John’s Vater war ihm damals eine große Stütze. Egal, wo er gerade geschäftlich unterwegs war, er hatte zwischendurch immer Zeit, sich die Sorgen seines Sohnes anzuhören, ihn zu trösten und seinen Einfluss bei den Behörden geltend zu machen. Schließlich ging es um den besten Freund seines Sohnes; da musste John sich nicht einmal großartige Erklärungen zurechtlegen. Wenn er sich jetzt das Verhalten seines Erzeugers vor Augen hält, muss John fast so hart mit seinen Emotionen kämpfen wie Keno.
Natürlich hatten damals keine seiner Bemühungen gefruchtet. Nichts hatte ihn weitergebracht. Polizei, Krankenhäuser, Absteigen – alles ohne Ergebnis. Einmal war er sogar im Leichenschauhaus gewesen, weil die Bullen einen Toten aufgefunden hatten, der Cat’s Beschreibung entsprach. Selbst DAS hatte sein Vater ihm nicht erspart – nur um die Illusion aufrecht zu erhalten, dass er genauso ahnungslos sei wie sein geliebter Sohn.
Nach einem halben Jahr war John der Überzeugung, dass Keno tot sei. Der ganze Umstand seines Verschwindens war einfach zu absurd, um zu einem anderen Schluss zu kommen. Cat wäre niemals einfach so abgehauen, egal welche überdrehte Spinnerei ihm womöglich eingefallen war.
Aber dann – mitten in einer schwülen Sommernacht – ein Anruf aus China. Das war so unglaublich, dass John erst dachte, jemand würde sich einen schlechten Scherz erlauben. Doch es war tatsächlich sein Keno. Und bereits am Tonfall der ersten unter Tränen gestammelten Entschuldigungen erkannte John, dass Cat Schlimmes widerfahren war. Obwohl dieser abwiegelte, beschwichtigte, leugnete und sich ansonsten einfach weigerte, am Telefon über die ganze Angelegenheit zu reden … trotz allem wusste John … Cat war misshandelt worden. Ihm war nicht klar in welcher Weise, aber er wusste einfach, dass Keno Gewalt angetan worden war. Seine Stimme hatte sich verändert. Ständig schwang eine gewisse Unsicherheit mit, ganz zu schweigen von der fehlenden Sorglosigkeit.
John seufzt einmal tief und versucht, seinen Kopf wieder frei zu bekommen. Jetzt geht es nicht um sein Leid; das ist zweitrangig. Alles was in John‘s Leben wichtig ist, hält ihm gerade mit schiefem Grinsen einen kühlen Drink entgegen. Gott, wäre ich nur schon früher gekommen, wirft John sich ein weiteres Mal vor, seit er die Wahrheit kennt.
Erneut lässt Mika seinen Blick prüfend über den Wohnzimmertisch schweifen. Perfekt! Alles vorbereitet. Die Kerzenflammen flackern erwartungsfroh. Die beschlagene Sektflasche dreht er noch einmal tiefer in die knirschenden Eiswürfel des Sektkühlers. In der Küche warten einige leckere Kleinigkeiten, die er heute mit Uschi‘s Hilfe im „Café Bohne“ vorbereitet hat. Fünf Stunden hat er die Wohnung auf Vordermann gebracht – geputzt, gewienert und aufgeräumt.
Jetzt fehlt nur noch die Hauptattraktion: Jana. Sie und Mika trösten sich so gut es geht über Keno‘s Abwesenheit hinweg. Obwohl es … wenn Mika ehrlich ist … nicht das Gleiche ist. Es fehlt der Kick, den er immer empfunden hat, wenn sie zu dritt ihre Zeit verbracht haben. Verdammt! Keno fehlt ihm, als ob er sich einen Arm abgeschnitten hätte. Natürlich fährt er noch auf Jana ab. Er ist immer noch verliebt, doch … es ist nicht mehr so wie früher. Keno hat so einen wichtigen Platz in seinem Herzen eingenommen.
Mika zuckt unwillkürlich entschuldigend mit den Achseln. Ich kann‘s nicht ändern. Ich sehne mich dermaßen nach diesem Super-Macho, schießt es ihm durch den Kopf. Dabei ist erst etwas über eine Woche vergangen, seitdem er Mika und Jana quasi den Laufpass gegeben hat.
Immer wieder ruft Mika sich die letzte gemeinsame Nacht mit Keno in Erinnerung. Und jedes Mal schleicht sich ein leises Lächeln auf seine Lippen. Er hat gesagt, dass er mich liebt, wiederholt er dann immer wieder und streicht damit ein wenig Balsam auf seine Wunden. Auch jetzt verliert er sich in seinen Träumereien, starrt auf die im Kerzenschein glitzernden Eiswürfel des Sektkühlers und schweift mit seinen Gedanken ab.
Plötzlich zuckt er leicht zusammen. Wo bleibt Jana nur? Ein schneller Blick auf die Uhr. Schon zwanzig Minuten über der Zeit. Gar nicht ihre Art! Endlich! Es klingelt. Und schon an der „ungeduldigen“ Art, wie der Klingelknopf behandelt wird, erkennt Mika, wer unten an der Türe steht.
„Schatz!!“ Jana fegt herein und wirft sich Mika mit einer anmutigen Bewegung an den Hals.
„Ooh, wie romantisch!“, gurrt sie weiter, als sie einen Blick in das in Kerzenschein getauchte Wohnzimmer wirft. Langsam tritt sie ein. Doch Mika entgeht natürlich nicht der betretene Gesichtsausdruck als sie sich ihm wieder zu dreht.
„Was ist los?“, fragt Mika vorsichtig. „Irgendwas passiert?“
„Jaa!“ Jana kann ihre Begeisterung nicht länger im Zaum halten. „Es tut mir so leid für unseren geplanten Abend, Schatz, aber ich kann nur ein Stündchen bleiben. Nicht sauer sein!“
Sie tritt auf Mika zu und fährt ihm zärtlich mit dem Daumen über die Lippen, die sich unaufhaltsam zu einer enttäuschten Schnute formen. Sie haucht ihm einen sanften Kuss auf den Mund, bevor sie sich erneut abwendet und schwungvoll zwei Gläser Sekt einschenkt. Sie drückt Mika eines davon in die Hand und prostet ihm mit ihrem Glas zu.
„Halt dich fest, Mika! Weißt du, wer mich heute Nachmittag angerufen hat?“
„Keno?“, keucht er spontan erwartungsvoll über den Rand seines Glases hinweg. Jana presst mitleidig die Lippen aufeinander und legt kurz den Kopf schief.
„Nein, Schatz, leider nicht. Dann hätte ich dich doch sofort angerufen. Edwina war‘s.“
„Ach, Edwina …“, murmelt Mika, nicht sonderlich begeistert.
„Ja!! Und stell‘ dir mal vor, sie bietet mir einen Job an, der so cool ist, dass es mir glatt die Sprache verschlagen hat.“
„Echt?“ fragt Mika erstaunt, wobei ihm völlig die ironische Doppeldeutigkeit seiner Frage entgeht. Doch Jana bekommt in ihrer Begeisterung sowieso keine Zwischentöne mit.
„Sie bietet mir an, ihre rechte Hand zu werden. Kannst du dir das vorstellen? Dabei kennt sie mich doch erst seit Kurzem. Was für ein Vertrauen! Wahrscheinlich werd‘ ich nur durch die Weltgeschichte düsen, von einem ihrer Läden zum nächsten. Tausend neue Leute kennenlernen … hach, das wird super!! Genau das brauch‘ ich jetzt, um aus meiner Lethargie rauszukommen. Was sagst du dazu, Schatz? Ist das nicht einfach unglaublich?“
Ihre Augen strahlen, während sie einen Schluck Sekt trinkt und erwartungsvoll in Mika‘s Richtung blickt. Mika quält sich ein Lächeln ab.
„Echt … wirklich unglaublich“, erwidert er leise. „Hast du Hunger?“, fragt er vorsichtig. Jana schüttet sich noch einen Schluck Sekt nach.
„Ich kann jetzt beim besten Willen nichts essen, Schatz. Bin so aufgeregt!!“ Sie bleckt ihre makellosen Zähne und wackelt einige Male mit dem Kopf. „Außerdem treff‘ ich mich ja gleich mit Edwina. Ich könnte mir vorstellen, dass sie mit mir essen geht, um Einzelheiten zu besprechen.“
Mika presst die Lippen aufeinander, während ihm kurz durch den Kopf schießt, wieviel Mühe er sich mit der Vorbereitung gegeben hat. Er hatte sich so auf diesen Abend gefreut, auf die Nähe, das Schmusen, den Sex. Endlich mal wieder angefasst, gestreichelt werden. Klar! Es sind erst eineinhalb Wochen her, dass ihre Dreierkonstellation sich aufgelöst hat und es gibt bestimmt eine Menge Leute, die über seine Sehnsucht gönnerhaft schmunzeln könnten. Eineinhalb Wochen! Lächerlich! Doch nach dem Gefühls-Chaos aufgrund der Ereignisse auf Edwina‘s Party und aufgrund Keno‘s rigoroser Entscheidung, sie beide erst einmal von John fern zu halten, fühlt sich Mika haltlos. Schnell nippt er erneut an seinem Sekt, um seine Enttäuschung zu überspielen.
„Ich bin sicher, du machst das super! Edwina hat Glück, wenn sie dich bekommt“, beteuert Mika lächelnd. „Ich freu‘ mich für dich!“ Und das meint er auch ernst. Wenn wenigstens Jana es schafft, nicht im Kummer zu versinken, ist das doch auch schon mal was. Lachend