DIE HAVARIE. Klaus J. Hennig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus J. Hennig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844239164
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Ohren auf, hört dies und das, macht sich einen Vers darauf. Aber eigentlich stochere ich nur im Nebel. Kein Wunder, daß meine Berichte mehrheitlich Phantasie und Schneegestöber waren, sie wollten es ja nicht anders.

      Wie nur unter all dem Fett die Venen finden? Er wollte es im warmen Wasser liegend gemacht haben. Was er sich nur davon versprach? Weniger Schmerzen? Leichteres Hinübergehen, wie im Dämmer eines Halbschlafes?

      Dieser ehemalige Unteroffizier oder Feldwebel, ein gewisser Aelius Tullius vom Seeamt, war jedenfalls nicht gekommen. Sein Klient immerhin. Er sei hier auch nicht dringend erwünscht, hatten die Zwillinge auf meine Frage gesagt. Zickenspitz. Ein untersetzter, häßlicher Kerl; vor einem Jahr ungefähr hatte ich ihm einen Abszeß am Hals geöffnet, Schmerz konnte er ertragen, ein maulfauler, sturer Kommißkopf. Doch daß ich diesen Tullius niemals wiedersehen würde, daß der schon aus der Stadt verschwunden war, als ich noch bei dem Ex im Bad hockte, das wußte ich da noch nicht. Auch auf dem Seeamt hatte ihn an niemand mehr gesehen, und die Miete seiner Wohnung war seit kurzem überfällig. Soweit der Griffel, meine Augen und Ohren im Seeamt.

      Diesmal hatten sie mich bei der Neptunstherme abgepaßt, Lupus Mielcus, weiß der Schinder, welche Namen ihre Väter ihnen einmal in Wahrheit gegeben hatten. Miese Leut. Kamen sich wie Intellektuelle vor, als sie mir den Decknamen Aesculap verpaßt hatten, diese Chamojrim. In ihrer üblichen, übertrieben geheimnistuerischen Manier, sie schienen ernstlich zu glauben, dadurch unauffällig zu sein, hatten sie mir einen amtlich aussehenden Brief zugesteckt. An das Seeamt in Ostia. Die Adresse hatte ich eben noch lesen können, bevor sie mich ziemlich scharf fragten, ob ich etwa gedenke ihn hier auch noch laut vorzulesen, und was ich denn glaubte, worum es eigentlich ginge? Der Brief müsse an den richtigen Mann kommen, und zwar schnellstens, ich wüßte schon an wen, und derjenige solle ihn zur Kenntnis nehmen, ebenfalls schnellstens, und ob das klar sei. Nähere Ausführungshinweise erübrigten sich wohl bei meiner Intelligenz. Ich war geschmeichelt.

      Über meinen Antrag war natürlich immer noch nicht entschieden. Würde noch bearbeitet, seit Monaten dieselbe Leier. Dieser eine Fall noch, kämen diesmal ohne mich überhaupt nicht weiter, Chefsache, absolut vorrangig, danach aber würde man sehen. Ganz sicher. Nur dieser Fall noch. Dieser eine. Hatten mich natürlich in der Hand, diese Drecksäcke - wenn meine Legende aufflog, ginge ich für den halben Preis in irgend ein Provinznest. Ich wollte aber nach Rom. Nach meiner Freilassung. Das Geld dafür hatte ich längst zusammen, zu einer eigenen Praxis reichte es auch, einer kleinen, für den Anfang. Für meinen Patron hätte ich immer noch da sein müssen, natürlich - Gott, wenn der jemals erführe, daß ich überhaupt kein Grieche bin ... Wer geht denn zu einem judäischen Arzt? Ein paar verlauste Tiberschiffer vielleicht, bei der Hautevolee hier wäre ich glatt unten durch. Und Rom hätte ich mir ganz abschminken können. Das weiß die Firma ganz genau. Dabei hätten sie nach meiner Freilassung immer noch auf mich zählen können, über die ersten Häuser hier in Ostia wissen sie doch ohnehin alles nur durch mich. Ob sie fürchteten, ich käme sie teurer als Freigelassener? Haben doch Geld wie Mist in ihrem Tabularium. Oder nebenan im Saturntempel. Wen müssen die denn fragen, wenn sie in den Staatsschatz greifen wollen? Lupus Mielcus sagten immer, solange ich ihnen das Ostia-Netz führte, sei ich unentbehrlich - Gott, wie schmeichelhaft. Was war hier groß zu führen, man war doch schon froh, wenn diese Tunten einem für einen schnellen Fick einigermaßen Brauchbares lieferten. Oder für ein paar vage Versprechen. Mit dem Griffel hatte ich allerdings Glück, der wußte sehr gut, daß ich seine Beförderung in das Seeamt gedeichselt hatte. Ihm mußte ich nur noch ab und zu andeuten, daß in dieser Hinsicht noch nicht aller Tage Abend sei, dann brauchte ich ihn nicht einmal mehr zum Essen ausführen.

      Der Senator wurde unruhig. Einer der Zwillinge kam schon mit heißem Wein aus der Küche. Sie waren nicht ungeschickt, dennoch lief eine Menge davon aus den tiefen Falten, die seine Mundwinkel verbargen, und verteilte sich im Badewasser. Sein Blut darin würde gleich anders aussehen, wolkiger, und sich nicht so rasch verteilen. Der Senator hustete etwas und sprach plötzlich mit überraschend klarer Stimme.

      »Fangt endlich an!«

      Die Zwillinge wichen mir aus, aneinander gedrängt. In ihren geschminkten Gesichtern, ihren rötlichen Augen, stand etwas wie Gier.

      II

      

Es besteht Anfangsverdacht! Na wundervoll - sie wissen also nichts. Haben nichts in der Hand, nicht das Geringste. Gerüchte, bestenfalls. Üble Nachrede, Häme natürlich reichlich. Tullius las die Aktennotiz noch einmal, langsam und mit halblauter Stimme; es schien ihm, als verstünde er derartige, von der Tradition unendlicher Bürojahre geprägte Texte, so ein wenig leichter.

      »An Seeamt Ostia. Betr. Havarie des Handelsschiffes Orion. Es besteht Anfangsverdacht gegen Unbekannt auf Unterschlagung, Betrug oder den Versuch der Unterschlagung und des Betruges zum Nachteil der an ihrer letzten Reise beteiligten Reeder, Befrachter, Finanziers und Importeure, in Zusammenhang mit dem Schiffbruch der Orion im vorletzten Winter vorgenannte Straftaten tatsächlich begangen oder zu begehen versucht zu haben. Veranlassung des Nötigen seitens zuständiger Stellen wird hiermit unter Beachtung entsprechender Sorgfalt angeordnet, da Berührungspunkte mit hierorts anhängigem Staatsschutzverfahren nicht ausgeschlossen werden können. Rom, im August - gez. (unleserlich)«

      Anfangsverdacht gegen Unbekannt - wer verdächtigt hier wen? Die Händler die Seeleute, die Reeder beide, die Finanziers alle zusammen? Neidisches Gequatsche, aber keine Beweise, keine verläßlichen Zeugen. Und er, Tullius, kann sich wieder einmal Blasen laufen, von den alten Kais zum neuen Portus, zu den Corporationen, auf das Forum, und nach Monaten dann eine finale Bemerkung, leicht hingeworfen.

      »Stell die Sache ein, Tullius. Wegen mangelnder Erfolgsaussicht. Schriftlich an alle Beteiligten. Du weißt schon, wie üblich.«

      Neue Stiefelsohlen zahlten sie ihm natürlich nicht, die feinen Pinkel vorne in den Marmorbüros. Gingen aber großkotzig essen, zum Griechen ins Thermopolium womöglich, um sich dort von den spanischen Reedern traktieren lassen.

      »Dürfen wir etwas vom letzten Valdepeñas an Ihre werte Adresse senden lassen, er gefiel Ihnen doch so...«

      Während er sich die Hacken abgelaufen hatte nach Indizien, aus denen eine Anklage zu flechten wäre für eine nette kleine Seeamtsverhandlung mit ordentlichen Schuldsprüchen in Schönschrift, mit Geldstrafen, Folter, Verbannungen - auch ein, zwei kleine Todesurteile gefällig? - nur damit sie in Rom sehen, daß wir hier morgens ausgeschlafen ins Büro kommen.

      »Wir müssen unsere Behörde wieder mehr ins Gespräch bringen. Tullius, mein Lieber, du bist doch ein alter Praktiker! Wir müssen einfach mehr Aufmerksamkeit erregen, sonst fangen sie auf dem Forum an sich zu fragen, ob wir hier überhaupt noch von Nöten sind. Willst du etwa wieder zurück nach Trier oder Mainz oder wo du hergekommen bist? Na also! Aber genau das kann uns passieren. Aus heiterstem Himmel heißt es dann: Alles einpacken! Die Akten ins Archiv; die Beamten nach Caesaria oder Cadiz oder wo immer sonst noch die Welt zu Ende ist. Tullius, mein Lieber - wir haben uns verstanden?«

      Natürlich hatte Tullius verstanden, wie immer, denn Tullius ist Soldat bei der V. Legion 'Alaudae' gewesen, dann Unteroffizier, Zahlmeister, zwanzig Jahre in allem, hat dort auch einiges Keltisch gelernt, kein übles Leben geführt als der Sohn eines Freigelassenen, während seines kleinen Aufstiegs in der Armee des Kaisers. Dreier Kaiser, wenn man genau sein wollte. Eingetreten war er in die des finsteren Tiberius, am Rhein Straßen und Hafenkais gebaut in der des durchgeknallten Caligula und Karriere gemacht unter dem lahmen Claudius. Die dreitausend Denare Entlassungsgeld lagen noch in ewiger Ferne, als er Gefreiter wurde. Zwar hatte er durch diese Beförderung kein As mehr auf der Naht, mußte sich aber den Arsch nicht mehr im Außendienst aufreißen. Jetzt saß er auf Schreibstube und hielt den Unteroffizieren die Listen in Ordnung. Es sollte jedoch noch erstaunlich lange dauern, bis man ihm endlich die nächst höheren Abzeichen verlieh. Immer hatte es geheißen, daß kein anderer da wäre, der so korrekt, so verläßlich seine Arbeit machte, dessen Gedächtnis so weit zurück reichte, den man nach längst Vergangenem nur zu fragen brauchte und sich nicht erst lange in der Legionsablage auf die Suche machen mußte. Er sah, wie weniger Verläßliche, Vergeßlichere, Schlampigere als er, an ihm