"Aber nein, natürlich nicht," antwortete ich schnell, obwohl ich tatsächlich Mühe hatte, es nicht zu vergessen. Ich wäre viel lieber nur Beobachter gewesen und ertappte mich immer wieder dabei, daß ich nur da saß, den mysteriösen Apparat anstarrte und gespannt wartete, was als nächstes geschehen würde.
"Alles in Ordnung," sagte Prof. Riechling laut und deutlich.
"Achtung, dann starte ich ...jetzt!"
Aber der Professor hatte die Hand noch einmal ausgestreckt, fuhr dann bei Dr. Weißgerbers “Jetzt” so heftig zusammen, daß er die Nadel versehentlich bis an den linken Anschlag versetzte. "Moment!" rief er mit schriller Stimme. "Ich habe etwas verstellt!"
Doch es war schon zu spät, seine Hand griff ins Leere. Der Doktor hatte bereits den Hebel betätigt, und in der nächsten Sekunde war das metallene Monster mitsamt des Aschenbechers verschwunden. Der leere Koffer war das einzige, was noch auf dem Tisch stand. Es war genau 21.01 Uhr.
"Was war denn los?" fragte der Doktor besorgt.
"Um Gottes Willen," murmelte der Professor. Er war noch blasser, als gewöhnlich.
Die Zuschauer staunten, denn das Gerät war ja, zusammen mit dem Aschenbecher, tatsächlich fort. Dennoch spürten sie, daß etwas schiefgegangen sein mußte.
"Ich habe den Zeiger verstellt," sagte Prof. Riechling tonlos. Er zitterte am ganzen Körper.
"Um wieviel?" wollte der Doktor wissen.
"Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, es war ziemlich viel.”
"In welche Richtung?"
"In die Vergangenheit."
"Wie konnte das nur passieren!"
"Ich war so erschrocken, als ihr Kommando kam, da ist mir die Hand ausgerutscht. Ich verstehe das selbst nicht. - Mein Gott, daß ich mich aber auch so dumm anstellen mußte! Das ist die Aufregung, Doktor. Ich glaube, ich bin zu alt für solche Experimente. Was machen wir denn jetzt nur!"
Dr. Weißgerber überlegte. "Ich denke, letztendlich ist es halb so schlimm," meinte er dann und legte dem Professor beschwichtigend die Hand auf die Schulter. "Sie wissen doch, Professor, daß die Abwesenheitsdauer des Gerätes sicherheitshalber auf zwei Stunden eingestellt ist. Das bedeutet, daß es zwei Stunden nach dem Verschwinden automatisch wieder auftauchen wird. Wir können dann in aller Ruhe mit dem geplanten Experiment beginnen. Da es letztendlich eh' nicht genau vorherbestimmbar ist, wie lange wir heute nacht noch zusammensitzen werden, kommt es auf zwei Stunden mehr oder weniger auch nicht an.”
Der Professor beruhigte sich ein wenig und atmete tief aus. Müde ließ er sich auf einen Stuhl fallen und sah auf einmal klein und sehr alt aus.
Frau Dr. Ebenstreit war aufgestanden. "Kann ich Ihnen helfen, Professor?"
Er schüttelte den Kopf, griff in seine Jackentasche und zog ein Arznei-Schächtelchen heraus. "Danke, ich habe hier meine Tabletten," sagte er matt.
"Darf ich mal sehen?"
Er reichte sie ihr. "In Ordnung. Nehmen Sie zwei davon. - Bleiben Sie sitzen, ich hole Ihnen ein Glas Wasser."
Er winkte ab. Noch immer zitternd drückte er zwei Tabletten aus der Folie auf seine Handfläche, schob sie in den Mund und schluckte sie hinunter.
“Meine Damen und Herren,” ergriff nun Dr. Weißgerber das Wort, “es gibt keinerlei Grund zur Besorgnis. Unser Experiment ist zwar etwas anders verlaufen, als geplant, doch es ist, wie Sie sehen, - zumindest, was die erste Phase betrifft, - geglückt. Nur, daß der Zeiger nicht, wie eigentlich gewollt, auf der Zukunftsseite stand, sondern auf der der Vergangenheit.” Er hielt inne und nahm die Brille kurz ab, dann fuhr er fort: "Wenn wir das Gerät in eine Zeit schicken, die über einen Monat hinausgeht, entzieht es sich leider unserer Kontrolle. Das bedeutet: Sollte der Zeiger tatsächlich bis zum Anschlag bewegt worden sein, können wir nicht mit Sicherheit sagen, wann in der Vergangenheit das Gerät 'gelandet' ist. Glücklicherweise haben wir für solche Fälle aber vorgesorgt. An dem Gerät gibt es nämlich eine Einrichtung, die bewirkt, daß es genau zwei Stunden lang in der Zeit bleibt, in die wir es katapultiert haben. Danach wird es automatisch zu uns zurückkehren." Er machte eine kurze Pause und lächelte.“Also wird der Aschenbecher pünktlich nach zwei Stunden wieder zurück sein."
Während der Wartezeit las ich noch einmal meine Aufzeichnungen durch und fügte hier und da eine Ergänzung ein. Friedrich Bott, der weißhaarige alte Herr auf dem Portrait über dem Schreibtisch, lächelte sein verhaltenes Lächeln. Ich fragte mich, was er wohl dazu sagen würde, wenn er wüßte, daß seine Nachfolger inzwischen sogar mit der Zeit experimentierten. Aber er wußte es nicht, er schaute freundlich und gelassen auf die Gruppe seiner Kollegen herab, die sich, lebhaft miteinander diskutierend, ihre innere Spannung von der Seele redeten.
Ich lehnte mich auf der braunen Ledercouch zurück, beobachtete sie eine Weile und ging dann meinen eigenen Gedanken nach. Ich erinnerte mich an den Tag, an dem mich Dr. Weißgerber kurz vor Feierabend in sein Büro gebeten hatte, um mir den Posten einer Assistentin anzubieten. Bis dahin hatte ich mich mit meinen Kolleginnen Frau Rempfer und Gaby Sommerfeld im Schreibzimmer um die Arbeiten aller Doktoren des Institutes gekümmert, Dr. Weißgerbers Büro war mir fremd gewesen. Als ich eintrat, saß er an seinem Schreibtisch und machte sich Notizen in seinen Kalender. Er bat mich um etwas Geduld und forderte mich auf, in dem wuchtigen Sessel davor Platz zu nehmen. Während er noch schrieb, schaute ich mich neugierig im Raum um. Schon damals wunderte ich mich über die uralte und verstaubte Einrichtung, denn ebenso antik, wie der Sessel, in dem ich saß, erschienen mir auch die übrigen Teile der dunklen, häßlichen Ledergarnitur, der große schwere Holztisch mit dem eingelegten Mosaik und die zwei mit Büchern vollgestopften Schränke. Und in der Ecke, zwischen Schreibtisch und Fenster, stand auch damals schon der riesige Philodendron mit den dunkelgrünen verstaubten Blättern. Ich hatte nie verstanden, wie sich der Doktor in dieser düsteren Umgebung wohlfühlen konnte, schließlich war er erst Mitte fünfzig und somit nicht einmal so alt wie mein Vater. Allerdings wirkte er zu jener Zeit noch sehr viel vitaler, sein Gesicht zeigte noch nicht diese fahle Blässe, die ihm später manchmal das Aussehen eines kranken alten Mannes verlieh, und auch sein dunkelblondes Haar war noch dichter und nur hier und da von ein paar silbernen Fäden durchzogen.
Ich war erstaunt gewesen, daß er ausgerechnet an mich gedacht hatte, als er beschloß, sich nach einer geeigneten Assistentin umzusehen. Gleichzeitig war ich aber auch stolz, weil es mir zeigte, daß er mir vertraute, und daß er mit mir und meinen Arbeiten bisher zufrieden gewesen sein mußte.
"Selbstverständlich müssen Sie sich nicht gleich entscheiden," hatte er gesagt, "überlegen Sie es sich in aller Ruhe."
Doch was gab es da zu überlegen? "Danke, Herr Doktor," beeilte ich mich zu sagen, "natürlich bin ich einverstanden."
Während ich anschließend die Treppe des Hauptportals hinuntergestürmt war, machte ich mir bereits Gedanken darüber, wie ich den kleinen Abstellraum, den er mir als Büro in Aussicht gestellt hatte, einrichten könnte. In der Mitte der Treppe blieb ich stehen und überlegte, ob mein Schreibtisch überhaupt hineinpassen würde in die kleine Kammer. Doch wenn nicht, davon war ich überzeugt, würde mir der Doktor ganz sicher einen anderen besorgen. Mir gefiel der Gedanke, nun bald einen Raum ganz für mich allein zu haben, und ich nahm mir vor, ihn hübsch auszustatten, mit viel Grünem und mit Bildern... Und Dr. Weißgerber sollte niemals bereuen, daß er sich für mich entschieden hatte.