gesicht. Dennoch öffnete er kurz die Augen. Weit unter ihm erkannte er unterschiedliche Grünflächen, mehrere Ortschaften und dichte Wälder. Der Regen peitschte ihm ins Gesicht, jeder Tropfen schmerzte wie ein Nadelstich. Erst jetzt realisierte Niko voller Panik, dass ihm etwas fehlte.
Ich habe keinen Fallschirm! Ich stürze ungebremst auf die Erde zu und habe keine Möglichkeit, irgendetwas dagegen zu tun!Der Gurt seines persönlichen Rucksacks drückte sich gegen seine Brust. Doch der war in dieser Situation absolut nutzlos. Er versuchte sich umzusehen, sah aber nur den wolkenverhangenen Himmel über der Insel.
So soll es enden? Ich bin gerade einmal 41, habe eine Zeit davon im Gefängnis verschissen und gerade jetzt, wo alles einmal normal verläuft, kratze ich ab.Die Landschaft unter ihm kam nur langsam näher, obwohl er mit ungefähr 200 Stundenkilometern nach unten raste.
Jedenfalls, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dachte er. Der Regen fühlte sich an, als würde Niko durch eiskalte Nadeln fliegen, die durch seine Kleidung drangen. Am schmerzhaftesten war der Regen im Gesicht. In seiner panischen Angst kamen ihm verschiedenste Erinnerungen in den Sinn. Julia, seine erste und anscheinend einzig große Liebe.
Sie ist wahrscheinlich irgendwo unter mir auf dieser Insel, denkt aber sicher nicht mehr an mich. Seine Zeit im Gefängnis und Martin, der ihn vorzeitig freibekommen hatte.
Wegen dir bin ich jetzt hier, fluchte er,
aber du warst mein bester Freund. Niko glaubte seinen Namen im Rauschen zu hören.
Einbildung, die Stimme klingt wie Julias.Niko wollte schreien, doch kaum öffnete er den Mund, jagte die eiskalte Luft durch seinen gesamten Körper.
Ich werde einfach auf einem Feld, einer Wiese oder mitten auf einer Straße aufklatschen und nichts wird von mir übrig bleiben. Seine Gedanken machten wilde Sprünge. Von seinem letzten Urlaub in Kreta, zurück in die Schulzeit, seiner verstorbene Mutter und zu seinem Bruder.
Mein Bruder, der Mönch. Er kann für mich beten. Vielleicht hat Alison es geschafft, ihren Fallschirmrucksack festzuhalten. Aber ...Etwas packte ihn an den Hüften und im nächsten Moment drehte sich Niko mehrmals um sich selbst. Er wusste nicht, was geschehen war, aber der Schmerz des Zusammenpralls ließ ihm schwarz vor Augen werden. Er spürte, wie sich sein Körper im freien Fall unkontrolliert drehte, aber auch ein zusätzliches Gewicht an seinem Rücken, etwas das ihn fest umschlang. Ihm wurde schlecht. Einige Sekunden später, die ihm wie eine Ewigkeit vorkamen, wurde er mit einem plötzlichen Ruck nach oben gezogen. Er spürte, wie sein Fall abgebremst wurde. Seine Schultern, die von etwas festgehalten wurden, fühlten sich an, als würden sie jeden Moment abreißen. Der eiskalte Gegenwind wurde schwächer, das Rauschen in seinen Ohren nahm ab. »... bei Bewusstsein. Bleib wach, sonst kann ich dich nicht runterbringen!«, hörte er eine Frauenstimme neben sich schreien. Niko drehte den Kopf und erkannte Alison, die an seinem Rücken hing, die Arme fest um ihn geschlungen. Sie hatte es tatsächlich geschafft, den Fallschirm rechtzeitig umzuhängen und war irgendwie zu ihm gelangt. »Verstehst du mich?« »Ja«, krächzte er leise. Er konnte nicht schreien, die Panik durchzog seinen ganzen Körper. »Wir werden gleich hart landen, ich weiß nicht ob diese Fallschirme für unser beider Gewicht ausgelegt sind. Pass auf deinen Kopf auf, roll dich zusammen.« Niko verstand nur Bruchstücke. Er war nahe daran, ohnmächtig zu werden, immer noch in Todesangst. »Ich werde versuchen, dich halbwegs heil abzusetzen, aber meine zehn Sprünge bisher waren keine Vorbereitung auf das hier.« Niko nickte und versuchte sich zu beruhigen. Sein ganzer Körper zitterte, wobei er nicht wusste, ob vor Kälte oder seiner Angst. Ein Ast streifte ihn, instinktiv hob er die Arme vor sein Gesicht. Ein weiterer Ast schnalzte über seinen Unterarm. Seine Beine berührten etwas. Niko hoffte, dass es der Erdboden war, und versuchte sich abzurollen. Doch seine Beine knickten weg, er fiel nach vorne und rollte über morsches Geäst, das unter seinem Gewicht brach. Er spürte, wie er gegen einen Stein stieß und darüber rollte. Kurz kam ihm der Gedanke, dass dieser ihm das Kreuz brechen könnte. Im nächsten Moment erwischte sein Bein einen stabilen Baum, gegen den er geschleudert wurde. Ihm wurde schwarz vor Augen.
Stille.
Dann vernahm er das sanfte Rauschen von Blättern, Feuchtigkeit auf seinem Kopf, ein weicher, erdiger Boden unter seinen Händen.
Ich lebe.Vorsichtig sog Niko die Luft ein. Frische Waldluft, kühl und feucht. Kein Brennen in der Lunge, kein Geschmack von Blut, ich schätze, das ist gut. Er konzentrierte sich auf seine Beine und konnte beide spüren, ebenso seine Arme. Die Finger waren steif vor Kälte, das Kribbeln war unangenehm aber weniger schlimm als der restliche schmerzende Körper. Langsam rollte sich Niko auf den Rücken und blinzelte. Über ihm sah er den wolkenverhangenen Himmel und viele Baumwipfel. Er hatte kein Zeitgefühl, lag nur auf dem kühlen Boden, sah seinen Rucksack neben sich liegen und versuchte, ruhig zu atmen. Das plötzlich über ihm auftauchende Gesicht von Alison ließ ihn zusammenschrecken. »Wie geht es dir?« Niko wollte antworten, doch sein Hals war staubtrocken, mehr als ein Krächzen kam nicht heraus. Deshalb nickte er Alison nur zu. »Bleib einfach liegen. Ich werde mich umsehen, vielleicht haben wir Glück und finden etwas Wasser in der Nähe.« Niko fiel es leicht, zu gehorchen. Er wollte sich keinen Zentimeter bewegen. Kurz bevor er einschlief, erschien Alison wieder. »Wir sind sehr nahe an einem Bach. Hier trink.« Obwohl er wusste, dass frei fließendes Wasser zuerst gereinigt werden sollte, vertraute er auf die Sauberkeit des Flusses und nahm einen Schluck des eiskalten Wassers. »Wie geht es dir?«, fragte Alison erneut. »Ich bin gerade aus ein paar tausend Metern Höhe aus einem Flugzeug gesprungen, ohne Fallschirm. Dafür geht es mir recht gut.« Er benötigte noch einige Minuten, bevor er es schaffte, sich aufzusetzen. Alison saß vor ihm und sortierte einige Gegenstände, die Niko aus seinen Survivalpaketen kannte. »Du scheinst auf solche Abenteuer vorbereitet zu sein«, meinte Niko und versuchte sich zu strecken. Seine Arme schmerzten, aber er konnte bis auf kleine Schnitte und vielen Kratzern keine ernsthaften Verletzungen entdecken. Dafür spürte er einen Druck an seinem Oberschenkel. »Nein, Niko. Das habe ich aus dem Flugzeug mitgenommen.« Niko erinnerte sich an das gelbe Paket, welches sie ihm vor dem Ausstieg in die Hand gedrückt hatte. »Hast du Erfahrung mit Survivaltechniken?« »Nicht wirklich«, gestand Alison und händigte ihm das Paket aus. Niko sah verschiedene Beutel, die mit allerlei Nützlichen gefüllt waren. Er hatte davon gehört, dass es in Flugzeugen ein Survialpaket gibt, aber noch nie eines gesehen. Wahrscheinlich ist das nicht unbedingt eine Information, die man den Gästen direkt auf die Nase binden möchte, dachte er. Er sah an sich hinab und bemerkte, dass seine Hose heruntergezogen war. »Du hast eine tiefe Wunde am Oberschenkel. Sie hat stark geblutet, hat aber keine Arterie erwischt«, erklärte Alison. »Sicher?« »Ja, sonst wärst du schon verblutet. Ich habe sie desinfiziert und einen Druckverband angelegt. Mehr kann ich hier nicht machen.« Niko dankte ihr und öffnete seinen Rucksack. »Uhrzeit?«, fragte er. »Ich schätze mal früher Nachmittag.« Niko blickte in den Himmel, doch durch die dicke Wolkendecke war es schwer, den Stand der Sonne genau auszumachen. »Hast du dein Handy?«, fragte er weiter, den Blick in seinen Rucksack vertieft. »Das fliegt noch im Flugzeug mit. Und deines?« Niko zog sein Smartphone