Eolanee. Michael H. Schenk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael H. Schenk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847688563
Скачать книгу
Männern und Frauen vorbehalten. Der Anführer der Berengar gehörte zu dieser Gruppe und fiel in doppelter Hinsicht auf. Er war nicht nur sehr groß und schlank, sondern hatte auch sonnengelbes Haar. Jenes der anderen Männer war meist Schwarz oder von sehr dunklem Braun. Sein Körper war schlank und doch muskulös, und an dem ledernen Waffengurt hing eines der kostbaren Metallschwerter.

      Lutrus, der seinem Anführer berichtete, war ein Krieger dessen Gesicht die Furchen des Alters und die Narben von Kämpfen zeigte. Er grinste erfreut und eine der Narben gab seinen Zügen dabei ein sardonisches Aussehen. „Ich denke, wir haben sie alle erwischt. Dieser Händler, den wir uns vorgenommen haben, hatte Recht. Dieses Volk verspricht reiche Beute. Eine Menge ansehnlicher Weiber und keinerlei Gegenwehr. Wenn sie eine kupferfarbene Haut und grüne Lippen hätten, wären sie glatt eine Versuchung. Die sind alle gerannt wie die Hasen. Ich glaube, sie haben gar nicht begriffen, was da geschehen ist.“

      „Es soll ein friedliches Völkchen sein, welches nichts von Gewalt hält.“ Der Anführer spuckte aus. „Vielleicht haben wir ihre Meinung jetzt geändert. Ist jemand entkommen?“

      Lutrus schüttelte den Kopf. „Ich habe einige gute Männer zum Ausgang des Tals geschickt. Hier kommt nichts Lebendes heraus, wenn wir es nicht wollen.“

      „Gut. Ich will sicher sein, dass kein unliebsamer Zeuge am Leben bleibt. Je weniger von uns berichten, desto unvorbereiteter werden die anderen sein, wenn wir deren Dörfer besuchen. Such mit ein paar Männern den Wald ab. Vielleicht versteckt sich noch jemand.“

      „Wir waren zu schnell. Keiner ist entkommen.“

      „Ich will sicher sein.“ Der Anführer sah seinen Unterführer forschend an. „Du zögerst? Was ist?“

      Lutrus zuckte die Schultern und deutete auf einen der Kegelbäume. „Diese Baumkegel gefallen mir nicht. Die hängenden Wurzeln sehen aus, als wollten sie nach uns greifen. Ich glaube, sie leben ebenso wie unsere Farsabäume.“

      „Die Wurzeln hängen fest an den Bäumen. Bleibt von ihnen fern, dann kann nichts passieren.“

      „Jedenfalls sind mir diese Bäume unheimlich. Wenn es denn überhaupt welche sind. Sie sehen ganz anders aus und stehen auch abseits der normalen Bäume.“

      „Habt ihr dort schon nachgesehen? Bei den anderen Bäumen?“

      „Ich schicke ein paar Männer hinüber.“

      „Nein, Lutrus, geh selber.“ Der Anführer lächelte sanft. „Ich will mir sicher sein, dass niemand übersehen wird. Was meinst du, wie viele haben wir erwischt?“

      „Rund fünfzig Weiber, die einen guten Preis bringen werden. Knapp dreißig Kinder, von denen es wohl nur Zwanzig über das Gebirge schaffen.“

      „Das hat sich gelohnt. Und jetzt such den hinteren Wald ab. Wir haben, was wir wollten und ich denke, wir sollten bald wieder verschwinden. Aber ich will keine Zeugen zurücklassen, die von unserem Eindringen berichten können.“

      Lutrus nickte, winkte drei Männer zu sich und stapfte dann über den Grasbewachsenen Boden. Er war erleichtert, die ihm unheimlichen Kegelbäume hinter sich lassen zu können. Diese Pflanzen gefielen ihm nicht. Sie wuchsen falsch herum und sie hatten diese langen, herabhängenden Dinger, die an Haarzöpfe erinnerten und die sich ständig bewegten, als suchten sie etwas. Dass mit diesen komischen Kegeldingern etwas nicht stimmte, bewies für ihn auch die Tatsache, dass kein richtiger Baum in ihrer Nähe wuchs. Nein, ihm war ein Baum mit normalen Nadeln und Blättern weit lieber, auch wenn ihm der Gestank der Pflanzen unangenehm war.

      „Kommt schon, Männer, beeilen wir uns. Je eher wir aus diesem verdammten Grünzeug heraus sind und wieder zwischen den Felsen der Heimat sind, desto besser.“

      „Hier werden wir Niemanden finden“, knurrte einer der Berengar. „Wir haben sie alle erwischt.“

      „Und wenn nicht? Du weißt, wie Han-Keltor reagieren wird, wenn uns jemand entkommt.“

      „Na schön, stochern wir ein bisschen in dem Grünzeug herum. Finden werden wir dennoch nichts.“

      Betratos hatte Eolanee inzwischen immer weiter mit sich gezerrt und fast den Waldrand erreicht, von wo aus man den südlichen Weg ins nächste Tal nehmen konnte. Als er zwischen den Bäumen hervor trat, starrte er schockiert auf mehrere Männer, die ihm den Rücken zuwandten. Vielleicht hätte er sich unentdeckt in den Wald zurückziehen können, aber Eolanee schrie auf, als sie die Fremden vor sich sah.

      Diese fuhren herum und ihre Überraschung währte nur kurz.

      Betratos riss seine Freundin zurück in den Schatten des Waldes, doch er war nicht schnell genug. Der Sechsjährige spürte einen harten Schlag im Rücken als einer der Fremden eine Farsawurzel warf, dann versank die Welt in ewiger Dunkelheit.

      Eolanee war nun allein.

      Jedes vernünftige Denken wich kreatürlicher Angst. Sie wollte zu ihrer Mutter, wollte zu ihrem Vater. Wollte fort, nur fort von diesen schwarz gekleideten Männern mit der kupferfarbenen Haut. Sie hörte Rufe hinter sich, stolperte über eine Wurzel und stürzte. Noch während sie sich aufrichtete, vernahm sie eine Stimme vor sich, die auf die der anderen antwortete.

      Neben ihr stand eines der dichten Dornengebüsche, die häufig im Wald zu finden waren. Auf Händen und Knien kroch sie darauf zu. Der Busch spürte ihre Angst, reagierte und öffnete sich ihr. Eolanee bemerkte es gar nicht, kroch nur immer weiter. Dornen rollten sich zusammen, damit sie nicht verletzt wurde, Zweige zogen sich zurück, andere wuchsen in rasender Schnelle und als das Mädchen inmitten des Dornbuschs wimmernd zusammensank, hüllte die Pflanze sie in dichtes Laub und nach außen drohende Stacheln.

      Schritte waren zu hören, gedämpft durch den weichen Waldboden. Gelegentlich knackte ein Zweig unter dem Fuß eines Mannes. Leise Rufe erklangen, mit denen sich die Berengar verständigten.

      „Sie muss hier irgendwo sein. Ich konnte sie erkennen. Ein kleines Mädchen.“

      „Ja, ein niedliches Ding. Wäre ein Jammer, wenn sie uns entwischt. Sie bringt sicher einen guten Preis.“

      „So schmackhaft wie sie aussieht, steckt der Clan sie lieber auf den Spieß.“

      „Ist noch nicht viel dran. Kaum Fleisch auf den Rippen“, lachte einer grob. „Da müssten wir noch ein lange warten und sie ordentlich füttern.“

      „Seid endlich still“, sagte Lutrus grob. „Sie verbirgt sich hier irgendwo. Aber Menschenkinder sind niemals still. Jedenfalls nicht lange. Also seid leise und wir werden sie früher oder später hören können.“

      Eolanee hörte die Stimmen ohne die Bedeutung der Worte zu begreifen. Sie hörte die Schritte ohne sie wirklich wahrzunehmen. Sie kauerte inmitten des Dornbusches, die Knie unter den Leib gezogen und wiegte sich leicht vor und zurück. Sie hatte keine Tränen mehr, um zu trauern und sie hatte keine Stimme mehr, um zu schreien. Das Einzige, was sie im Übermaß hatte und empfand, war nacktes Entsetzen.

      „Ich weiß nicht, Lutrus, aber dieser verdammte Wald gefällt mir nicht.“

      „Mir auch nicht. Sieh dir diese verfluchten Bäume an, Lutrus, und dieses Gebüsch. Ich sage dir, darin verbirgt sich etwas.“

      „Ja, erwiderte Lutrus, „das Mädchen, das wir suchen.“

      „Das ist nicht das Mädchen“, sagte einer der anderen Berengar. „Da ist was anderes. Dort drin ist etwas gefährliches, das sage ich euch.“

      „Unsinn.“ Lutrus stieß dieses Wort mit größerer Sicherheit hervor, als er tatsächlich empfand. Auch er spürte sein wachsendes Unbehagen, während sie gemeinsam auf das Gebüsch starrten, welches nur wenige Meter von ihnen entfernt wuchs. „Hier gibt es nichts gefährliches, außer uns.“

      „Das hier ist ein verdammter Wald, Lutrus. Du kennst doch diese Höllen aus Grünzeug. Man sagt, da gäbe es furchtbare Raubtiere.“

      „Solche Biester verstecken sich“, ächzte einer. „Die lauern einem auf. Schlagen blitzartig zu und verschlingen dich.“

      Lutrus