Rüdiger lächelte.
„Wir sind doch ein ganz gutes Team, was?“
Lorena starrte ihn nur kalt an und ging wieder ins Wohnzimmer. Jacqueline war natürlich aufgesprungen, um ihrem Stecher beizustehen, aber komischerweise hatte sie sich ihrem Vater nicht in den Weg gestellt. Sie sah ihn nur betroffen an, und so etwas wie Hochachtung lag in ihrem Blick. Lorena erstaunte das. Sie selbst hatte noch nie so einen Blick in das Gesicht ihrer Tochter zaubern können.
„Jacqueline, wie kannst du dich mit so was einlassen?“, zeterte jetzt noch Frau Draschoff. „Und du gibst dem Geld?“
Jacquelines Blick wanderte vom Vater zur Mutter, und nun stand kalte Wut in ihren Augen.
„Mama! Wie kannst du das tun an meinem Geburtstag!“
„Was tun? Deinen Freund einladen? Ist das nicht selbstverständlich? Du hattest es bestimmt bloß vergessen, da dachte ich, ich mache dir eine Freude. Du würdest uns doch deinen Freund nicht vorenthalten wollen, oder?“
„Freude? Du willst mir doch nie eine Freude machen! Du kannst dich bloß immer in alles einmischen! Alles machst du kaputt!“ Jacqueline brach in Tränen aus, und sofort war Rüdiger da und schloss seine Tochter in die Arme. Triumph lag in seinem Blick.
Lorena reichte es plötzlich. Alle, die sie dort saßen oder standen, hatten immer nur versucht, ihr Jacqueline zu entfremden. Ihre Eltern auf ganz besonders gemeine Weise, jetzt kam auch noch Rüdiger an, der sich bisher nie für das interessiert hatte, was aus seinem Nachmittags-Stößchen auf dem Rücksitz seiner Nobelkarosse entstanden war.
„So, ich mache also alles kaputt? Hier sitzen deine Großeltern, die mich dafür hassen, dass ich dich bekommen habe und dich mir dann wegnehmen wollten. Und da stehst du und lässt dich von dem Kerl trösten, der dich nie haben wollte und nie nach dir gesucht hat, obwohl er von dir wusste. Wie du ihn dazu gekriegt hast, dich zu besuchen, ist mir ein Rätsel, aber ohne Hintergedanken läuft bei dem gar nichts!“
„Lorena!“ Frau Draschoff sprang auf. Auch ihr Mann erhob sich steif.
„Ich bin entsetzt darüber, wie du dich aufführst, Lorena.“ Das war natürlich ihr Vater.
„Ich? Ich bin doch diejenige, die sich wirklich um Jacqueline gekümmert hat. Wart ihr vielleicht für sie da, als sie schwanger wurde und ihr Kind verlor?“ Lorena wusste, sie tat das Unverzeihliche. Aber nun brach sich ihre Bitterkeit bahn, und dass Rüdiger hier aufgetaucht war, hatte ihr den Rest gegeben.
„Was?!“, riefen die Draschoffs aus und wandten sich zu Jacqueline um.
„Schwanger? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wie es scheint“, sagte Rüdiger jetzt auch noch. Nun war es endgültig genug.
„Raus!“, brüllte sie dem Mann ins Gesicht, der ihr Leben zur Hölle gemacht und sie nur ausgenutzt hatte.
„Jacqueline hat mich einge- ...“
„Das hier ist mein Haus! Hau gefälligst ab!“
Rüdiger sah überrascht in Lorenas Gesicht und setzt zu einem weiteren Protest an, da fielen ihm wohl die Fotos und das Video ein, die sie auf ihrem Handy gespeichert hatte. Er drückte Jacqueline noch einmal an sich, murmelte ihr etwas ins Ohr, nickte den Draschoffs zu und ging.
Die Draschoffs starrten Jacqueline noch immer verständnislos an.
„Wann war das mit der Schwangerschaft?“, fragte Lorenas Vater mit belegter Stimme.
„Letztes Jahr. Als ihr dachtet, sie wollte sich in Holland eine Band ansehen. Da seht ihr, wo es hinführt, wenn ihr eurer Enkelin ohne mein Einverständnis so viel Geld zusteckt.“ Lorena stand mit verschränkten Armen im Türrahmen und beobachtete Jacqueline, die weinend in den Sessel sank, in dem eben noch ihr schmuddeliger Freund gehangen hatte.
„Was wollte sie denn dann in Holl- ... oh nein. Oh Gott. Sie wollte doch nicht ...?“ Lorenas Mutter schlug sich vor Entsetzen die Hand vor den Mund.
„Doch, genau das wollte sie.“
„Jacqueline geh doch bitte mal in dein Zimmer“, verlangte Herr Draschoff, der von Minute zu Minute grimmiger aus der Wäsche guckte. Jacqueline floh erleichtert.
„Lorena, all das ist deine Schuld! Wie konntest du zulassen, dass deine Tochter denselben Mist baut wie du?“, wetterte er, kaum dass die Tür seiner Enkelin ins Schloss gefallen war.
„Wie hätte ich es deiner Meinung nach verhindern sollen? Ich habe ihr Kondome gekauft und ihr gezeigt, wie man sie anwendet. Ihr ins Gewissen geredet. Sexualkunde in der Schule hat sie auch. Sollte ich sie in ihrem Zimmer einsperren?“
„Du hättest sie besser erziehen müssen“, giftete ihre Mutter. Lorena seufzte.
„Hat den eure tadellose Erziehung so etwas verhindern können?“, fragte sie sanft. Aber in ihren Augen glitzerte es boshaft.
„Was du getan hast, kannst du nicht uns ankreiden! Wir haben immer versucht, dir ein gutes Leben zu ermöglichen und dir eine gute Schulbildung zukommen lassen. Was du für Chancen gehabt hast!“, empörte sich Frau Draschoff. Nun reichte es Lorena auf einmal. Seit nunmehr siebzehn Jahren hatte sie sich diese Behandlung und Ächtung ihrer Person antun lassen, jetzt war es genug!
„Ja, die hatte ich mit meinen Noten. Ja, ich hätte studieren sollen! Aber ihr habt mich ja nicht mehr gelassen, nachdem ich Jacky bekommen hatte! Sie genommen während meiner Ausbildung, das habt ihr, sicher. Aber während ich studierte? Nein, das habt ihr mir gleich gesagt. Und du, Papa, hattest mir schon eine Ausbildungsstelle besorgt, die ich anzutreten hatte. Aber wenn ich studiert und somit noch mehr Geld verdient hätte, wäre Jacky in einer ganz anderen Umgebung groß geworden. Hier geht es zwar noch, aber die Gegend hier ist in den letzten Jahren doch ziemlich heruntergekommen. Mit einem Studium im Rücken hätte ich jetzt ein eigenes Haus in einer dieser gehobeneren Wohngegenden, und Jacky hätte andere Jungs kennengelernt. Sie hätte auch andere Freundinnen gehabt. Aber diese Chancen habt ihr ihr genommen, als ihr meintet, mich für meine Schwangerschaft bestrafen zu müssen!“
„Das ... das ist doch wohl nicht dein Ernst!“ Frau Draschoff blinzelte ihre Tochter mit großen Augen an. Herr Draschoff war jetzt wirklich wütend. Aber Lorena kannte seine Predigten.
„Erspar uns das, Papa. Ich war für meine Tochter da, was ihr ja nicht gewollte habt. Ich habe mich viel besser verhalten als ihr. Dass Jacky so verwöhnt ist, ist auch meine Schuld, das weiß ich. Aber dass ihr ihr von Anfang an das Geld nur so in den Arsch geschoben habt, hat aus ihr eine verzogene Göre gemacht, die meint, das Geld kommt schon von irgendwoher. Sie hat keine Ahnung, wie es ist, sein Geld selbst verdienen zu müssen. Ihr erweist ihr mit euren Umschlägen einen Bärendienst nach dem anderen. Was soll mal aus ihr werden? Ihre Noten sind ihr egal, die Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz schreibe ich, sie tut es nicht mal mehr! Mit sich reden lässt sie nicht, und wenn ich ihr wegen ihres unmöglichen Benehmens das Taschengeld streiche, dann rennt sie zu euch und holt sich eben da die Kohle ab. So kann aus ihr nichts werden und ich wünschte, ihr wärt zu ihr so hart, wie ihr es zu mir gewesen seid. Zwar ist es ein schreckliches Gefühl, wenn die eigenen Eltern einen behandeln wie einen Aussätzigen, aber es hat mich wenigstens selbstständig gemacht.“
„Das müssen wir uns nicht anhören. Lorena, wie kannst du am Geburtstag deiner Tochter nur so ... so ...“
„So eiskalt sein? Tja, da hatte ich die besten Lehrer.“
Die Draschoffs standen auf und durchbohrten Lorena mit ihren Blicken, aber die sah einfach gelassen zurück.
„Wisst ihr, ich habe mir all diese Jahre eure Missbilligung gefallen lassen. Dabei wart ihr diejenigen, die falsch gehandelt haben. Ihr hättet mir helfen und für mich da sein müssen. Aber ihr habt mich immer nur bestraft. Wenn das das Einzige ist, was ihr für eure Tochter noch übrig habt – Verachtung – dann bleibt in Zukunft weg.“
Die Draschoffs nahmen sich ihre Jacken und verließen wortlos