Sonnig mit heiteren Abschnitten. V. A. Swamp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: V. A. Swamp
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742768407
Скачать книгу

       Ihre Großmutter?

      Meine Großmutter konnte meinen Vater nicht leiden, und da es ihr Haus war, in dem wir wohnten, konnte sie ihm gegenüber auch ihre Giftzähne ausfahren. Das hat sie oft auf subtile Weise gemacht.

       Was tat sie?

      Strawinsky klingt auf einmal sehr lebendig.

      Indem sie mir zum Beispiel Weihnachtswünsche erfüllte, die mein Vater als unnötig, schädlich oder eben als reine Geldverschwendung betrachtete. Indem sie zum Beispiel mir später in ihren Räumen das Rauchen erlaubte, was mein Vater mir unter Androhung schwerster Strafen immer verboten hatte. Meine Großmutter war mein Refugium und ich verbrachte viele Nachmittage und Abende in ihrem völlig überheizten Wohnzimmer. Ich habe nicht oft in meinem Leben geweint, aber als sie starb, war das für mich einen Moment lang das Ende der Welt.

       Viele Menschen haben ein Problem mit Weihnachten. Vielleicht wollte Ihr Vater lieber die Geburtstage feiern.

      Ich muss mich zusammenreißen. Am liebsten würde ich laut losbrüllen, vor Lachen.

       Mein Vater mochte weder Weihnachten noch Geburtstage. Die Geburtstage meiner Eltern wurden nie gefeiert, die von uns Kindern nur marginal. Deshalb war es für mich auch keine Überraschung, dass ich zu meinem zehnten Geburtstag außer dem obligatorischen Kuchen und ein paar Süßigkeiten nichts bekam. Das war für mich ohnehin angenehm, da musste ich mich nicht bedanken. Mein Vater war an diesem Tag wie üblich spät aufgestanden. 11 Uhr morgens war so seine normale Zeit. Danach hielt er sich mindestens zwei Stunden im Bad auf. Ich wusste nie den Grund für diesen ungewöhnlichen Tagesanfang, es war mir auch egal. Erst als Erwachsener erfuhr ich von meiner Mutter, dass das auch mit seiner Krankheit und mit seinen Händen zu tun hatte. Er konnte sie nur unter großen Mühen zur Pflege seines Körpers einsetzen.

       Nachdem er an jenem Tag mit dem Bad fertig war, wies er mich an, mir ein Einkaufsnetz zu schnappen und ihm zu folgen. Das fand ich ungewöhnlich. Ich war bis dahin nie mit meinem Vater einkaufen gegangen. Er kaufte auch selbst niemals Lebensmittel ein. Dafür hatte er meine Mutter und später dann auch mich. Mein Bruder verstand es schon von klein auf, sich aus allem Familiären rauszuhalten. Ich konnte mir zunächst keinen Reim auf das Ganze machen. Ich stellte aber meinem Vater grundsätzlich keine Fragen. Entweder er dozierte oder er belehrte mich. Präzise Antworten auf meine Fragen hätte ich ohnehin nicht bekommen. Wir marschierten jedenfalls in die Stadt und ich fragte mich, was ich in das Einkaufsnetz hinein packen würde. Dann fand ich mich plötzlich in einem Fahrradladen wieder. Das Fahrrad war bereits fertig montiert und bezahlt und wartete nur noch auf das Geburtstagskind. Das war das einzige Mal, wo mein Vater sich Mühe gab, mich zu meinem Geburtstag zu überraschen.

       Dafür hassten Sie Ihren Vater?

       Dafür sicher nicht. Aber für seinen Absolutheitsanspruch, den er ständig versuchte, bei mir durchzusetzen.

       Absolutheitsanspruch?

       Mein Vater legte stets großen Wert auf sein Äußeres. Aber jedwede Modetrends gingen an ihm spurlos vorbei, und er dachte auch nicht daran, diese bei uns Kindern zuzulassen. Er hatte, was Art und Farbe seiner Klamotten anging, ganz spezielle Kriterien, die allerdings niemand außer ihm kannte. Einzig sein Markenzeichen am Strand war relativ leicht zu entschlüsseln. Seine Badehose kannte nur eine Farbe, gelb. Er besaß mehrere davon, sodass er nicht Gefahr lief, einmal auf eine andere Farbe ausweichen zu müssen. Ansonsten zeichnete er sich dadurch aus, dass er grundsätzlich den Geschmack anderer Leute, also auch unseren und jedweden Zeitgeschmack, kritisierte und ablehnte. Er bestritt, dass überhaupt jemand außer ihm über Geschmack verfügte. Er hat auch niemals ein Geschenk behalten, sondern immer zeitnah umgetauscht. Meistens bekam er nicht das Geld zurück, sondern einen Gutschein. Ich glaube er hatte eine ganze Sammlung davon, weil es meistens vergaß, die Gutscheine einzulösen.

       Ihr Vater bestimmte demnach, wie Sie sich anzuziehen hatten?

       Als bereits unsere halbe Klasse Jeans trugen, war mir das nicht gestattet, weil nach Meinung meines Vaters Jeans kein geeignetes Beinkleid für mich waren, sondern ausschließlich irgendwelchen Proleten vorbehalten waren. Das war keine ihm ebenbürtige Klasse. Ich schaffte es natürlich, mir eine Jeans zu besorgen und diese im Keller in der Waschküche zu verstecken. Aber die Nutzung dieser Jeans war ganz schön kompliziert. Ich verließ zunächst die Wohnung im oberen Stockwerk des Hauses in meiner unmodischen Hose, ließ unten zum Schein die Haustüre laut zufallen und schlich mich anschließend in den Keller. Dort tauschte ich die Hosen und verließ konspirativ das Haus über die äußere Kellertreppe. Danach bestand immer noch die Gefahr, von meinem Vater bei diesem „Verbrechen“ entdeckt zu werden. Er hatte sein Arbeitszimmer, in dem er auch seinen Unterricht abhielt, zur Straße, und er liebte es im Stehen zu dozieren und dabei gelegentlich nach draußen auf die Straße zu schauen. Ich musste deshalb zunächst über den Zaun des Nachbargrundstückes steigen und mich dann seitlich an den Häuserwänden vorbeidrücken, bis ich sicheres Terrain erreichte. Bei diesen Kletterstücken waren natürlich Jeans von Vorteil.

       Ihr Vater kannte demnach bei Ihrer Kleidung kein Pardon?

       Nicht nur bei der Kleidung. Haare gehörten zum Beispiel auch dazu.

      Ich fühle förmlich, wie Strawinsky sich Mühe gibt, meinen etwas wirr erscheinenden Ausführungen zu folgen. Aber er sagt nichts.

       Mein Vater liebte es, seine Haare straff nach hinten und ziemlich gerade bis in den Nacken zu ziehen, sodass seine sich stetig vergrößernden Geheimratsecken und seine hohe Stirn gut sichtbar waren. Diese in seinen Augen akademische Frisur versuchte er auch bei mir durchzusetzen. Sie verstehen vielleicht, dass es unmöglich ist, den Haaren eines Teenagers beizubringen, dass sie sich exakt alle in die gleiche Richtung legen. Nachdem mein Vater gemerkt hatte, dass er nicht über genügend Spucke verfügte, um meine Haare in die gewünschte Richtung zu biegen, kaufte er Pomade. Ich erinnere mich gut. BRYLCREEM hieß das klebrige Zeug. Das roch zwar besser als seine Spucke, aber eklig war es trotzdem. Ich war immer froh, wenn Badetag war und ich das Zeug wieder aus den Haaren rauskriegte.

      Irgendwann, ich glaube, ich war so um die vierzehn, hatte ich die Schnauze voll und war standhaft genug, um mich gegen diesen Brylcreem-Terror zu wehren. Seitdem habe ich mir nie mehr etwas ins Haar schmieren lassen. Ich benutze auch keinerlei Kämme oder Bürsten. Meine Haare lieben diese Freiheit. Deshalb sind die meisten bis heute bei mir geblieben.

       Bitte erzählen Sie mir etwas Gutes über ihren Vater.

      Oh, Strawinsky, das ist schwer, denke ich. Ist es das wirklich? Seine Liebe zur Sprache hat mich geprägt. Sie war mir eine große Hilfe bei meiner Entwicklung. Schlampigkeit war meinem Vater ohnehin ein Gräuel, aber bei der Sprache kannte er kein Pardon. So lernte ich schon früh den richtigen Gebrauch von Grammatik und Wortwahl. Fremdworte setzte mein Vater nur spärlich, dann aber immer zielgenau ein. Aber das interessiert Strawinsky bestimmt nicht.

       Mein Vater war ein großer Liebhaber der Kunst des 20. Jahrhunderts. Ich glaube das einzige Mal, wo er sich gegenüber seinen Nazifreunden den Mund verbrannte war, als er denen seine Meinung über die Naziaktion ENTARTETE KUNST geigte. Er war damals nach München gereist und kehrte empört über dieses Fanal faschistischer Dummheit zurück. Eines Tages zeigte er mir den Katalog zu der Ausstellung, sein Ärger war auch Jahrzehnte nach seinem Ausstellungsbesuch noch nicht verflogen.

       Schon früh schleppte er mich in das Wuppertaler VON DER HEYDT-MUSEUM. Das ist für mich auch heute noch eines der schönsten Kunstmuseen der Welt. Natürlich finden sich in Berlin, Paris, London, New York und so weiter viel bedeutendere Sammlungen. Ich habe sie fast alle gesehen. Aber nirgendwo findet man so viel Übersichtlichkeit und pädagogisch sowie künstlerisch gestaltete Harmonie. Mein Vater zeigte mir die Meisterwerke des Impressionismus, des Expressionismus und der klassischen Moderne. Der Mann kam regelrecht ins Schwärmen, wenn er versuchte, mir Bildaufbau oder Farbwahl oder andere Details nahe zu bringen. Wenn mein Vater mir ein