Ich schneide dir die Ohren ab - bis auf zwei. Babette Guttner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Babette Guttner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741849954
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aufsagen konnten, haben Tatzen bekommen.

      Man musste die ausgestreckte Hand hinhalten und er hat mit einem Rohrstock oder noch schlimmer ein Lineal mit Stahlkante über die Finger gezogen. Manchmal ist die Haut aufgesprungen und es tat höllisch weh.

      Ich habe mich schon richtig gefürchtet, wenn er den Raum betrat.

      Alle Eltern der 3. Klasse haben sich beim Lehrer beschwert, über diese üble Methode. Meine Mitschüler haben mir geraten, dass ich doch zu Hause von den Vorfällen erzählen soll. Sie hätten es auch so gemacht. Daraufhin hätten sich ihre Eltern beim Lehrer beschwert und jetzt wurden sie in Ruhe gelassen. Ich habe meinen ganzen Mut zusammengenommen und meiner Mutter davon erzählt. »Wenn ich noch einmal etwas dergleichen höre, dann bekommst du von mir auch noch Schläge«, schimpfte sie. Ich war richtig enttäuscht, ich hätte mir so gewünscht, dass sie sich für mich einsetzt, so wie die Eltern meiner Mitschüler. Von da an wurde meist nur ich vom Pfarrer abgefragt. Denn mich konnte er ohne Konsequenzen bestrafen.

      Aus lauter Angst bin ich immer im Text stecken geblieben und ich konnte nicht mehr weiter sprechen. Wenn der Geistliche dann auf mich zu kam und mit missfallendem Blick ansah, war mein Hals wie zu geschnürt. Alles was ich vorher noch gut konnte, war auf einmal vergessen. Er hat mich beschimpft und ich wäre trotzig, hat er behauptet, dabei war ich doch nur schüchtern und habe mich gefürchtet. Dann habe ich halt die »wohl verdiente Strafe« angenommen. Ich fühlte mich schrecklich hilflos.

      Zu Hause habe ich mir nichts zu sagen getraut. Ich schlich mich dann hinter einen großen Holzstoß, wo man mich nicht sehen und hören konnte, und habe ganz fürchterlich geweint.

      Am Tag der hl. Kommunion trug ich ein langes weißes Kleid. Es wurde von einer Schneiderin im Dorf genäht. Am frühen Morgen hat uns mein Onkel in die circa vier Kilometer entfernte Kirche gefahren. Ich war die Einzige die mit dem Auto ankam. Alle anderen mussten den weiten Weg zu Fuß gehen.

      Meine Gedanken kreisten nicht wie das sein sollte, um den Empfang des Leibes Christi, sondern mich bewegten ganz andere Dinge. Ich hatte schreckliche Angst in der Kirche etwas verkehrt zu machen. Obwohl wir wochenlang geprobt hatten. Was für eine Blamage wäre das, und ich wäre dann vor allen Leuten, von meiner Mutter oder vom Pfarrer geschimpft oder noch schlimmer geschlagen worden. Ich war so verängstigt, dass ich ihnen das zugetraut hätte.

      Als das Auto vor dem Pfarrhof anhielt, kam sogleich der Pfarrer gesprungen und hatte uns die Autotür aufgemacht. Vor meinen Onkel hat er den Diener gemacht und er war so freundlich, wie ich ihn noch nie vorher gesehen hatte.

      Seitdem weiß ich, dass Menschen zwei Gesichter haben können.

      Diese Kirche war eine Expositur. Das heißt, dieser Priester war einem Pfarrer in der Nachbarpfarrei unterstellt. Er bekam vom Ordinariat keine eigene Pfarre zugewiesen. Seine Fähigkeiten reichten nicht aus, eine eigene Pfarrei selbstständig zu führen. Damals wusste ich das nicht, und selbst wenn, es hätte nichts genützt. Im Nachhinein erklärt sich da manches.

      Vor dem Einmarsch in die Kirche sind wir der Größe nach aufgestellt worden. Ich war ganz hinten. Über eine Treppe gelangten wir vom Pfarrhof zu dem Kirchplatz. Ungewohnt in einem langen Kleid eine Treppe empor zu gehen, bin ich gleich am vorderen Saum drauf gestiegen. Es hat glaube ich niemand bemerkt. Das Kleid hochheben und in der einen Hand die Kerze in der anderen das Täschchen und das Gebetbuch, kein einfaches Unterfangen. Als ich endlich in der Kirchenbank saß, war ich heilfroh.

      Aber so ein feierlicher Gedanke wollte sich bei mir immer noch nicht einstellen, aus lauter Angst, dass ich etwas verkehrt mache. Ich war so konzentriert und habe mich wie eine Marionette bewegt. So richtig mitbekommen habe ich von der Feierlichkeit nicht viel.

      Beim Ausmarsch war ich froh, dass alles gut gegangen ist.

      Zu Hause angekommen war der Tisch schon gedeckt. Es gab Zickleinbraten mit Semmelknödel und Salat.

      Mein Großvater hat das Fleisch zu meinem Ehrentag besorgt.

      Das Beste war, dass ich das schöne Kleid den ganzen Tag anbehalten durfte und meine Großmutter bestimmte, dass ich heute nicht ausgeschimpft werden durfte.

      Tatzen habe ich vom Pfarrer auch nicht mehr bekommen, weil mein Großvater eine großzügige Spende für die Kirche gemacht hat, und weil wir doch ein Auto hatten.

      In den Sommerferien besuchte uns eine Tochter meiner Großeltern, die in Norddeutschland verheiratet war, mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen. Meine Mutter hat mir eingeschärft, bloß keinen Ärger zu machen. So genau wusste ich nicht was sie von mir wollte.

      Da ich mich sonst ständig unter Erwachsenen bewegte, freute ich mich riesig einmal mit Kindern, meines Alters zu spielen und war natürlich sehr ausgelassen. Meiner Mutter gefiel das gar nicht. Wahrscheinlich wollte sie, ihrer Schwester, eine gut erzogene und folgsame Tochter präsentieren. Das ging leider schief. Ich war lebhaft, wie meine Großmutter sagte. Eigentlich wollte ich nur die Aufmerksamkeit und die Liebe meiner Mutter erringen. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mich je in den Arm genommen hat. Lob kannte ich von ihr gar nicht. Sie schimpfte nur, wenn Dinge nicht nach ihren Wünschen passierten. Es war immer wie eine Mauer zwischen uns. Kaum kam ich ihr ein bisschen näher, hat sie mich wieder geohrfeigt und der Abstand ist wieder da gewesen. Meist sind es nur Kleinigkeiten gewesen um die es da ging. Einmal durfte man bestimmte Sachen machen ein andermal wieder nicht. Ständig habe ich versucht alles richtig zu machen, nur ist es mir fast nie gelungen.

      Das Brot wurde immer selbst gebacken, das hat meine Mutter gemacht. Um vier Uhr ist der Sauerteig angesetzt worden und nach Stunden immer wieder durchgeknetet. Das wiederholte sich einige Male. Inzwischen hat mein Großvater den großen Backofen angeheizt. Später sind aus dem Teig Laibe geformt worden und in Strohschüsseln zum Gehen bereitgestellt. Im Backofen ist das Buchenholz herunter gebrannt und das gemauerte Gewölbe hat sich aufgeheizt. Mit einer Art Schaufel wurde der Backofen ausgeräumt. Die Asche ist dann noch mit einem sogenannten Federwisch, ein getrockneter Gänseflügel, sauber ausgefegt worden. Auf eine runde Holzscheibe mit langem Stiel daran, wurde das Brot aus der Strohschüssel gestürzt. Erst dann wurden die Brote gleichmäßig im Backofen verteilt. Sie wurden in den Ofen geschossen. Als sie fertig waren wurden sie herausgeholt und in der Resthitze sind dann noch Hefekuchen gebacken worden. Auf dem Hefeteig kamen Obst oder im Winter einfach nur Butter mit Zucker bestreut. Es hat herrlich geduftet und köstlich geschmeckt. Wir haben das Brot noch lange selber gebacken. Obwohl ein Bäcker aus der Stadt einmal in der Woche mit seinen Backwaren vorbei kam, denn Bäcker hat es auf den Dörfern nicht gegeben. Ab und zu hat meine Tante eine Schar Semmel gekauft, das waren vier Brötchen, die aneinanderhingen. Dann hat sie ein Teil abgebrochen und mir gegeben. Darüber habe ich mich riesig gefreut.

      Am Abend ist mein Onkel heimgekommen. Alle saßen um den Esstisch und warteten auf das Abendessen. Nur der jüngere Sohn meiner Tante Bärbel war nicht anwesend.

      »Wer hat den die Ziegelsteine aus dem Backhaus gehauen«, fragte er. Es klaffte ein großes Loch neben der Backofentür.

      Keiner hatte eine Ahnung. Ich auch nicht. Den Backofen würde man noch eine Weile brauchen, es ist unverständlich so etwas zu tun. Alle starrten sie auf mich und meine Mutter hat mich auch schon bei den Haaren an sich herangezogen und mich vor allen Verwandten verhauen, trotzdem ich beteuerte: »Ich war es nicht.« Meine Großmutter meinte, es ist doch gar nicht sicher, dass sie gewesen ist. Großvater schüttelte nur mit dem Kopf. Die Tante Bärbel meinte nur, sie könnte ja noch ihren Sohn fragen, wenn er kommt.

      Heulend saß ich auf der Bank und hatte so eine Wut im Bauch, weil ich es doch nicht war und trotz meiner Beteuerungen bestraft wurde.

      Als wir mit dem Essen fast fertig waren, kam der »verlorene Sohn« zur Tür herein. Schon alleine für das zu spät kommen zum Essen, hätte ich schon Ohrfeigen bekommen.

      Er durfte das und keiner sagte etwas. Unvorstellbar für mich.

      Seine Mutter hat in gefragt, ob er die Ziegel entfernt hätte.

      Ja meinte er, er wollte nur mal das Werkzeug ausprobieren.

      Es war ganz still in der Küche und ich hatte gehofft, dass er jetzt geschimpft oder sogar geschlagen