Harald Schmidt freut sich währenddessen diebisch, wie im Interview mit Tina Hildebrandt („Ich will mehr Skandale“, in: Die ZEIT, Nr. 10., 28.2.2008, S. 6): „Ich habe kürzlich eine sensationelle Sendung im WDR gesehen: drei Hartz-IV-Empfänger, die mit ihrem Leben zufrieden sind. Die Reporter waren verzweifelt, die wollten hören: ‚Ich will einen Job, lasst mich hier nicht so hängen. Aber die Leute saßen rauchend in einer schönen Wohnung und sagten: ‚Ne, danke, reicht!’ Der zufriedene Hartz-IV-Empfänger - das ging wirklich schon ins Philosophische.“ Wohlwollend könnte man Harald Schmidt unterstellen, er übertriebe, um den Hartz-IV-Empfängern bewusst zu machen, dass hier lediglich Oberfläche mitgeteilt sein solle. Letztendlich wirkt die Begeisterung Harald Schmidts jedoch eher wie Hohn und Zynismus. Eine derart an Flachheit interessierte Skandalphänomenologie, die darauf bedacht ist, den Weg für immer wieder herbei zu redende Ideologiefreiheit zu räumen und einen falsch verstandenen Homo Ludens (Huizinga, 1956) – ebenso falsch verstanden und benutzt wie im ökonomischen globalistischen Schlagwort „Wettbewerb“ – unausgesprochen favorisiert, wird sich auch weiterhin an der existenziellen Zerreißprobe zwischen Unten und Oben erfreuen. Es geht halt immer noch ein bisschen flacher – und auch immer noch ein bisschen doller. Verletzung von Grenzen durch Zynismus, intellektuelle Überlegenheit und Wissen wird zur beklatschten Pseudo-Philosophie.
Letztendlich bin ich der Meinung, dass die Freude am Phänomen, Skandal und Deutungsvielfalt nicht in legitimierte generelle Bestätigung unhaltbarer Verhältnisse münden sollte. Möglicherweise kann die Lektüre des vorliegenden Buches zur notwendig weiter zu führenden Differenzierung und einem erweiterten Verständnis beitragen, weshalb die Hartz-IV-Empfänger sich im Interview in der oben beschriebenen Form präsentier(t)en.
Dies jedoch als möglichen Beleg zu verwenden, es sei in Deutschland alles in Ordnung, da Hartz-IV-Empfänger rauchend in ihrem Wohnzimmer sitzen und Zufriedenheit zur Schau tragen, und damit Anpassungsleistungen im Unten auch noch der doppelten Lächerlichkeit wie Demütigung preiszugeben, ist schon stark. Zwischen Oben und Unten sollte zumindest noch ein Rest von Anstand existieren, wenn schon die Einfühlung in andere Menschen fehlt. Schließlich wollte man doch seitens Ökonomie und einer mittels Medien manipulierten Kultur, dass Menschen möglich nichts mehr merken und gegen ihre eigenen, menschlichen Interessen handeln. Dann sollte man auch konsequent auf diesem Strang lebend und denkend, den Deckel drauf lassen und es anderen überlassen, ihn zu lüften! Denn es bliebe zu klären, wie es zu solch paradox anmutenden Verhalten kommt. Schamtheorien bieten hier eine Basis zur Betrachtung der Szene, die Fremdscham beim Leser oder Zuschauer freisetzen könnte.
Die fehlende Einfühlung drückt sich täglich in neuen wirtschaftlichen Entscheidungen gegen Menschen aus, die in Lebensstrukturen à la Hartz-IV hinein gestoßen werden. Es geht eher darum zu verstehen, wie Menschen eine solche Anpassungsleistung in sozial augenscheinlich völlig ungerechten politischen Verhältnissen dennoch ausbilden, dass sie schlussendlich auch noch zur Legitimation dieser gesellschaftlichen Vorgänge beitragen, sie bestätigen und noch oben auf zur Belustigung beitragen! Zynisch könnte man sagen, die Nebenwirkungen unserer Kultur sind auch in dieser Hinsicht unerschöpflich. Hier ist der Hofnarr zum Beispiel durch Harald Schmidts Wahrnehmung und Intellekt in Deutschland geboren. Und wer hat sie bezahlt? Haben diese Hartz-IV-Empfänger ein Honorar vom WDR erhalten? Wohl kaum, dieses Statement, mir geht’s gut, kostet nichts. Es reicht zur Legitimation wie zur ironischen Lachnummer in der Kultur.
Diese ausschließlich an Profit- und Erfolg orientierte Oben-Haltung wird Menschen nicht retten, nicht gesunden lassen und vor allem nichts auf der Welt besser werden lassen. Menschen werden so, wie sie sind, in alle Ewigkeit konserviert – und damit auch Rechts- und Unrechtsstrukturen.
Wenn wir sehen, was sich im Namen der Zufälligkeit durch fehlende konkrete und generelle Verantwortungsübernahme im Leben von Menschen und weiter, in der Welt ereignet, werden wir es vielleicht hinterher nicht mehr sehen wollen, weil die Gefühle uns überschwemmen. Ein weiterer Grund, Verantwortung abzulehnen. Schutz bietet hier als letzte Abwehr Gefühlskälte. Dann kann man sich auf Kosten anderer amüsieren. Vielleicht sehen wir aber auch gar nichts, weil es uns abgenommen wurde, noch etwas sehen zu können oder überhaupt zu wollen: Weil uns gesagt wird, wie wir etwas zu sehen und zu verstehen haben – oder uns wird gar ein völlig falscher Film gezeigt. Bei diesem vielen „Sehen“ kann einem schwindelig werden, aber nur dann, wenn man seine eigene Geschichte nicht genau weiß und einem Schwindel unterliegt, wie man so sagt. Denn ansonsten würde man fühlen, was die eigene Wahrheit ist, und Krankheits- wie Sozialsymptomen auf die Spur kommen wollen und können. Dann weiß man einfach, wo die Wahrheit zu suchen wäre. Denn, so meine Hypothese, es gibt ihn immer noch, den klaren Blick und das untrügliche Gefühl für Wahrheit.
Das ist die gute Botschaft. Aber wer wagt sich angesichts von allumfassender Komplexität noch an Grundsatzfragen heran und bescheinigt sich selbst, zu wissen, wie sich was verhält und was die Wahrheit ist?
Wie bekannt, gibt es in jeder Familie „Filme“, die die ganze Familie im stillen Einverständnis und unangesprochen immer wieder sieht. Entsprechend laufen das gesamte Familienleben und deren Bedeutungsgebung ab. Wenn aber ein Familienmitglied darunter ist, das sagt: „Da stimmt doch was nicht!“, wird derjenige, der nicht mehr mitspielt, konsequent ausgeschlossen, bevor auch noch der Rest der Familie in seiner Meinung einbricht und vielleicht anderen Sinnes wird. Mit Meinungsmache sorgt man auch politisch dafür, dass alle wieder auf Spur kommen. Man versucht, die alte Tradition, die alte Sichtweise, den alten Film zum Schaden der Mehrheit wie zum letztlich eigenen Schaden aufrecht zu erhalten und weiter abzuspulen, um sich selbst wie denjenigen vermeintlich zu schützen, der droht, entlarvt zu werden, wenn die Wahrheit ans Tageslicht käme. Die Abwehr muss nicht einmal bewusst sein, nicht einmal böse gemeint sein. Sie ist dann allerdings umso wirkungsvoller. Aber sie ist und wird böse – daran geht kein Weg vorbei –, wenn sie immer weiter verfeinert und gefestigt wird. Ein schwieriger und steiniger Weg! Denn wer wollte den im Grunde so lieben Menschen, ob in Familie oder Politik oder in der Wirtschaft etwas nachsagen wollen? Realisiert wird in solchen Fällen weder in Familien noch offenbar in Politik und Wirtschaft, dass man damit unzählige Schäden, Verletzungen, Krankheiten und Strukturierungen von Lebensläufen, Ungerechtigkeiten wissentlich oder unwissentlich in Kauf nimmt. Nur zu einem Zweck: Alles bleibt, wie es immer war – schön aufgeteilt in Besitzende und Besitzlose. Man will partout nicht begreifen, was diese Haltung inhaltlich für das Leben bedeutet.
Die Frage, welches Land und welcher Boden einem Menschen zugehörig ist, ist ebenso brisant wie die Frage, ob dem Menschen noch seine Seele gehört. Der Körper ist ihm nachhaltig abgeknöpft worden: Körper sind Materie, mit der man wirtschaftlich arbeiten und die als Munition in Kriegszeiten eingesetzt wurde und wird. Die Methoden, ihn zu benutzen und strategisch einzusetzen, sind ungezählt wie die Formen, mit ihm Geld zu machen. Lebt diese „Materie“ als der jeweilige Mensch weiter, hat sie/er das Erlebte nicht vergessen, und ob es jemals vollends psychisch und körperlich verarbeitet wird und die Sehnsucht nach Einheit und Gesundheit erfüllt, ist stark zu bezweifeln. (Siehe unten auch zu Hustvedt in: „Die doppelte Frau.“)
Nun hat das mächtigste Organ der Vereinten Nationen, der Sicherheitsrat, unter der Nummer 1820, eine Resolution verfasst, für deren Anerkennung Frauen seit Jahrzehnten gekämpft haben: Sexuelle Gewalt habe das Ausmaß einer globalen Krise angenommen. Diese Resolution wurde auf dem Hintergrund der Tatsache verfasst, dass im Ostkongo 70 % aller Frauen seit 1997 durch Rebellen, Soldaten und Milizionäre vergewaltigt worden sind: „Seit 2002 herrscht im Kongo offiziell Frieden. Die Vergewaltigungen gehen weiter.“ (Andrea Böhm, 2008, Titelseite).
Der Sicherheitsrat hat anerkannt, „dass Vergewaltigungen immer wieder als Kriegsstrategie eingesetzt werden und als Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Teil eines Völkermordes zu ahnden sind. (...) Systematische sexuelle Gewalt ist kein soldatisches Kavaliersdelikt mehr, sondern – so steht es ausdrücklich in der Resolution 1820 – eine Gefahr für Frieden und Sicherheit. Genau wie Waffenschmuggel, Hunger und Terrorismus.“ (ebd. 2008.) Warum ist Vergewaltigung so wirksam? Antwort: „Der Körper des Opfers als