Ich nickte. "Ja, es ist alles notiert."
Um Mißverständnisse beim Übertragen zu vermeiden, hatte er darauf bestanden, daß ich nicht stenografierte, sondern von Hand alles einigermaßen leserlich mitschrieb. "Ich werde Ihnen genügend Zeit lassen,” hatte er am Vortag zu mir gesagt, "wir werden die Angelegenheit ganz langsam angehen, Schritt für Schritt."
Nun nahm er die Brille ab, putzte sie mit seinem Taschentuch und begann mit einigen Vorbemerkungen, mit denen ich, deren Kenntnisse in Physik nur dürftig waren, nicht allzuviel anzufangen wußte.
"Fassen Sie einfach zusammen, Karin," unterbrach er sich kurz, "schreiben Sie: 'Einleitungsworte Dr. Weißgerbers an die anwesenden Gäste.' Das genügt.”
Seine Vorrede fiel länger aus, als ich erwartet hatte. Ich hatte geglaubt, daß er vor lauter Ungeduld nicht schnell genug mit dem Experiment beginnen könnte. Deshalb wunderte ich mich, daß er es fertigbrachte, seine Ausführungen so gelassen, beherrscht und ausführlich vorzutragen.
Prof. Riechling dagegen konnte seine innere Unruhe kaum verbergen. Während die anderen aufmerksam zuhörten, wippte er mit den Fußspitzen, preßte nervös die Handflächen gegeneinander oder klopfte mit den Fingern auf den Tisch, als bearbeite er eine imaginäre Tastatur.
Solange es für mich noch nichts zu tun gab, beobachtete ich die Gäste, insbesondere Frau Dr. Ebenstreit. Trotz ihres Alters und ihrer ein wenig zu lang geratenen Nase hätte man sie fast als hübsch bezeichnen können. Ihr Gesicht war schmal und feingeschnitten, und in den Augenwinkeln saßen ein paar hartnäckige tiefe Fältchen, die darauf schließen ließen, daß sie gern lachte. Die grauen Augen unter den hochgeschwungenen Brauen hingen gebannt an Dr. Weißgerbers Lippen. Dennoch schien sie bemerkt zu haben, daß ich sie unentwegt anschaute, denn auf einmal blickte sie kurz zu mir herüber und zwinkerte mir lächelnd zu. Ich fühlte mich ertappt, lächelte verlegen zurück und machte mir schnell an meinen Notizen zu schaffen.
Dann schließlich war es soweit: Dr. Weißgerber trat an seinen Schreibtisch, nahm ein kastenförmiges Köfferchen heraus und stellte es mit einer feierlichen Geste in die Mitte des Tisches. Die Zuschauer konnten sich ein geflüstertes “Oh!” nicht verkneifen, obwohl es noch gar nichts zu sehen gab. Das Köfferchen war aus braunem glattem Leder und sah ganz nichtssagend aus. Als der Doktor den Verschluß aufknipste und den Deckel zurückklappte, stockte allen der Atem, und ich vergaß fast, aus welchem Grunde ich eigentlich an dieser Runde teilnehmen durfte. Ich besann mich und schrieb, wie es der Doktor von mir erwartete: ‘20.55 Uhr - Dr. Weißgerber stellt den noch verschlossenen Koffer auf den Tisch. 20.56 Uhr - Er öffnet ihn.’
Eingebettet in dunkelroten Samt erkannte man ein metallenes Etwas, das der Doktor nun vorsichtig mit beiden Händen heraushob und neben den Koffer auf den Tisch stellte.
‘20.57 Uhr - Er nimmt das Gerät heraus...'
Ich war enttäuscht. Diese geheimnisvolle Apparatur war ein einziges Durcheinander aus zusammengefügten Spulen, Drähten und Kabeln, aus kleinen Metallstreben und Hebeln. Irgendwo an der Seite, - oder war es vorn? - war eine verhältnismäßig große Skala angebracht, davor eine Reihe von Knöpfen und Schaltern. Es gab nichts, woraus man in irgendeiner Weise hätte darauf schließen können, wozu es zu gebrauchen war. Der Apparat war unförmig und häßlich.
"Das ist es also!" sagte Dr. Weißgerber stolz, und Prof. Riechling stand schnell auf und hielt schützend die Hände davor. Und obwohl niemand den Versuch gemacht hatte, etwas anzufassen, meinte er ängstlich: "Bitte nicht berühren, meine Damen und Herren! Es ist sehr empfindlich.”
Dr. Degenhardt lehnte sich tief ausatmend zurück, während sich Frau Dr. Ebenstreit erst einmal die Nase putzte. Herr Fröbel lachte sogar respektlos. "Das Ding habe ich mir wahrhaftig anders vorgestellt," meinte er kopfschüttelnd.
Dr. Weißgerber lächelte nachsichtig. "Wir wissen, daß es nicht sehr hübsch aussieht. Wir hielten es aber nicht für notwendig, eine Verkleidung dafür zu finden, da es sich eh’ nur um eine Zwischenstufe handelt. Es ist noch viel zu groß und zu wuchtig, inzwischen arbeiten wir bereits an einem sehr viel kleineren Modell. Die Hauptsache ist doch aber, daß es funktioniert, und daß es das tut es, meine Damen und Herren, davon werden Sie sich in Kürze überzeugen können.”
Er blickte in die Runde. "Bestimmen Sie den Gegenstand, mit dem wir experimentieren sollen. Frau Dr. Ebenstreit, wollen Sie bitte so nett sein und etwas vorschlagen?"
“Ich?” Sie tippte sich mit dem Zeigefinger an die Brust, und nachdem ihr der Doktor aufmunternd zugenickt hatte, schaute sie sich unschlüssig im Raum um, bis ihr Blick an einem marmornen Aschenbecher auf dem Schreibtisch des Doktors hängenblieb. "Nehmen Sie den da," sagte sie.
Dr. Weißgerber nahm ihn in die Hand, hob ihn hoch und zeigte ihn allen. "Diesen Aschenbecher werden wir nun also in die Zukunft schicken. Und wenn er nicht zurückkommen sollte," meinte er scherzend, "dann macht das gar nichts, ich habe nämlich zwei davon.”
An den Enden zweier Drähtchen, die aus dem Gerät herausragten, waren kleine flache Kontaktplättchen angebracht, die er nun sorgfältig am oberen Rand und an der Unterseite des Aschenbechers mit Isolierband befestigte. Er tauschte einen kurzen Blick des Einvernehmens mit dem Professor, kippte einen der Schalter nach unten, und irgendwo im Inneren des Metallgebildes leuchtete ein winziges Lämpchen auf. "So," sagte er, "jetzt ist das Gerät betriebsbereit."
Nun beugten sich die Zuschauer doch ein wenig weiter vor, um besser sehen zu können.
"Die genaue Einstellung ist noch sehr schwierig," erläuterte der Doktor. "Die Skala, die Sie hier sehen, umfaßt einen Zeitraum von etwa zwei Monaten, - einen Monat in die Zukunft und einen Monat in die Vergangenheit. Die Null in der Mitte steht quasi für das ‘Jetzt’, für die Gegenwart.”
Er drehte an einem der Knöpfe, und der Zeiger, der wie eine Nadel spitz zulief, schwenkte auf die linke Seite hinüber.
"Mit dieser Einstellung würden wir unseren Aschenbecher in die Vergangenheit schicken, meine Damen und Herren, und jetzt..." Er drehte den Zeiger nach rechts, "...jetzt verschwindet er, wenn wir es wollen, in der Zukunft. Sicher können Sie sich vorstellen, wie kompliziert es ist, nur so wenig in die Zukunft vorauszugehen, damit wir das Wiedererscheinen des Aschenbechers noch heute abend erleben. Da geht es um Millimeter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß wir den Zeitpunkt des Wiederauftauchens nicht auf die Minute, - ja, nicht einmal auf die Stunde genau vorherbestimmen können. Unser nächstes Modell wird sicher präziser arbeiten.
In der Zeit des Wartens werden wir Ihnen anhand von Skizzen genau erklären, wie das Gerät im einzelnen funktioniert, und selbstverständlich werden wir auch all ihre Fragen beantworten, soweit es uns möglich ist. - Bitte, Professor, stellen sie jetzt die Zeit ein.”
Prof. Riechlings Hand zitterte vor Aufregung. Er bewegte den Zeiger von der Nullstellung eine Winzigkeit nach rechts. "Ich glaube, so ist es gut," meinte er. "Wir werden den Aschenbecher in eine Zeit schicken, die etwa zwei oder drei Stunden in unserer Zukunft liegt. Gemeinsam werden wir dann hier in diesem Raum warten, bis wir selbst diesen Zeitpunkt erreicht haben, bis er also vor unseren Augen wieder erscheinen wird.”
"Genug der Vorrede, Professor! Lassen Sie ihn endlich verschwinden," sagte Herr Fröbel ungeduldig. "Das allein wäre schon Wunder genug.”