Eolanee. Michael H. Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael H. Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847688563
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Was für eine sinnlose und bestialische Tat.“

      Die fünf Reiter waren im benachbarten Tal gewesen und hatten ihre Hornlöwen getränkt. An jenem Fluss, der hier durch das Tal floss. Die Strömung hatte das Blut einer Frau aus Ayan mit sich geführt, die vom Feld zum Bach geflohen und dort getötet worden war. Die Reiter hatten nicht gezögert und waren hierher geritten, so schnell die Hornlöwen sie zu tragen vermochten.

      „Du hast Recht, Kender, es ist sinnlos und bestialisch.“ Bergos sah die vier Männer neben sich ernst an. „Es wäre an uns gewesen, es zu verhindern. Wir haben versagt.“

      „Wir konnten es nicht verhindern, da wir es nicht wussten“, brummte einer der Reiter. „Weder dich, noch uns, trifft eine Schuld daran.“

      „Lasst uns nachsehen, ob noch eine Seele am Leben ist“, sagte Bergos bitter und trieb seinen Hornlöwen an. „Rolos, du reitest zurück und holst eine Baumhüterin. Und Männer und Frauen, welche den Toten die letzte Ehre erweisen. Wenn du schnell reitest, kannst du sie in einer halben Stunde erreichen und ihr könnt vor Anbruch der Dunkelheit hier sein.“ Er seufzte vernehmlich. „Dann müssen wir feststellen, wer diesen Überfall verübte. Beurteilen, ob es erneut geschehen könnte.“

      „Du wirst hier keine lebende Seele mehr finden.“ Kender spuckte grimmig aus. „Wer immer das tat, er war sehr gründlich.“

      „Wartet.“ Bergos tippte an das Mittelhorn seines Reittieres und das mächtige Tier verharrte, ließ erneut sein Brüllen hören, um seine Trauer kundzutun. „Ich spüre etwas.“ Er wandte sich im Sattel um und sah die anderen verwundert an. „Ist noch ein anderer Auraträger in dieses Tal gekommen?“

      „Wir sind die Einzigen“, versicherte Rolos. „Die anderen wissen auch noch gar nicht, was hier geschehen ist.“

      „Dennoch spüre ich eine Kraft.“ Bergos legte den Kopf ein wenig schief, als müsse er lauschen. „Sie ist schwach, aber sie ist unverwechselbar.“

      „Eine Aura? Das kann nicht sein“, bekräftigte Kender. „Wir sind die einzigen Träger in Ayan.“

      Bergos hob die Hand, als wolle er um Ruhe bitten und trieb seinen Hornlöwen in langsamem Schritt vorwärts. Doch statt sich den Kegelbäumen zu nähern, welche die natürliche letzte Zuflucht eines Enoderi waren, entfernte er sich nun von ihnen, ritt sogar ein Stück zurück. Erneut verharrte er, schien zu lauschen und nickte dann langsam. „Es kommt von dort vorne.“

      Kender nickte Rolos zu, der seinen Hornlöwen antrieb, um aus dem anderen Tal Unterstützung zu holen. Er deutete auf einen der Männer. „Sieh du bei den Kegelbäumen nach. Sie sind die letzte Zuflucht. Vielleicht findet sich ja doch noch jemand.“

      Sie sahen nicht nach den zahlreichen kleinen und großen Körpern, die überall verstreut lagen. Die Kraft der Aura zeigte ihnen, dass dort kein Leben mehr zu finden war.

      Bergos musterte das große Dornengestrüpp, welches vor ihm lag. Er hielt seinen Hornlöwen an, beugte sich im Sattel vor und schloss kurz die Augen. „Es ist hier.“

      Kender ritt heran und sah zu, wie der Führer der Auraträger absaß und mit langsamen Schritten auf die Pflanze zuging. „Du hast Recht. Nun kann ich auch etwas spüren.“

      Bergos bedeutete ihm zu schweigen. Er glaubte, aus dem Inneren der Pflanze ein leises Wimmern zu hören. Er musterte die scharfkantigen Dornen. Er hatte nicht die Fähigkeiten einer Baumhüterin und konnte die Pflanze nicht beeinflussen. Aber sie schien die gute Absicht des Auraträgers zu spüren und begann sich zögernd zu öffnen. Ihre Äste, die Eolanee umschlungen und behütet hatten, schrumpften und die Dornen zogen sich zurück und wurden stumpf.

      Bergos ging in die Hocke und sah in das Innere hinein. „Bei der Göttin. Ein Mädchen. Es ist ein kleines Mädchen.“

      „Ich habe die Baumhüterin gefunden“, ertönte der Ruf des Auraträgers, der die Kegelbäume absuchen sollte. „Sie hat einen bösen Schlag über den Kopf bekommen und ist bewusstlos, aber sie lebt.“

      Bergos nahm den Ruf kaum wahr. Er sah nur das kleine zitternde Mädchen vor sich, das nichts wahrzunehmen schien. Er ging auf die Knie, hielt Abstand und sprach beruhigend auf das Kind ein. Nur unmerklich schob er sich näher, lächelte und beruhigte. Eolanee reagierte erst, als er sie fast erreicht hatte, zuckte zusammen und versuchte instinktiv, tiefer in den Busch zu kriechen.

      Der alte Auraträger hatte nie Kinder gehabt, denn die Verbindung mit einer Frau blieb einem Auraträger verwehrt, aber er reagierte unbewusst und seine sanfte Stimme begann die innere Barriere Eolanees zu durchbrechen.

      Bergos streckte seine Hand aus, ganz langsam und hielt sie Eolanee entgegen. Die Fünfjährige sah in seine Augen, dann auf seine Hand, doch sie scheute davor zurück, sie zu berühren. Der alte Mann spürte, wie sehr ihn diese Körperhaltung anstrengte, aber er wusste, wie wichtig diese Geste für das leidende Wesen war.

      Und dann, als Bergos die Hoffnung schon aufgeben wollte, ergriff Eolanee seine Hand.

      Kapitel 2

      Das Land der Enoderi wurde von Wäldern beherrscht. Obwohl es weite Ebenen gab, waren es doch die ausgedehnten Waldgebiete, die das Bild der Landschaft bestimmten. Im Norden, in unmittelbarer Nähe zu Ayan, lag jenes Gebirge, welches die Enoderi vom Reich Menteva trennte und eine natürliche Grenze bildete. Im Osten erhob sich das Mittelgebirge, hinter dem das geheimnisvolle Volk der Berengar lebte und auch der Süden wurde von Bergen geschützt. Im Westen lag das große Meer, das nur wenige Enoderi zu Gesicht bekamen. Keinen von ihnen zog es an die Küste. Die unendlich erscheinende Weite des Meeres erschreckte sie in ihrer Grenzenlosigkeit. Sie liebten den Anblick lebendigen Grüns und den Schutz ihrer heimischen Wälder. Niemanden zog es in unbekannte Ferne, denn das Land der Enoderi war groß und bot allen Lebewesen genügend Raum.

      Ayanteal war die größte Siedlung des Waldvolkes und lag nur zwei Täler von Ayan entfernt. Es war das Zentrum der Kultur und der Macht der friedlichen Waldmenschen. Hier lebte die Prophetin, eine Frau von großer Weisheit und magischen Kräften. Hier versammelte sich der Rat der Auraträger, um über die Geschicke der Enoderi zu beraten und ihr Schicksal zu bestimmen, soweit es nicht in der Hand der Göttin lag. Hier erhoben sich die Ratshalle der Auraträger und der Tempel der Weisen Prophetin.

      Zwei Tage waren seit dem Massaker in Ayan vergangen und Bergos Ma´ara´than hatte den Rat der Auraträger einberufen. So waren die sechsunddreißig Männer zusammengekommen und hatten sich zur Halle begeben die nur von ihnen, den Baumhüterinnen und der Prophetin betreten werden durfte.

      Im Gegensatz zu den Wohnbereichen, welche die Fähigkeiten der Pflanzen einbezogen, auf die Wünsche ihrer Bewohner zu reagieren, war die Halle des Rates aus gebranntem Lehm errichtet. Ein Boden aus massiven Steinplatten verhinderte die Verbindung der hölzernen Möbel mit dem Wurzelwerk des Waldes. Auraträger und Baumhüterinnen waren empfänglich für die feinen Ausstrahlungen des Lebens und die unmerklichen Impulse der Pflanzen sollten die Konzentration des Rates nicht beeinflussen. Die Hüterinnen der Bäume betraten diese Halle daher nur, wenn es unbedingt erforderlich war, denn die Anwesenheit toten Holzes beunruhigte sie, auch wenn sie sich dies nie anmerken ließen.

      Die Halle wurde von den einzigen metallenen Türen verschlossen, die es im Reich der Enoderi gab. Zwei wundervolle Schmiedearbeiten in die zwei blaue Steine eingearbeitet waren. Zwar bestanden sie nicht aus dem kostbaren Kristall, von dem der Stirnreif eines Auraträgers geschmückt wurde, aber sie genügten als Symbol dessen, wofür die Halle stand. Feine Ziselierungen zeigten Szenen aus dem Leben des Volkes. Es gab keinen Riegel der den Zutritt verwehrt hätte. Der Respekt vor den Auraträgern reichte aus, dass niemand den Raum ohne ihren Willen betrat.

      Bergos, als dem Führer der Auraträger, war es vorbehalten die Tür zu öffnen.

      Während die beiden Flügel leise knarrend aufschwangen, fiel Licht in den Raum und riss die Konturen seiner Einrichtung aus dem Dunkel, welches ihn sonst einhüllte. Staub tanzte in den Sonnenstrahlen über der steinernen Bank, die als hufeisenförmiger Ring im Raum stand. In der Mitte erhob sich die Feuerstelle,