Ich schneide dir die Ohren ab - bis auf zwei. Babette Guttner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Babette Guttner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741849954
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hat sich dadurch nichts. Die kommenden Muttertage habe ich immer gefürchtet. Wenn ich an Muttertag denke, sehe ich immer noch die hingefeuerten Blumen auf der Fensterbank liegen. Seitdem habe ich eine sehr geteilte Einstellung zu diesem Tag.

      Heute feiere ich keinen Muttertag mehr, obwohl ich Mutter bin.

      Ich habe immer dann Muttertag, wenn meine Kinder mich besuchen.

      Bei den Hausaufgaben hat mir niemand geholfen und sie wurden auch nicht kontrolliert. Ich habe gern gelernt und ich war wissbegierig. Als dann immer das Zeugnis kam, ich hatte ein sehr gutes. Meine schlechteste Note, eine Drei in Schrift. Denn ich schrieb in der Schule einen Text an die Tafel, den die anderen Kinder ins Heft schreiben mussten. Da ich den Text auch noch in mein Heft schreiben musste, hab ich halt schnell schreiben müssen. Das ergab halt kein schönes Schriftbild. Bei den Hausaufgaben habe ich »aus Zeitmangel« halt auch geschmiert. Meine Mutter ist dann stets ausgerastet und hat mich geschlagen. Daraufhin meinte meine Großmutter: »Mach doch mit ihr die Hausaufgaben. Du kannst dann den Haushalt führen und dich um deine Tochter und um mich kümmern.« Aber das wollte meine Mutter nicht. Sie hat lieber im Sägewerk gearbeitet. Und ich bin immer hinter meiner Tante hergelaufen. Mit der ich mich gut verstand. Sie hat mir manches gezeigt und wenn ich es nicht richtig machte, wurde ich von ihr auch nicht geschimpft.

      Auf meinem Schulweg musste ich so vierhundert Meter am Wald entlang gehen und dann an der Mühle mit Bauernhof vorbei und noch ca. fünfhundert Meter bergauf bis an den Ortsanfang. Dort stand die Schule. Vom Klassenzimmer aus konnte ich auf das Sägewerk blicken. An der Mühle vorbeigehen, das mochte ich nicht so gerne weil meist der große Schäferhund am Straßenrand lag. Vor ihm habe ich mich sehr gefürchtet. Leider konnte ich nicht ausweichen, denn es gab keinen anderen Weg zur Schule. Direkt an der Mühle musste ich über den Bach. Ich bin ganz ängstlich vorbei gegangen und immer nach dem Hund geschaut oder ich habe gewartet bis jemand aus dem Stall kam, dann bin ich schnell vorbei gegangen. Die Nachbarn haben mich nur ausgelacht und gemeint. »Der Hund ist ganz brav und tut dir nichts.« Jahrelang bin ich immer mit dieser Angst an der Mühle vorbei geschlichen. Jeden Tag. Das war der Horror. Meiner Tante Irma habe ich davon erzählt. Sie hat mit den Nachbarn gesprochen, sie sollten doch den Hund anketten bis ich in der Schule wäre. Ein paar Mal hat es geklappt, dann war es wieder dasselbe. Ich glaube sie haben sich köstlich über meine Ängstlichkeit amüsiert. Mein Großvater hat deswegen vorgesprochen, aber es hat nichts genützt.

      Eines Tages auf dem Heimweg von der Schule, ich war schon fast am Hof vorbei, ist der Hund plötzlich hinter mir hergesprungen und hat mich in den Oberschenkel gebissen. Mein Kleid und meine Unterwäsche waren zerrissen und das Blut ist mir über die Beine gelaufen. Heulend lief ich nach Hause. Mein Großvater hat sofort den Arzt geholt und ich bekam eine Spritze und bin verbunden worden. Dann ist er zu unseren Nachbarn gegangen und hat von dem Vorfall berichtet. Einige Zeit war der Hund an der Leine, aber ich habe mich trotzdem gefürchtet, als ich da vorbei gehen musste.

      Dann haben sie einen neuen Hund bekommen und das Spiel ging wieder von vorne los. Der Hund tut nichts und ich wäre jetzt ja schon groß, ich soll mich nicht so anstellen.

      Im Frühsommer sind dann die Maurer zu uns gekommen, denn es wurde ein Stall gebaut.

      Bisher standen die Kühe im Hausanbau mit Zugang zum Flur. Nur durch eine Doppeltüre getrennt. Eine Türe führte direkt vom Stall ins Freie zum Misthaufen, der sich mitten im Hof befand. Jetzt ist hinter dem Stall eine Jauchegrube betoniert worden und es wurde ein neuer Misthaufen außer Sichtweite angelegt. Die Kühe bekamen eine Selbsttränke montiert und Abstandsgitter an den Futtertrögen. Das Futter musste man jetzt nicht mehr zwischen den Rindern vorbei in die Raufe heben. Sie bekamen einen durchgehenden Trog an dem man bequem vorbeigehen konnte. Das Futter wurde von vorne in den Trog gespießt. Wo früher der Mist lag, ist ein betonierter Autowaschplatz mit Gulli entstanden. Wir haben ein neues Waschhaus, ein Spülklosett und ein Bad bekommen.

      Das Bad mit einer Emaille – Wanne und einem mit Holz beheizten Warmwasserboiler. Der alte Stall ist grundsaniert worden und daraus wurde ein Büro. Schreibtische standen darin, Regale mit Ordnern und eine Schreibmaschine, die mich magisch anzog. Doch leider durfte ich darauf nicht üben. Wenn ich es einmal doch probierte, wurde ich fürchterlich ausgeschimpft und auf die Finger geklopft. Unnötig Papier- und Farbbandvergeudung nannten sie das. Nur wenn meine Cousine aus der Stadt zu Besuch kam, die durfte damit üben. Sie könnte es ja Mal beruflich brauchen. Ich habe sie sehr beneidet.

      Einmal im Jahr bin ich mit meiner Tante Linda zum Zahnarzt gegangen. Als ich das erste Mal mitgehen musste, haben sie mir alle wahre Schauermärchen erzählt. Von dem Stuhl, in dem man sich setzen musste, und von den großen Zangen, mit denen der Zahnarzt die Zähne reißt. Nach einem siebeneinhalb Kilometer langen Marsch sind wir endlich in der Praxis des Zahnarztes angekommen. Im Wartezimmer setzten wir uns auf die gepolsterten Stühle, solange bis wir in den Behandlungsraum gebeten wurden. Termine sind damals nicht gemacht worden. Man ist einfach hingegangen und hat gewartet bis man an der Reihe war. Ich hatte solche Angst, aber als wir in das Sprechzimmer gebeten wurden, war ich so müde, dass es mir egal war was auf diesem Stuhl mit mir passieren würde. Außerdem hat sich meine Tante vor mir behandeln lassen, es schien nicht sehr schmerzhaft zu sein. Jedenfalls hat sie nicht geschrien.

      Wenn ich mich anständig benehme und keinen Pieps mache, so hat mir meine Tante versprochen, gehe sie mit mir in den Krämerladen und kauft mir Zuckerln. Sehr sinnig. Aber es ist alles gut gegangen. Ein bisschen gebohrt und fertig.

      Im Sommer sollten wir an die allgemeine Stromversorgung angeschlossen werden.

      Dazu mussten große Masten gesetzt werden. Vom nächstgelegenen Ort führte die Trasse über Wiesen und Felder der dortigen Bauern. Der Landkreis war der Bauträger und hat Arbeiter damit beauftragt die Löcher für die Strommasten von Hand zu graben. Als dann die Firma mit den Eisenmasten ankam und sie einbetonieren wollten, waren einige Löcher wieder zugeschüttet. In der Nacht haben einige Bauern, die nicht damit einverstanden waren, dass in ihren Feldern so ein Ungetüm stand, ganze Arbeit geleistet und die Löcher wieder zugefüllt. Schließlich ist die Polizei gekommen und hat die Übeltäter ausfindig gemacht. Ob sie eine Strafe bekommen haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber den Stromanschluss haben wir dennoch, wenn auch mit Verzögerung bekommen.

      Die Elektriker verlegten Kabel, montierten einen großen Schaltkasten zur Stromverteilung, an der Innenwand, gleich neben dem Eingang zum Sägewerk. Jetzt konnte man jederzeit Bäume durch das Gatter lassen und musste nicht auf einen mit Wasser gefüllten Weiher warten. Ohne Wasser, keine Energie. War nun genug Wasser da, drehte sich das Rad und der erzeugte Strom wurde ins Netz gespeist. So konnte das ganze Wasser ausgenützt werden. Früher, wenn kein Wasser zum Schneiden gebraucht wurde, wurde eine sogenannte Schütze am Weiher-Einlauf herunter gelassen, dass der Weiher nicht überläuft. Das Wasser floss dann ohne Umweg über den Weiher, ungenützt im Bach weiter.

      Mit der Stromversorgung kam dann auch das Telefon.

      Dazu musste vom nächstgelegenen Anschluss, der ca. anderthalb Kilometer von uns entfernt war, ein Kabel zu unserem Haus verlegt werden. In Eigenleistung wurden Telegrafenmasten in gleichmäßigen Abständen neben der Straße gesetzt. Dazu sind Löcher mit Pickel und Schaufel gegraben worden. Die von der Rinde befreiten Baumstangen hat man hingestellt und das Erdreich wieder in das Loch geschaufelt und festgestampft. An den ca. 3 Meter hohen Stangen sind Halterungen befestigt worden und darin das Telefonkabel geführt.

      Das Telefon selbst war ein schwarzer Kasten mit einer Messinggabel, darauf lag der Hörer. An der Seite befand sich eine Kurbel. Wollte man telefonieren, nahm man den Hörer ab und dann drehte man an der Kurbel. Dann wartete man bis sich das Fräulein vom Fernamt meldete, und dort teilte man seine Verbindungswünsche mit. Sofort hat sie uns mit dem gewünschten Teilnehmer verstöpselt. Meistens hat es funktioniert. Nach dem Gespräch legte man den Hörer wieder auf die Gabel, drehte wieder an der Kurbel, denn erst dann war das Gespräch beendet und beim Fernamt abgemeldet.

      Ansonsten ging in der Schule alles so weit prima, bis wir in der 3. Klasse vom hochwürdigen Herrn Pfarrer Kommunion-Unterricht bekamen. Wir wurden als Erstes darauf hingewiesen, dass wir elende Sünder wären und in der Hölle schmoren werden, wenn wir nicht bald den rechten Weg einschlagen würden. Bis heute weiß ich nicht, was