„Aber deine Position wird nun gestärkt.“ Sie richtete sich halb auf und stützte sich auf die Ellbogen auf. „Du bist der berühmteste Krieger des Clans, jetzt, nachdem Stort tot ist. Er kann sich dir nun nicht mehr entgegen stellen und die anderen werden es nicht wagen.“
Tirana drehte sich halb und ließ ihre Hand über seine Brust gleiten. „Ich will mehr, als nur einen Sitz im Thaan. Und dazu brauche ich Erfolge. Deine Erfolge, Han-Keltor.“
„Einen netten kleinen Krieg oder wenigstens einen größeren Überfall.“
„Das wird die Bedeutung der Blauhand hervorheben und meinen Sitz im Thaan stärken.“
„Die Oberherrin wäre dagegen.“ Han lächelte kühl. „Da ist sie ebenso feige, wie Stort es war. Sie will noch keinen Krieg provozieren. Wir sollen erst stärker werden, sagt sie. Nein, sie würde ihre Zustimmung verweigern.“
„Selbstverständlich würde sie das.“ Tirana ließ ihre Hand ein wenig tiefer gleiten. „Man könnte das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.“
„Wie meinst du das?“
„Die Oberherrin wird in den nächsten Jahren immer wieder die Grenze bereisen und sehen, wie weit die Vorbereitungen gediehen sind. Bei einer dieser Reisen könnte ihr etwas zustoßen.“
Han-Keltor lachte leise auf. Er wusste sofort, was seine Geliebte damit zum Ausdruck bringen wollte. „Ah, ich verstehe. Nun, ich könnte da etwas vorbereiten. Einen netten kleinen Hinterhalt.“
„Dem die Oberherrin zum Opfer fällt.“
„Natürlich.“
Ihre Hand fand eine Stelle, die ihm mehr als nur Behagen bereitete. „Es darf natürlich kein Verdacht auf uns fallen. Wenn Stort und die Oberherrin in kurzem Abstand sterben, dann wird das Misstrauen erwachen. Zumal, wenn wir beide dadurch im Rang aufsteigen. Wir müssen uns in Geduld üben und viel Zeit verstreichen lassen, bis wir den nächsten Schritt wagen. Aber wenn die Oberherrin stirbt, dann werde ich schon dafür sorgen, dass ich in ihre Position aufsteige.“
„Lass mich das arrangieren. Ich stelle es als einen Überfall der Mentever hin. Dann ist dein Weg im Thaan frei und wir haben einen guten Grund für einen Rachefeldzug ins Menschenland.“
„Und du wirst ihn führen“, sagte sie lockend. „Als oberster Kriegsherr der Berengar.“
Ihre Worte schmeichelten ihm ebenso, wie ihre Berührungen.
Ja, Han-Keltor war sehr hilfreich in seiner Stärke und seinem Ehrgeiz. Tirana musste nur darauf achten, dass er eines Tages nicht zu stark und zu ehrgeizig wurde. Sie musste ihn im Auge behalten, aber bis dahin konnte sie seine Kraft zwischen ihren Schenkeln genießen.
„Komm, mein Kriegsherr“, flüsterte sie. „Das Wasser in der Wanne ist noch warm genug und uns bleibt noch Zeit für einen kühnen Ritt.“
„Du bist ausgesprochen gierig“, murmelte er und zwängte sich zwischen ihre willig geöffneten Schenkel.
Tirana lachte leise. „Nicht nur darin sind wir uns ähnlich.“
Sie mussten vorsichtig sein, denn sie waren noch nicht am Ziel. Aber der entscheidende Schritt war nun getan und es gab kein Zurück. Jetzt kam es darauf an, dass Han-Keltor einen Weg fand, die derzeitige Oberherrin der Clans zu töten, ohne dass ein Verdacht auf sie beide fiel. Danach würde es an Tirana liegen, den Rat der Thaan in ihrem Sinne zu beeinflussen. Es würde Jahre dauern und sie mussten sich in Geduld üben. Das würde ihnen nicht leicht fallen, doch das Ziel lohnte den Einsatz. Mit ihr als Oberherrin und Han als oberstem Kriegsherrn würden die Clans in den Krieg gegen die Menschen ziehen.
Doch zuvor musste noch etwas Blut fließen.
Ein geringer Preis für ihren Erfolg.
Kapitel 4
Neredia war die Ma´ededat´than und somit die oberste Baumhüterin der Enoderi. Als solche genoss sie die besondere Gunst jenes Kegelbaums, in dem sich ihr Wohnbereich befand. Hoch oben, in der breiten Krone des Kegels, hütete der Baum seine Samenkapseln und hier wuchsen die Fangwurzeln, mit denen er sich und seine Bewohner beschützte. Kein Enoderi, nicht einmal Neredia, durfte die Krone betreten, doch der mächtige Baum hatte es zugelassen, dass Neredia ihre Räume direkt unterhalb der riesigen Plattform bezog. Bereitwillig hatte er ihr seine Kammern geöffnet und sie nach ihren Wünschen geformt und eingerichtet. Es war nur ein winziger Teil des obersten Kreissegments der Pflanze und die luftige Höhe war ebenso ungewöhnlich, wie der Ausblick auf einen Teil des Tals von Ayanteal.
Ursprünglich hatte Neredia hier alleine gelebt, doch seit sie Eolanee in ihre Obhut genommen hatte, war auch Bergos Ma´ara´than hinzugekommen und nach außen wirkten die Drei wie jede andere Familie der Enoderi. Dennoch war jeder von ihnen etwas Besonderes und das bewies schon die ungewöhnliche Ausgestaltung der Räume.
Normalerweise zeigten die Wände der Wohnbereiche die vielfältige Maserung des Baumes in verschiedenen zarten Brauntönen. Neredias Gabe ließ ihren Einfluss auf die riesige Pflanze deutlich werden. Die Böden der Räume waren von weichem Moos bedeckt und in dem hellen und dunklen Grün wiederholte sich das Muster von Blättern. Aus den Wänden waren Ranken gewachsen, deren zarte Ausläufer verschlungene Figuren bildeten.
Eolanee war inzwischen acht Jahre alt und noch immer fasziniert von der Gabe ihrer Ziehmutter. Schon oft hatte das Mädchen die Ranken berührt und es gelegentlich geschafft, sie nach seinen eigenen Wünschen umzuformen. Doch Neredia glaubte fest an die besonderen Fähigkeiten des Kindes und daran, dass Eolanee noch zu weit mehr fähig war.
„Versuch es noch einmal, Eolanee, ich weiß, dass du es kannst.“ Neredia strich sanft über das Haar Eolanees. „Es ist nicht leicht, Eo, aber du hast eine ganz besondere Gabe und Kraft. Du kannst dich mit dem Baum verbinden, ohne ihn mit der Hand zu berühren.“
In Eolanees Blick lag Zweifel und das war nur zu verständlich. Eine ausgebildete Baumhüterin konnte zwar Schädlinge oder Erkrankungen einer Pflanze mit ihren Sinnen erspüren, um sie jedoch nach ihrem Willen zu formen, musste sie diese, wie jeder Enoderi, direkt mit der Hand berühren. Neredia erwartete jedoch, dass Eolanee dies nur mit der Kraft ihrer Wünsche erreichte.
„Ich kann das nicht“, sagte sie kopfschüttelnd. „Keiner kann das. Auch du nicht.“
Neredia wusste, dass es keinen Sinn machte, das Mädchen zu drängen. Sie lächelte sanft, zog Eolanee mit sich und setzte sich auf eine Bank des Wohnraums. Der Baum spürte das erhöhte Gewicht, als Eolanee auf den Schoss ihrer Ziehmutter glitt und verstärkte das Polster. Die oberste Baumhüterin zog zwei Becher heran und schenkte Wasser ein. Während sie einen davon Eolanee reichte und selber trank, überlegte sie ihre Worte.
„Jeder Enoderi kann einem Kegelbaum seinen Wunsch übermitteln“, erklärte sie mit leiser Stimme. „Die Hand ist nur das Mittel, diesen Wunsch an den Baum zu leiten. So, wie unsere Worte unsere Wünsche an andere Enoderi leiten. Die Gabe einer Baumhüterin ist sehr viel stärker. Eine gute Baumhüterin kann auch andere Pflanzen spüren und, wenigstens teilweise, beeinflussen. So, wie ein Auraträger die Empfindungen lebender Wesen lenken kann.“
„Wo ist Bergos? Wann kommt er?“, fragte das Mädchen prompt.
„Er ist mit einigen Hornlöwenreitern im Westen und wird heute zurückkehren“, versicherte Neredia. Sie deutete auf die Wand. „Auch ich muss meine Hand auflegen, um meinen Willen zu bekunden.“
„Ja, das kann ich auch“, bekannte Eolanee bereitwillig.
„Möglicherweise kannst du noch weit mehr.“ Neredia lachte und strich Eolanee eine Locke aus dem Gesicht. „Weißt du, dass sich die Wand deiner Schlafkammer in der Nacht oft verändert hat, während du geschlafen hast?“
Eolanee zuckte die schmalen Schultern. „Das war ich nicht, Neredia, ganz ehrlich.“
Die oberste Baumhüterin machte eine beschwichtigende