Sonnig mit heiteren Abschnitten. V. A. Swamp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: V. A. Swamp
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742768407
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Frau die Treppe runter. Für meine Eltern war körperliche Gewalt ein legitimes Mittel in der Kindererziehung. Auch hatte mein Vater kein Problem damit, meine Mutter gelegentlich zu schlagen. Aber Gewalt gegen andere, das war neu. Ich hatte meine Mutter so noch nie erlebt, wie an jenem Tag. Sie war völlig ausgerastet. Sie muss wohl in diesen Minuten befürchtet haben, dass ihr nunmehr, nachdem sie sich all die Jahre gegenüber ihrem Mann klein gemacht hatte und endlosen Ärger und Demütigungen kassiert hatte, von dieser fremden Frau alles, was sie besaß, genommen werden sollte.

       Die fremde Frau verließ fluchtartig das Haus, aber sie war noch nicht in Sicherheit. Erst als meine Mutter sie auch noch die steile Steintreppe vor unserem Haus herunter gejagt hatte, dabei wäre sie um ein Haar gestürzt, und sie das einigermaßen sichere Terrain der Straße erreicht hatte, ließ meine Mutter von ihr ab. Die Flüche und Verwünschungen, die meine Mutter ihr hinterher rief, haben sie dann auch wohl davon abgehalten, sich jemals wieder in die Nähe meines Vaters zu wagen.

       Äußerte sich Ihr Vater zu diesem Vorgang?

       Nein, das tat er nicht. Mein Vater hatte sich bis dahin mir gegenüber immer als absolut integer, unbestechlich und charakterlich einwandfrei geriert. Er forderte von allen, insbesondere von mir, absolute Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Gradlinigkeit. Ich habe mal eine Zeit lang Bierdeckel gesammelt. Er machte immer ein Riesentheater, wenn ich mir ungefragt irgendwo einen Bierdeckel einsteckte. Das kam für ihn einem schweren Diebstahl gleich. Derselbe Mann scheute sich auf einmal nicht, seine Saubermann-Maske fallen zu lassen, sich eine Freundin zuzulegen und die dann auch noch in mein Elternhaus zu bringen. Ich kann es bis zum heutigen Tag nicht verstehen. So kann sich doch nur ein echtes Arschloch verhalten, oder? Später erfuhr ich, dass er auch um meine Mädchen herumscharwenzelte, und dabei den Charming Boy herauskehrte. Er machte ihnen Geschenke, um ihr Wohlwollen zu erheischen. Er versuchte, mit ihnen zu flirten. Meine Mädchen fanden das sehr komisch, sie konnten ihn auf Anhieb richtig einschätzen. Gegenüber meinem Bruder bezeichnete er mich später als „Dorfbulle“. Noch viel später sagte er mir mit fast weinerlicher Stimme, „dass er wohl in seinem Leben viel versäumt habe“. Er war schon ein ziemlich deformierter Mann.

       Sie hatten demnach nicht nur ein schwieriges Verhältnis zu ihrem Vater, sondern auch zu Ihrer Mutter?

       Wenn mein Vater nicht in der Nähe war und meine Mutter sich nicht im Kompetenzbereich meines Vaters bewegte, kam ich mit ihr zurecht. Ich erinnere mich gerne an viele Spaziergänge, die wir ohne meinen Vater machten. An einen liebevollen Umgang kann ich mich allerdings nicht erinnern. Bis zu diesem Vorfall mit der Freundin meines Vaters hätte ich niemals geglaubt, dass meine Mutter eine Kämpferin sein konnte. Erst da wurde mir klar, dass sie sich auch gegenüber meinem Vater hätte durchsetzen können. Das hätte mir viel erspart. Aber für mich kämpfte sie nie.

       Wie war denn das Verhältnis zu Ihrer Mutter, nachdem Sie das Elternhaus verlassen hatten?

       Da ich meinem Vater weitgehend aus dem Weg ging, bemühte sie sich darum, den Kontakt nicht vollends abreißen zu lassen. Sie besuchte mich sogar ein paar Mal in Berlin und sorgte für große Heiterkeit bei meinen neuen Freunden, da die eine solch spießige Provinzmutter noch nie hautnah erlebt hatten. Erst als unsere Tochter zur Welt kam, ging mit meiner Mutter eine seltsame Verwandlung vor. Sie mutierte zur besten Oma der Welt. Sie warf all die Liebe und Zärtlichkeit, die sie mir all die Jahre vorenthalten hatte, für ihre Enkelkinder in die Waagschale. Unsere Kinder vergötterten sie. Sie war immer zur Stelle, wenn sie gebraucht wurde. Das brachte Mona und mir große Vorteile, denn auf diese Weise hatten wir viel Zeit füreinander und für unsere vielen Reisen.

      Ein quietschendes Geräusch macht mir klar, dass Strawinsky auf seinem Ledersessel hin und her rutscht. Wahrscheinlich entlastet er eine seiner Arschbacken.

       Sie erwähnten einen Bruder. Ist der jünger oder älter?

      Ob das Strawinsky wirklich interessiert? Er will wahrscheinlich nur den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen.

       Mein Bruder ist jünger, er kam sechs Jahre nach mir zur Welt. Ich erinnere mich noch gut, i ch war nicht sonderlich begeistert. Es war ohnehin zu eng in unserem Haus. Das kleine Einfamilienhaus meiner Oma war nach dem Krieg total mit Zwangseinweisungen belegt. Meine Oma, deren hochbetagte Mutter, meine Eltern und ich mussten sich mit weniger als vierzig Quadratmetern begnügen. Und dann kam auch noch mein Bruder in diese Enge. Ich wollte einfach nicht diesen Schreihals, und als er mir einmal aus dem Kinderwagen fiel, bekam ich keinen Schreck, sondern war nur erstaunt, dass er sich nicht den Hals gebrochen hatte.

       Sie waren nicht begeistert, einen Bruder zu bekommen?

       Ich weiß bis heute nicht, warum meine Eltern sich noch für ein weiteres Kind entschieden haben. Ich habe später einmal meine Mutter gefragt, aber sie blieb mir die Antwort schuldig. Wahrscheinlich kannte sie den Grund selber nicht. Mir war mein Bruder immer gleichgültig. Das lag wohl am Altersunterschied von sechs Jahren. Ein Vierzehnjähriger kann mit einem Achtjährigen nichts anfangen. Ein Achtzehnjähriger mit einem Zwölfjährigen schon gar nicht. Meine Mutter sagte mir wiederholt, dass mein Bruder mich vergöttere. Das habe ich nie gespürt. Ich sah nur, dass er immer Sorge hatte, dass ich ihm vorgezogen würde und ich mehr bekommen würde, als er. Das war aber Blödsinn. Das Einzige, was ich mehr erhielt als er, war Prügel. Später ärgerte es ihn maßlos, dass unsere Mutter ihre gesamte Aufmerksamkeit ihren Enkelkindern widmete. Wenn Mona und ich mit den Kindern sie besuchten, war er stets verschwunden. Dabei hat mein Bruder sowohl von meiner Mutter als auch von meiner Großmutter am meisten profitiert. Er hat mit einer kleinen Unterbrechung immer im Elternhaus gewohnt und sich nach Herzenslust von den beiden Frauen verwöhnen lassen. Er zeigte aber die gleiche Undankbarkeit wie mein Vater.

       Worin zeigte sich diese Undankbarkeit.

       Kurz und bündig: Alles nehmen, nichts geben. Wenn die Frauen ihn um etwas baten, was sie selbst nicht bewerkstelligen konnten, hatte er nie Zeit für sie. Heute wohnt er schätzungsweise vier Kilometer von dem Friedhof entfernt, auf dem unsere Eltern und Großeltern in einem Gemeinschaftsgrab beerdigt sind. Er lehnt es ab, das Grab zu pflegen oder jemand mit der Pflege zu beauftragen, obwohl er jahrzehntelang sich von den Frauen hat verpäppeln lassen, und außerdem das Elternhaus geerbt hat. Ich finde diese Haltung unanständig.

       Wie kommen Sie denn insgesamt mit Ihrem Bruder zurecht?

       Wir haben ein Nichtverhältnis. Wir kommen gelegentlich zusammen. Das sind dann quälende Veranstaltungen, weil ich mir riesige Mühe geben muss, überhaupt eine sinnvolle Unterhaltung zustande zu bringen. Falls wir ein gemeinsames Thema gefunden haben, dann weiß er selbstverständlich alles besser. Das erinnert mich an unseren Vater. Er hat ohnehin viel von ihm. Er ist rechthaberisch und cholerisch. Außerdem muss er mir ständig beweisen, wie weit er es gebracht hat. Er fährt das größere Auto, hat die größere Wohnung, besitzt den größeren Fernseher und so weiter. Er akzeptiert nicht, dass mich das alles nicht interessiert.

       Wie kam Ihr Bruder mit ihrem Vater zurecht?

       Ich denke, mein Vater hat ihn nie richtig ernst genommen. Er war eben der Kleine. Er hat meines Wissens auch kaum körperliche Gewalt seitens meiner Eltern gespürt. Ich denke bei ihm waren sie schon kraftlos geworden. Wahrscheinlich war er auch wesentlich geschmeidiger als ich. Er zeigte weniger Eigensinn und wenn, dann tat er das, ohne meine Eltern zu provozieren. Vielleicht war er in dieser Hinsicht der Klügere.

       Sie hatten demnach auch früher wenig Kontakt zu Ihrem Bruder?

       Besonders, nachdem ich nach Berlin gegangen war. Allerdings sind wir einmal gemeinsam in Urlaub gefahren.

       Gemeinsam in Urlaub?

       Als mein Bruder zwanzig war, überredete er mich zu einem Trip nach Spanien. Er lebte damals noch bei meinen Eltern und er war noch nicht groß herumgekommen. Aber irgendwer hatte ihm von traumhaften Küsten und Stränden an Spaniens Costa Brava erzählt.