Im Oktober 2008 erhielt die Kölner Ärztin Monika Hauser den alternativen Nobelpreis, weil sie sich seit 15 Jahren gegen Vergewaltigung von Frauen einsetzt. Sie eröffnete 1993 das Therapiezentrum Mecia Zenica in Zentralbosnien und danach auch in Köln im „medica mondiale“, in dem sie weiblichen Kriegsflüchtlingen hilft. Sie sagt: „ Die Geschichten der vergewaltigten Frauen seien ‚tief in ihr vergraben’. Sie sind unvergessen, belastend, aber treiben sie auch an, im Kampf gegen die Kriegsverbrechen an Frauen, ‚die immer noch mit einem Handstreich vom Tisch der Geschichte gefegt werden.“ (Ruhr Nachrichten, 2.10.2008) Monika Hauser lehnte das Bundesverdienstkreuz 1996 wegen des Beschlusses der deutschen Innenministerkonferenz, die bosnischen Flüchtlinge trotz der damals instabilen und katastrophalen Zustände in Bosnien „zurückzuführen“, ab.
Vor über 30 Jahren wurde, gleichfalls wie in zig anderen Städten in Deutschland, über den Verein Frauen helfen Frauen ehrenamtlich ein Frauenhaus in Dortmund initiiert und nach vielen Querelen hinsichtlich der Finanzierung erkämpft. Eine ambulante Beratungsstelle für Frauen folgte in der Stadtmitte. An dieser Stelle möchte ich an die vielen Frauen erinnern, die ohne einen Pfennig für ihre Arbeit zu bekommen, Jahre und Jahrzehntelang für diese Möglichkeiten der Versorgung vergewaltigter, geschlagener und missbrauchter Frauen und Kinder kämpf(t)en. Sie werden in diesen politischen Zusammenhängen gleichfalls gern vom Tisch gefegt und ggf. für andere politische Zwecke benutzt. Wie Monika Hauser vergraben auch sie die gehörten und gefühlten Geschichten der Frauen tief in sich, die sie immer wieder antreiben, initiativ zu werden – so, wie mich selbst auch. Diese Geschichten leben in den Seelen und dem Leib der Opfer und derjenigen, die gegen Vergewaltigung, Missbrauch und Gewalt vorgehen und anarbeiten, weiter. Da Menschen, die wenig Berührung mit diesem Thema haben und deren Phantasie schnell ausgeht, was da zwischen Menschen im Falle von Vergewaltigung, Missbrauch und Gewalt vor sich geht und erlebt wird, könnte angeregt werden, diese Geschichten anonym zu sammeln und zu veröffentlichen – und wenn es möglich wäre, den weiteren Lebensweg zu erfragen und zu beschreiben, kann vielleicht verstanden werden, was es bedeutet, Gewalt, Missbrauch und Vergewaltigung erlebt zu haben. Die Schwierigkeit bei Opfern ist zum einen, über das, was sie erlebten zu sprechen. Sie erlebten tiefe Scham aufgrund der tiefen Verletzung ihres Selbstwertes und zusätzlich körperlicher Schäden und Verstümmelungen. Zum anderen wird diese gesteigert durch die hinzutretende gesellschaftliche Stigmatisierung und Vermutung, sie hätten die Tat provoziert und seien selbst Schuld an dem, was ihnen widerfahren ist. Warum Opfer dies so empfinden, beschreibe ich an anderer Stelle. Dass der Umgang mit derartigen Delikten immer noch emotional zwiespältig gepflegt werden kann, ist rückführbar auf Machtstrukturen, die von Männern gnadenlos gegen Frauen zum Zwecke der (abartigen) sexuellen Befriedigung, Genugtuung aufgrund von Rache oder anderen Vorteilen, wie politischen Vorteilen in Kriegsgeschehen (oder in Familien) zu verwirklichen. Um die Opfer zu schützen und sie keinen weiteren Traumatisierungen bzw. Retraumatisierungen auszusetzen, wäre mein Vorschlag, dass diejenigen anonymisiert berichten, die diese Geschichten von den Frauen unter Tränen und Schmerzen erzählt bekamen und diese tief in sich während der letzten 30 Jahre in Deutschland vergruben. Zu prophezeien wäre, wird dieser die Erlebnisse dieser Geschichten konservierende Deckel, geöffnet, verbreitet sich ein bestialischer Gestank über Deutschland und den Rest der Welt – nicht aufgeilend und pervertiert wie in den „Feuchtgebieten“ (Roche, 2008) zu lesen und nun auch noch hölzern auf der Bühne zu sehen, dafür hart an der seelischen Realität von Millionen von Frauen (und auch Männern). Männer, die diese Taten verüben und verübten, gehören zu diesen Erlebnissen dazu. Geschichte wird mit derartig nicht gesagten und verheimlichten Geschichten geschrieben und dient Machtstrukturen, die sich aus Schweigen und Scham erhalten. So zeigte eine repräsentative Umfrage, dass rund 40 Prozent aller Frauen ab dem 16. Lebensjahr in Deutschland körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt haben. Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer Dr. Cornelia Goesmann teilte weiter mit, dass oftmals schlimmer als die unmittelbaren Auswirkungen von Gewalt die langfristigen Folgen für den Gesundheitszustand der Betroffenen sind. Weiter: „Menschen mit chronischen Schmerzen und mit chronischen psychischen Behinderungen haben in großem Ausmaß frühe Gewalt erlitten; Frauen, die als Kind geschlagen wurden, leiden etwa elfmal so häufig an Gelenk- und Rückenschmerzen wie Frauen, die eine glückliche Kindheit hatten; Kinder, die sexuell missbraucht wurden, leiden später an einem dreimal höheren Risiko für chronische Schmerzen – einem der Hauptprobleme in der allgemeinärztlichen Praxis.“ (Thomas Gerst, 2008, S. 560) Spätfolgen seien schwierig zu erkennen, wie auf dem Symposium am 30./31.Oktober 2008 unter dem Titel „Gewalt macht krank – Herausforderung an das europäische Gesundheitssystem“ mitgeteilt wurde. Ebenso wurden unter dem Titel „Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter – handeln statt misshandeln“ ältere Menschen bezüglich ihrer Erfahrungen thematisiert.
Angesichts der immer noch in Kauf genommenen Gewalt in der Gesellschaft wäre weiter eine Unterstützung einer Studie mit dem Titel „Was kostet die Gewalt?“ anzuregen, wie es Harald Schickedanz formuliert und damit gerade sein Studium "Betriebswirtschaft im Krankenhaus" abschließt. Er erstellt als Semestereinsendearbeit eine Investitionskostenrechnung zu einer Präventionsmaßnahme. Diese Maßnahme ist: „Die Stadt Dormagen schickt jeder Familie mit einem Neugeborenen eine Sozialpädagogin/Fachfrau ins Haus, um das "Klima" zu prüfen in Richtung Hilfsbedarf und hat, wie ich hörte, damit gute Erfahrungen." (E-Mail-Verteiler Michaela Huber 29.12.2008), die diese Anfrage von ihm nach Unterstützung an Kollegen weitergab, mit. Das ist eine sehr gute Frage, die zu erweitern ist, was Gewalt in jeglicher Form, also nicht nur an Säuglingen und Kindern, sondern auch an Jugendlichen, Frauen und auch an Männern, die in Kriege geschickt werden, neben all dem Leid, was sie ertragen mussten und müssen, kostet.
Ergänzt sei, dass Dr. med. Angelika Claußen, niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, dem Verein IPPNW – Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomskrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung“ seit 2005 vorsitzt. Sie sagt in einem Interview mit Sunna Gieseke und Dr. med. Birgit Hibbeler: „Wir Ärzte sind aus unserem beruflichen Verständnis heraus für das Leben und für die Gesundheit der Bevölkerung zuständig. Krieg ist das größte Desaster überhaupt – eine menschengemachte Katastrophe, die verhinderbar ist. Wir sehen es daher als unsere ärztliche Aufgabe an, etwas für die Verhärtung von Kriegen zu tun. (...) Selbstverständlich helfen wir kranken Soldaten, aber wir lassen uns nicht für den Krieg instrumentalisieren. Wenn ein Soldat an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt, dann stellt der Krieg die Ursache für diese Erkrankung da.“ (Deutsches Ärzteblatt, PP, Heft 1 Januar 2010, S. 8 –9)
Die Frage, warum Ärzte ihre Hilfestellung nicht verweigern, wird so von Claußen beantwortet „Weil diese Soldaten Hilfe brauchen, weil ihre innere Welt, ihre Seele, zerbrochen ist, weil sie mit sich selbst und ihren Angehörigen und Freunden nicht mehr zurechtkommen.“ (ebda, S. 9) Die Anzahl traumatisierter Soldaten wird durch die Einsätze in Afghanistan weiter steigen – wie können sie versorgt werden:
„Selbst wenn die Bundeswehr Psychotherapeuten aus dem zivilen Bereich mit einbezieht, wird das nicht leicht. Es ist einfach eine Realität, dass es nicht einmal für zivile Traumatisierte ausreichende Behandlungsplätze gibt.“ (Deutsches Ärzteblatt, PP, Heft 1, Januar 20010, S. 9)
Ein Psychiater und Neurologe, der zusätzlich psychotherapeutisch arbeitet und in New York praktiziert, wird im Spiegel im Rahmen des Artikels „ Die doppelte Frau“, in dem es um ein Buch von Siri Hustvedt geht, wiedergegeben:
„Und wenn man ihn fragt, wie es denn sein könne, dass eine Gesellschaft, die doch im Vergleich zu den meisten Epochen in relativem Frieden und Wohlstand lebt, so viele empfindsame Menschen hervorbringe,, ,dann schüttelt er nur den Kopf: ‚Man sieht oft die psychischen Auswirkungen der vergangenen Kriege, und dann gibt es immer neue, so dass in dieser Hinsicht gar nichts wirklich besser werden kann. Dies ist die Stadt des 11. September. Und dann gibt es Kriege in den Familien – nicht nur in den USA scheitert jede zweite Ehe, und das bringt unzählige Scheidungskinder hervor. ‚Menschen kämpfen immer mit Verlust. Manchmal wird das psychisch, aber oft nur körperlich ausgedrückt.’“ (Susanne Beyer, 2010, S. 113 – 114)
Huestvedt macht sich in ihrem Buch „Die zitternde Frau – Die