7 Monate Herbstgefühle. Anke-Larissa Ahlgrimm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anke-Larissa Ahlgrimm
Издательство: Bookwire
Серия: Glückszahl 7
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742730060
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sich selbst auf den Stuhl davor. Ihre Miene sagte mir schon, dass sie heute keinen guten Tag hatte. Ich warf ihr einen mitleidigen Blick zu, den sie mit einem Grummeln beantwortete.

      „Rubie, ich bin ja so aufgeregt“, grinste Debbie und ließ sich neben uns nieder. Heute hatte sie ihre roten Haare zu einem kunstvollen Zopf geflochten und ich war mal wieder neidisch. Ich hatte so lange Haare und doch konnte ich sie einfach nicht flechte. Ich hatte irgendwie nicht die Geduld und meine Arme schmerzten so sehr davon. „Bist du nicht aufgeregt?“

      „Wieso sollte ich?“, fragte ich verwirrt. Debbie stieß ein hohes Kichern aus, was Rae dazu brachte ihren Kopf auf den Tisch fallen zu lassen – dort wo kein Essen lag. Schmunzelnd strich ich der Braunhaarigen über den Kopf, wandte meinen Blick jedoch zu Debbie.

      „Na, heute ist doch dein freier Abend mit Haven.“ Grinsend wackelte sie mit den Augenbrauen und schob sich eine Gurkenscheibe in den Mund. Lächelnd nickte ich. Um ehrlich zu sein, hatte ich das heute schon einige Male vergessen, da war es nur zu gut, dass ich einen menschlichen Kalender als Freundin hatte.

      „Du hast recht, ich freue mich echt“, erwiderte ich und lächelte meine zwei Freundinnen an. Wenn ich an heute dachte, kribbelte schon alles. Nichts konnte Haven und mir noch im Weg stehen. Naja, außer meiner Arbeit. Aber wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass es heute einen Notfall gab?

      „Hast du frische Unterwäsche an?“, hakte Rae nach und bedachte mich mit einem strengen Blick. Lachend nickte ich.

      „Natürlich, was erwartest du von mir? Ich bin nur gespannt, was es zum Abendessen gibt.“

      „Immer gefräßig, dieses Kind“, lachte Debbie und stocherte in ihrem Salat herum. Ich führte meinen Löffel zu meinen Lippen und pustete in die Suppe darauf. Ich wusste nicht wirklich, was ich darauf antworten sollte, außer einer kindischen Geste, also beschäftigte ich mich lieber mit meinem Mittagessen. „Meinst du, ihr werdet jetzt öfters mal einen Abend zu zweit haben?“

      „Ich hoffe es“, lächelte ich, nachdem ich meine Suppe runtergeschluckt hatte. Ich hatte keine Ahnung, wer auf die Idee gekommen war Curry und Kokos in eine Suppe zu werfen, aber es schmeckte fabelhaft. „Vielleicht kann das ja zu einer Tradition werden. Einmal im Monat können wir uns bestimmt frei schaufeln.“

      „Ist es eigentlich anstrengend mit einem Kind zusammenzuwohnen?“ Neugierig sah Rae mich an, nachdem sie sich eine Tomate aus Debbies Salat geklaut hatte. Die Rothaarige beschwerte sich schon lange nicht mehr.

      Nachdenklich legte ich meinen Kopf schief, bevor ich ihn schüttelte. „Nicht wirklich. Es ist fast genauso wie früher, als ich noch mit meinen Brüdern in einem Haus war. Dieses Mal habe ich nur etwas mehr Verantwortung, schätze ich“, sagte ich schließlich. Lilac war ein anständiges Kind. Im Gegensatz zu meinen Brüdern brachte sie sich nicht in Schwierigkeiten und hörte auch fast immer auf das, was Haven ihr sagte – oder ich.

      „Ich glaube, ich könnte das nicht.“ Die brünette Krankenschwester runzelte ihre Stirn. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Sie war ein Einzelkind und Kinder in ihrer Umgebung nicht wirklich gewohnt. Naja, abgesehen von ihrem Job. Aber Kinder auf Arbeit und Kinder zu Hause zu haben war auch ein Unterschied. „Dieses ganze Geschrei und man kann sie nie alleine lassen. Zumindest kann ich dem am Ende des Tages entfliehen.“

      Ich lachte leise. „Rae, ich bin in einem lauten Haus aufgewachsen und ich finde, dass das Leben ist. Laute Häuser, Kindergeschrei, was will man mehr?“

      „Gehaltserhöhung, keine kranken Kinder, kostenlose Schokolade“, zählte Rae auf und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich grinste. Wie ich sie doch liebte.

      Debbie schien ebenso Gefallen daran zu finden, mich zu veräppeln. „Nagellack, der wirklich auf den Nägeln bleibt, Taschen, die sich von alleine tragen, haarlose Beine, die man dann nicht rasieren muss.“ Nun mussten meine Freundinnen so sehr lachen, dass ich fürchtete, sie würden sich an ihrem Essen verschlucken. Das hielt jedoch nur kurz an, da mir plötzlich etwas klar wurde.

      „Merde!“, stieß ich aus und ließ beinahe meinen Löffel in die Suppe fallen. Überrascht sahen Debbie und Rae zu mir und unterbrachen ihr Gegacker. „Ich muss noch meine Beine rasieren. Ich wollte doch in der Mittagspause duschen.“

      „Du hast noch eine halbe Stunde, Rubie“, sagte Debbie ruhig, nachdem sie auf ihre Armbanduhr gesehen hatte. „Kein Grund zur Panik. Iss noch schnell ein bisschen Suppe und dann gehst du duschen, okay?“ Ich nickte eilig, antwortete jedoch nicht mehr, da ich mir bereits meine Suppe in den Mund schaufelte. Es war mir egal, dass ich mir meine Zunge verbrannte. Ich stand unter Zeitdruck und war kurz davor durchzudrehen. Mein Unterbewusstsein redete mir Mut ein und ich versuchte verzweifelt, so ruhig wie möglich zu bleiben. Eine halbe Stunde war genug Zeit. Ich würde das schaffen.

      Ein paar Minuten später war mein Teller halbwegs leer und auch Debbie hatte sich beeilt mit ihrem Salat, sodass sie mir jetzt zu den Duschen folgen konnte.

      „Ich kann mich alleine duschen, Debs“, lachte ich und hielt sie davon ab mit in das kleine Bad zu gehen, das nur für Ärzte und Krankenschwester gedacht war. Die Rothaarige rollte lächelnd mit den Augen und setzte sich auf ein Sofa in dem Gemeinschaftsraum, der an das Bad angrenzte.

      „Ich bin nur hier, falls es einen Notfall gibt.“ Schmunzelnd nickte ich ihr zu und schloss die Tür hinter mir. Eilig schaltete ich schon mal die Dusche an, damit das Wasser warm wurde und schlüpfte dann aus meiner Kleidung. Es waren gerade mal fünf Minuten vergangen, als Debbie wie verrückt gegen die Tür klopfte.

      Es gab wirklich einen Notfall. Nur nicht im Badezimmer, sondern stattdessen in der Notaufnahme.

      Merde.

      ∞

      Mit geschlossenen Augen lehnte ich mich an die Wand des Aufzugs in unserem Wohnkomplex. Ich fühlte mich einfach nur ausgelaugt. Es kam mir vor, als ob mir jemand meine ganze Energie abgezapft hätte. Ich öffnete meine Augen, um mich im Spiegel, der eine Wand des Fahrstuhls ausmachte, zu betrachten. Mein blondes Haar war, nachdem ich mehr oder weniger aus der Dusche gerissen worden war, an der Luft getrocknet und in einem unordentlichen Zopf zusammengebunden. Hoffentlich würde ich morgen früh die Knoten aus den Strähnen kämmen können. Das blaue Kleid, das ich trug, sah nicht mehr so fabelhaft aus, wie sonst. Vielleicht lag das aber auch an meinem erschöpften Gesichtsausdruck.

      Es war ein Öl-Laster in einen Schulbus gekracht und dann explodiert. Nicht nur die Kinder im Bus waren schwer verletzt worden, auch die umstehenden Autos hatten Schaden davon getragen. In der Notaufnahme war die Hölle los gewesen. Alle Patienten, die davor dort gewesen waren, mussten woanders hingebracht werden, damit wir mehr Platz hatten. Eigentlich hatte ich mit Rae und Debbie ausgemacht, dass ich zwei Stunden früher meine Schicht beendete, um nach Hause zu fahren. Daraus wurde nichts, stattdessen blieb ich sogar noch eine Stunde länger als meine Schicht gehen würde. Ich konnte einfach nicht gehen. Die Eltern der Kinder konnten nicht alle sofort kommen und die Kleinen hatten große Angst. Also blieb ich bei ihnen, versuchte ihnen die Schmerzen so gut es ging zu nehmen und lenkte sie ab. Viele fragten nach ihren Klassenkameraden, die es viel schlimmer erwischt hatte und die mehrere Operationen vor sich hatten. Die meiste Zeit wechselte ich das Thema. Ich wusste, dass einige Kinder ihr Leben verloren hatten und ich wollte nicht, dass sie das es von mir erfuhren.

      In der Wohnung war es still, als ich die Tür aufschloss und eintrat. Die Lichter waren zwar an, jedoch konnte ich nicht hören, wo sich Haven wohlmöglich befand. Mit einem Seufzen schlüpfe ich aus meinen Schuhen. Ich wollte nicht daran denken, was gleich auf mich zukommen würde. Ich würde Haven beibringen müssen, dass ich ganz sicher nicht mehr mit ihm essen konnte. Ich wollte einfach nur noch unter die Bettdecke kriechen und schlafen.

      „Haven?“, rief ich leise, sobald ich in die Küche trat. Der Anblick vom Küchentisch schmerzte in meiner Brust. Er war wunderschön gedeckt, mit roten Tischdecken, einer Blumenvase und Kerzen. Und darauf würde ich mehr oder weniger verzichten müssen.

      „Hey Bee.“ Mein Blick wandte sich zu Haven, welcher gerade hinter mir auftauchte. Seine Locken standen ihm wild vom Kopf ab und seine Augen sahen unwahrscheinlich müde aus.

      „Tut