Maja presste die Lippen zusammen und setzte sich aufs Bett. Es gab so vieles, wovor sie die Augen verschließen musste. Zwar hatte sie noch nie erlebt, dass Alex eine Frau anrief, aber er war ja nicht immer zu Hause. Wenn er Flaschen sammelte, wer konnte schon sagen, wo er noch hinging? Und wenn er nicht mit anderen Frauen herummachte, wieso riefen ihn dann ständig welche an? Seine Telefonnummer musste er ja erstmal herausgeben, oder hatte er die in jeden Baum im Park geschnitzt?
Sie hasste die Situation, in der sie steckte. Alleine wollte sie nicht sein, nie mehr, und jemand anderen finden gestaltete sich auch schwierig. Maja war nach wie vor dick, hatte sogar noch zugenommen und Geld für den Friseur war auch nicht mehr übrig. Lang und platt hing ihr das dunkle Haar am Rücken herunter. Die ersten Falten tauchten auch langsam auf. Und weil Alex die halbe Nacht am Computer saß, der im Schlafzimmer stand, bekam sie nur sehr wenig Schlaf.
Nein, das Leben verlief für Maja nach wie vor nicht sehr rosig.
Etwas neidvoll dachte sie an Lorena und Cecilia. Lorena suchte sich nach wie vor die Männer aus, schlief mit ihnen, und zog dann ihrer Wege. Cecilia war schon beinahe reich, zumindest aber sehr wohlhabend und schrieb ihre Bücher, was ihr viel Spaß machte. Beide Freundinnen sahen gut aus und Geld spielte für sie keine Rolle.
Nur sie, Maja, war arbeitslos und noch dazu unattraktiv. Nur selten fühlte sie sich in der Gesellschaft der beiden wohl und wäre am liebsten aus dem Zickenzirkel ausgetreten. Aber dann saß sie jeden Abend hier herum und fragte sich, wo Alex tatsächlich war, wenn er angeblich bei seinem Freund Bernd abhing, Bier trank und auf der Spielkonsole daddelte. Im Zirkel hatte sie wenigstens etwas zu lachen.
Dabei hatte das letzte Treffen ihr Unbehagen noch verstärkt, denn danach hatte sie fünfzig Euro in ihrer Jackentasche entdeckt, und noch immer fragte sie sich, wer von den beiden ihr das Geld zugesteckt haben mochte. Lorena vielleicht? Die hatte so abschätzend auf Majas lieblos herunterhängendes Haar geguckt und sich vielleicht erhofft, Maja möge davon zum Frisör gehen. Andererseits war Cecilia eher die, die unauffällig half und das Herz auf dem rechten Fleck hatte.
Am liebsten wäre Maja von dem Geld tatsächlich zum Frisör gegangen, aber diesen Monat waren Alex und sie so extrem knapp gewesen, dass alles in Lebensmittel und eine neue Jeans für den schönen Alex geflossen war, denn seine Lieblingshose war am Po etwas durchgescheuert, ein Zustand, den er auf keinen Fall hinnehmen konnte.
Das Einzige, was sich Maja von dem Geld für ihr Haar geleistet hatte, war eine billige Plastikklammer gewesen, mit der sie ihre Zotteln jeden Morgen möglichst vorteilhaft hochsteckte. Im Fernsehen sah das immer richtig schick aus, bei ihr betonte es bloß, wie rund ihr Gesicht geworden war. Die langen Strähnen hingen nach längstens zehn Minuten wieder struppig wie bei einem Ackergaul heraus.
Auch die weiten T-Shirts, die sie tragen musste, um ihren dicken Hintern und den vorstehenden Bauch zu verdecken, waren alles andere als schön. Neben Cecilia und Lorena sah sie aus wie ein Walross. Kein Mann sah sie auch nur ein zweites Mal an, so schon nicht, aber wenn sie mit den beiden unterwegs war, erst recht nicht. Oft hatte Maja versucht, eine Diät durchzuhalten, aber wenn Alex abends weg war und Maja sich vorstellte, wie er auf irgendeiner anderen lag, verkrampften sich Herz und Magen und sie brauchte Schokolade und eine Tiefkühlpizza.
Ihr Leben, das war ihr klar, konnte so nicht weitergehen. Sie wollte es ja auch ändern, sich anders ernähren, mehr bewegen, abnehmen, hübscher werden … aber andererseits erschien ihr der nächste Tag passender, damit anzufangen. Sie hatte doch noch diese leckeren Kekse im Schrank, die erst weg mussten … oder die Eiscreme im Tiefkühler … die Pralinen in der Schublade … schon ewig ging das so.
War nichts da, womit Maja sich trösten konnte, wurde sie unruhig. Dann ging sie in der Wohnung hin und her und suchte nach Süßkram. Manchmal machte sie sich Schokoladenpudding, wenn nichts anderes da war, und wenn alle Stricke rissen, ging sie den langen Weg zur Tankstelle. Sonst überkam sie eine Art Zittern, wie einen Alkoholiker auf Entzug. Dass ihre Essanfälle eine Sucht waren, war ihr unbewusst klar, aber sie ließ dieses Wissen nicht in ihr Bewusstsein vordringen. Stattdessen spülte sie alle Ängste, Sorgen und Nöte wieder mit einer tüchtigen Dosis Essen herunter.
Sodbrennen und Magendrücken drängte sie mit Medikamenten zurück. Irgendwann gegen Mitternacht legte sie sich in ihr einsames Bett und wurde meistens vom Quietschen des Bürostuhls und dem Flimmern des Computermonitors geweckt. Nur unruhig fand sie danach wieder Schlaf und wachte erst am nächsten Vormittag wieder auf, manchmal sogar erst gegen Mittag, und fühlte sich völlig zerschlagen.
Zu dieser Zeit arbeitete Lorena schon lange, hatte ihre Frühstückspause hinter sich und freute sich schon auf einen Salat oder fettarme Kost in ihrer Firmenkantine. Und Cecilia hatte bereits zwei bis drei Stunden geschrieben und säuberte eines der Zimmer in ihrem Riesenhaus. Oder sie war unterwegs nach Frankfurt, zu ihrem Agenten, zu einer Lesung oder einer Autogrammstunde. Seit sie eines ihrer Horrorbücher mit ihrem eigenen Blut unterzeichnet und bei eBay versteigert hatte, klebten ihr die Reporter an den Hacken. Ja, Lorena und Cecilia machten etwas aus ihrem Leben. Maja hingegen nicht.
Der Gedanke daran nagte in ihren Eingeweiden. Es fühlte sich an wie Hunger. Maja öffnete den Kühlschrank und nahm sich einen großen Schokoladenpudding heraus. Und die Flasche mit der Sprühsahne.
Lorena: (Un)happy Birthday
Lorena seufzte ergeben, als der Wagen ihrer Eltern in ihre Einfahrt abbog, und schaltete die Kaffeemaschine ein. Die Draschoffs stiegen aus und kamen langsam mit gestrengen Mienen zur Haustür.
Alt sahen beide aus, und es versetzte Lorena einen Stich, sie so zu sehen. Ihre Mutter war inzwischen fünfundsechzig, ihr Vater einundsiebzig.
„Da sind sie!“ Jacqueline stürmte die Treppe herunter und riss die Haustür auf, bevor Lorena sie wegen ihres Outfits anschnauzen und wieder nach oben schicken konnte, damit sie sich umzog.
„Hallo Omi, Hallo Opa!“, rief sie freudestrahlend. Die Gesichter der Draschoffs wurden ganz weich und verhärteten sich unmerklich wieder, als auch sie die mangelhafte Bekleidung in Augenschein nahmen.
„Lorena, so lässt du deine Tochter Gäste begrüßen?“, entrüstete sich ihre Mutter, umarmte Jacqueline und wünschte ihr alles Gute zum Geburtstag. Ihrer Tochter gab sie nur kühl die Hand. Ihr Gatte desgleichen. Der zog noch einen dicken Umschlag aus der Jackentasche und übergab den seiner Enkelin mit einem schelmischen Zwinkern. Jacqueline strahlte. Lorena wunderte das nicht. Der Dicke nach zu urteilen, steckten mindestens vierhundert Euro in dem Umschlag.
„Jacky, dieses dünne Trägertop ist nun wirklich kein geeigneter Aufzug. Zieh dir ein langärmeliges T-Shirt an“, befahl sie nun, aber Jacqueline befolgte ihre Anweisung nur zu gern. Oben konnte sie ungestört das Geld zählen und verstecken. Lorena wusste, sie würde nie erfahren, wie viel Geld es genau gewesen war.
Frau Draschoff ging derweil ins Wohnzimmer und sah sich kritisch um. Lorena hatte renoviert. Das viele Weiß hatte ihr irgendwann nicht mehr gefallen, daher hatte sie die Wände in einem zarten Gelb streichen lassen und rote Sessel und eine Couch gekauft, die sich schick von den Wänden abhoben.
„Recht bunt“, stellte Lorenas Mutter nun fest und setzte sich auf die neue Couch. Lorena hob nur die Schultern. Dass ihre Mutter nichts gut fand, was sie tat, war ihr ja nicht neu. Und da ihre Eltern nur an Jacquelines Geburtstag einen Fuß in das Haus ihrer Tochter setzten, das ja nur gemietet und nicht gekauft war, sahen sie Neuerungen immer erst sehr spät.
Lorena holte Kaffee und bediente ihre Eltern. Ihr Vater, der seine Tasse mit den vier Stück Zucker und dem Schuss Milch entgegennahm, beäugte ebenso kritisch wie seine Frau Lorenas Äußeres.
„Seit wann lässt du dir denn die Haare wachsen“, verlangte er zu erfahren. Lorena öffnete den Mund, um zu antworten, da klingelte es an der Tür. Sofort fegte Jacqueline, dieses Mal in eine Tunika gehüllt, wieder die Treppe herunter.
Wer konnte das denn noch sein? Doch nicht