>>Na, wenn das mal nicht eine erstaunlich wichtige Nachricht für meinen Gebieter ist<<, krächzte er leise zu sich selbst. Was er dort gesehen hatte, war genug, um zu wissen, dass dies eine Botschaft war, mit der er den Herrscher der Unterwelt dazu bewegen könnte, ihn von dem Bann zu befreien.
Zum Hügel Prisliprot
Urwel machte sich sofort auf den Weg. Um nach Miramahelia zurückkehren zu können, musste er nun einen weiten Flug auf sich nehmen. Er dauerte viele Tage und Nächte bis er die Eintrittspforte, den Hügel Prisliprot, erreichen würde. Eine sehr lange Reise bei der es galt sich möglichst von nichts aufhalten zu lassen. Prisliprot lag nämlich am Ende der Welt und nur dort wuchs bei Vollmond Flirrzauberkraut. Nur mit ihm war es möglich nach Miramahelia zu gelangen. Es durfte ihm also auf keinen Fall passieren den Zeitpunkt des Vollmondes zu verpassen. Flirrzauberkraut hat nämlich die Eigenschaft nur dann sichtbar zu werden, wenn es vom Licht des Vollmondes senkrecht angestrahlt wird. In diesem Moment öffnet es seine bunten Blüten und fängt zu flirren an, egal ob Sommer oder Winter. Aus den weit geöffneten Blütenkelchen zerstäuben sich ihre Pollen in alle Winde. Genau das war der Moment auf den Urwel wartete. Zum einen musste er ein Büschel davon abzwacken, zum anderen den bunten Blütenduft inhalieren, der ihn in die Zwischenwelt befördern würde.
Eines Nachts kam Urwel endlich am Hügel Prisliprot an. Er setzte sich auf den höchsten Tannenzweig und wartete nun darauf, dass sich der Vollmond endlich hinter den Wolken hervorschieben würde.
>>Nun mach schon!<<, sprach er zum Vollmond, der ließ sich aber Zeit. Je länger Urwel dort verweilte, desto schwerer fiel es ihm sich auf den Moment zu konzentrieren an dem es soweit sein würde. Für einen kurzen Moment nickte er vor Müdigkeit ein, wurde dann aber durch ein seltsames Geräusch wieder wach. Urwel lauschte und bemerkte, dass das Geräusch, das er vernehmen konnte, von überall herkam. Er sah, wie sich die Blütenkelche öffneten, im hellen Mondenlicht flirrten und schneller als vermutet wieder schlossen, weil sich der Mond zurück hinter die Wolken schob. Erst als es fast zu spät war, besann er sich und hob mit kräftigen Flügelschlägen ab. Hastig flog er über die drei letzten offenen Blüten, nahm das Kraut in seinen Schnabel und inhalierte den bunten Blütenduft so tief und konzentriert, dass er ihn sofort in einen langen Schlaf versetzte und zwar so fest, dass er lange nicht aufwachen würde.
Unheimliche Begegnungen
Fast 10 Jahre waren vergangen seit Mrs. Prittel in der Silvesternacht ihren Sohn geboren hatte. Verändert hatte sich in der Square Stone Gasse nicht viel. Wenn die goldene Herbstsonne aufging, reflektierte das alte Kopfsteinpflaster sanft das Licht und hüllte die Straße in einen sehr alten englischen Charme. Trotzdem schien an dem heutigen Tag alles irgendwie anders als sonst, unabhängig davon, dass heute Halloween war.
Schon in der frühmorgendlichen Dämmerung wälzte sich Mr. Prittel schlaflos hin und her. Es war ihm unmöglich sich noch mal für eine halbe Stunde umzudrehen und weiterzuschlafen. Daraufhin entschied er spontan schon etwas eher zur Arbeit zu gehen. Nach einem kräftigen Biss ins Butterbrot griff er nach seiner schäbigen Ledertasche und setzte sich in seinen verbeulten Wagen, mit dem er rückwärts aus der Garage fuhr. Er konnte sich noch allzu gut daran erinnern, wie schön neu der Wagen aussah als Larris geboren wurde, das war nun mittlerweile fast 10 Jahre her.
Seit Jahren nahm er immer den gleichen Weg zur Arbeit und nie zuvor war ihm etwas Ungewöhnliches passiert, außer damals in der Silvesternacht. Gerade als er um die Ecke fahren wollte, bemerkte er an der Straßenlaterne eine große, halb durchsichtig erscheinende Gestalt. Sie trug Kleidung wie aus einem Gruselkabinett und das früh morgens, wo alle anderen Menschen noch in ihren Betten lagen. Mr. Prittel war kreidebleich vor Schreck. Seine Mutter hatte ihm nämlich einmal erzählt, dass einem etwas Schlechtes widerfahren würde, wenn man drei Mal eine Gestalt mit Hut im Rückspiegel erblickt. So ist es ihr nämlich damals tatsächlich ergangen. Einen Moment lang war ihm nicht klar, was er da gesehen hatte. Er drehte den Kopf noch einmal zurück, um zu schauen, ob das, was er dort erspähte nur Einbildung oder Wirklichkeit war. An der Laterne stand aber niemand mehr, so musste es dann wohl doch eine Halluzination oder ein frühmorgendlicher Halloween-Gag von jemandem gewesen sein. Um sich von dem Schrecken zu erholen, fing er ein kleines Selbstgespräch mit sich an.
>>Nun ganz ruhig Robert Prittel, es ist alles in Ordnung mit dir. Die Geschichte mit deiner Mutter trifft nicht auf dich zu!<<, sagte er, schüttelte den Kopf und lachte im nächsten Augenblick wieder über sein Hirngespinst.
>>Bestimmt war das alles Quatsch oder purer Zufall<<, sagte er sich und maß dem Ganzen dann keine große Bedeutung mehr bei.
An der nächsten Kreuzung angekommen schien wieder alles in Ordnung und vergessen zu sein. Mr. Prittel stellte sein Autoradio laut an. Heraus kamen aber nur komische Geräusche und ab und zu Wortfetzen einer hohen Fistelstimme. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf dem Radio herum in der Hoffnung der Sender würde sich einstellen. Es passierte nichts. Auch das Kassettendeck funktionierte nicht. An den Seiten kam dicker Bandsalat herausgekrochen. Voller Frust schleuderte Mr. Prittel die uralte und nun kaputte Lieblingskassette quer durch das Auto. Die traf zuerst die Sitzlehne, daraufhin seine Oberlippe und dann einen Radioknopf.
>>So ein Mist!<<, schrie er vor Schmerz auf. Es trieb ihm die Tränen in die Augen und als er wieder hochschauen konnte stockte ihm der Atem. Zwischen den Fußgängern liefen halbdurchsichtige kleine Gnome, die ihn grinsend anschauten. Im selben Moment verstellte sich der Sender und dann erschallte aus dem Radio ein lautes grollendes Gelächter, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Die Ampel sprang wie wild mal auf Rot, dann wieder auf Grün, als wenn die Elektronik spinnen würde. Bevor es dann tatsächlich Grün werden konnte, drückte Mr. Prittel voll auf das Gaspedal und fuhr querfeldein über sämtliche Kreuzungen. Zum Glück war keine Polizei in der Nähe, das hätte ihm nämlich ganz sicher den Lappen gekostet. Er war so schnell, dass er innerhalb der nächsten zwei Minuten vor seinem Geschäft, dem Antiquariat, zum Stehen kam. Leichenblass sprang er mit einem Satz aus dem Auto, schloss die Tür auf, drückte den Lichtschalter und ließ sich hinter einem Haufen Bücher in seinen alten Cordsessel fallen.
>>Tief einatmen und ausatmen!<<, sprach er erneut zu sich selbst und strich vorsichtig über die geschwollene Lippe.
>>Alles nur Einbildung. Das sind nur die Nerven. Es gibt keine durchsichtigen Gnome. Ich habe einfach nur zu wenig geschlafen. Für all diese Dinge gibt es eine natürliche Erklärung.<<
Gerade als er zur Entspannung seine Beine auf eine Pritsche und einen kalten Lappen auf die Schwellung legen wollte, hörte er die Türglocke bimmeln.
>>So früh am Morgen, wer da?<<, sprach er erstaunt ins Leere, dann stand er auf und lugte zum Ladentisch, in der Erwartung dort stünde ein Kunde. Zu sehen war aber niemand. Gerade, als er sich wieder hinsetzen wollte, rief ihm dann plötzlich jemand ein >>Hallo!<< zu. Es kam direkt von einem fein säuberlich gestapelten Bücherberg.
>>Nanu!<<, da hinten wedelte eine Hand hin und her. Schnurstracks ging er um die Bücher herum, während zeitgleich wieder die Türglocken klöterten. Weit und breit war aber niemand zu sehen. Wutentbrannt lief er zur Tür, riss sie auf, rannte auf den Bürgersteig und prallte beim ersten Schritt nach draußen mit einem kleinen alten Mann zusammen, der rechts um die Ecke bog.
>>Entschuldigung!<<, stammelte Mr. Prittel, >>ich habe sie nicht gesehen.<<
>>Wie kann man mich denn auf einer menschenleeren Straße übersehen?<<, grummelte der Mann in einem merkwürdig östlichen Akzent. Diesen Herrn sah er schon seit vielen Jahren hier entlang laufen und bis heute hatte man kein einziges Mal miteinander gesprochen, denn so nah war er nie auf ihn getroffen.