Großmutter wird von meinen Eltern nicht gefragt, aber sie gibt ihre Kommentare auch ungefragt ab. Nach Großvaters Tod ist sie jetzt das altersmäßige Oberhaupt der Familie. Jedenfalls meint sie das und benimmt sich auch so.
»Was mischen Sie sich überall ein?«
Vater ist über Großmutters ungebetene Ratschläge ungehalten. Beleidigungen fliegen durch die Luft, vom Vater zur Großmutter hin und von der Großmutter zum Vater zurück. Vater flucht, Großmutter weint, Mutter versucht zu schlichten und obwohl sie Vaters Meinung ist, steht sie ihm nicht bei. Großmutter zieht sich zurück. Sie geht in ihre Wohnküche. Auf einem kleinen weißen Schränkchen, das früher als Ablageplatz für den Wassereimer diente, hat sie sich einen Hausaltar aufgebaut. Drei in zarten Farben bemalte Heiligenfiguren aus Biskuitporzellan stehen darauf und zwei hohe schmale Glasvasen, die immer mit Blumen gefüllt sind. Über dem Altar hängt ein kleines Holzkreuz. Großmutter kniet davor und betet. Anschließend beschwert sie sich, daß ihre Knie weh tun. Nach kurzer Zeit kommt sie mit geröteten Augen, aber gutgelaunt wieder heraus.
»Ihr habt die Ziege wieder nicht rechtzeitig eingesperrt«, bemerkt sie trocken und verschwindet im Garten.
Vater flucht wieder, weil er weiß, was das bedeutet: Die Ziege ist, da das Gartentor offensteht, wieder da drin gewesen und hat zum zigstenmal seine neue Weinzüchtung abgefressen. Merkwürdigerweise rührt das Tier nichts anderes an als diesen einen Rebstock mit den rötlichen Knospen, der solange die Ziege da ist, kaum eine Chance hat, stattliche Blätter, geschweige denn Früchte anzusetzen.
Die Enten sind tot
Mutter hat sich in den Kopf gesetzt, Enten großzuziehen. Sie überredet Vater, gleich fünfzig Küken zu kaufen. Der Hof ist groß genug, zu fressen haben sie auch. In den ersten Wochen bekommen sie gemahlene Maiskörner mit kleingeschnittenen Brennesseln und etwas Wasser vermischt. Die Brennesseln wachsen im Wassergraben hinter dem Haus.
Der Graben, Flachsdeich genannt, dient zum Einweichen von Flachsgarben. Wenn sie lange genug im Wasser liegen, kann man sie ausschlagen. Dabei lösen sich die Fasern, die sich - gesponnen - als Kettfäden beim Weben nützlich machen. Ein erbärmlicher Gestank überzieht den Graben und die Umgebung, aber hier wachsen die kräftigsten Brennesseln. Die Hände in Lappen gewickelt, gehen wir mit Großmutter Brennesseln schneiden.
»Schon wieder so eine neumodische Idee von deiner Mutter«, sagt sie. »Was muß sie jetzt auch noch Enten großziehen, hat sie nicht genug zu tun?«
Großmutter beschwert sich bei mir über Mutter und Mutter über Großmutter. Ich bin der Abladeplatz für beide, stehe dazwischen und kann mich nicht entscheiden, wer von den beiden recht hat.
Die Entlein gedeihen gut, werden zusehends größer. Niemand hat gemerkt, wann sie ihre gelben Flaumen gegen das weiße Federkleid getauscht haben. Ihr Appetit wird immer größer, und sie watscheln jedem erwartungsvoll entgegen, der den Geflügelhof betritt.
An einem Morgen kommt Mutter kreidebleich in die Küche. »Alle Enten sind tot«, sagt sie. »Es war bestimmt der verdammte Köter von Onkel Józsi.«
Der Onkel vom Nachbarhof ist ein entfernter Verwandter von Großvater. Er hält einen reinrassigen braunen Jagdhund, der hin und wieder, wenn er ein Loch im Zaun zwischen den beiden Gärten entdeckt, gerne die Hühner und anderes Vieh erschreckt. Ein verspielter junger Kerl, mit dem ich herumtoben kann, ohne daß er mir etwas tut.
Der von Mutter ausgesprochene Verdacht hängt in der Luft wie ein Damoklesschwert und wartet darauf, erhärtet oder entkräftet zu werden. Der einzige, der das kann und demzufolge auch muß, ist Vater. Er weiß, daß die Frauen von ihm erwarten, daß er zu Onkel Józsi geht und ihn zur Rede stellt. Vater erhebt sich umständlich vom Frühstückstisch und macht ein paar Schritte in Richtung Küchentür. Dann bleibt er abrupt stehen.
»Woher weißt du, daß der Hund es war?"«
»Ich weiß es nicht, ich dachte nur ...«
»Du solltest nicht denken, sondern nachsehen«, sagt Vater, seiner Wichtigkeit in der Situation bewußt.
Er geht mit energischen Schritten voraus, um eine Untersuchung vor Ort vorzunehmen. Großmutter, Mutter, mein Bruder und ich können ihm kaum folgen. Die Tür des Entenstalls ist offen, Mutter hatte sie vor Schreck nicht wieder verschlossen. Vater bückt sich, um sich am niedrigen Eingang nicht den Kopf zu stoßen. Gespannt warten wir auf das Ergebnis der Untersuchung. Vater läßt sich Zeit. Schließlich kommt er heraus, er trägt eine Ente im Arm. Dann geht er wieder in den Stall, bringt diesmal zwei Tiere mit und wiederholt den Vorgang einige Male.
»Haltet nicht Maulaffen feil«, knurrt er, »seht ihr nicht, daß ich Hilfe brauche? Los, packt mit an!«
Was er vorhat, erklärt er mit keinem Wort, wir können nur raten.
»Die Enten fühlen sich warm an«, bemerkt Großmutter. »Wenn sie tot wären, wären sie kalt."«
Vater erwidert nichts auf Großmutters Bemerkung. Als alle Tiere in Reih und Glied unter dem Maulbeerbaum liegen, stellt er den Gartenschlauch an. Mit einem nicht zu starken Strahl bespritzt er die Enten, so wie er im Garten das Gemüse und die Himbeersträucher sprengt.
Langsam kommt Leben in die Entenreihen. Das Gefieder verklebt und von den zerdrückten Maulbeeren bläulich gefärbt, versuchen sich die Tiere aufzurichten. Torkelnd und schnatternd machen sie die ersten Gehversuche. Die Richtung ist klar: der große Wassertrog. Sie drängeln sich um den Trog, purzeln hinein und versuchen wieder herauszukommen, was ihnen nicht gleich gelingt. Viele Schnäbel tauchen gleichzeitig in das erfrischende Wasser, die Enten schlagen immer munterer mit den Flügeln. Vater erneuert das Wasser so oft, bis die letzte Ente aus dem Trog heraus ist und wieder gerade gehen kann.
Wir, die Zuschauer, verstehen gar nichts. Mit Ausnahme meiner Mutter, die ein erschrockenes Gesicht macht. Durch das aufspritzende Wasser steigt uns allen der beißende Geruch von gärenden Früchten in die Nase. Neben der Tonne, in der Fallobst gesammelt wird, das sich später in der dorfeigenen Destille in hochprozentigen Obstler verwandelt, liegen noch ein paar Kirschen. Die Zeit der Kirschen ist aber schon vorbei. Wie kommen sie dorthin?
Plötzlich läuft vor meinen Augen der Film ab: Ich sehe meine Mutter frischgepflückte Sauerkirschen in einen großen Ballon füllen. Und in der nächsten Szene, wie sie den Inhalt ebendieses Ballons voller Wut auf den Geflügelhof kippt ... Sie hat ihre Kirschen, aus denen kein Schnaps, sondern ihr weit über die Grenzen unseres Dorfes bekannter Kirschwein mit dem klangvollen Namen Debrőer Rubin werden sollte, neben ihrer Feldarbeit vergessen. Das ist gestern gewesen, und wie mir, dämmert es auch dem Rest der Familie, was geschehen ist. Die Enten haben am Vortag die Früchte aufgefressen. Unsere Enten haben einen handfesten Alkoholrausch bekommen, der sie in einen todesähnlichen Schlaf versetzt hat.
Ausnahmsweise gibt Vater keinen Kommentar ab, er schaut nur Mutter an. Dann fängt Mutter an zu lachen. Es ist ein Lachen der Erleichterung, der Freude darüber, daß ihre Enten wieder wohlauf sind. Sie lacht, bis ihr die Tränen über die Wangen rollen.
»Und ich hab gedacht, der Hund von Onkel Józsi... Ein Glück, daß du nicht rübergegangen bist«, sagt sie zum Vater. Mutter lacht und weint gleichzeitig und Vater geht mit dem Schlauch in den Garten, denn er muß schließlich das Gemüse auch noch sprengen. Während er mit dem Rücken zu uns mit dem Wasserschlauch hantiert, sehen wir seine Schultern zucken. Selbst das Lachen verkneift er sich in unserer Gegenwart, wie auch andere Gefühlsregungen. Ich kann mich selten erinnern, seine streichelnde Hand auf meinem Kopf gespürt zu haben, niemals habe ich Tränen über seine Wangen rollen gesehen, nicht einmal, als Großvater gestorben ist.
Die betrunkenen Enten sorgen wochenlang für Gesprächsstoff in unserer Straße. Wir müssen wieder und wieder die Geschichte erzählen. Darüber, daß Mutter den Hund von Onkel Józsi verdächtigt hat, unsere Enten totgebissen zu haben, fällt kein Wort. Im Spätsommer werden die Enten bei der Aufkaufstelle für schlachtreifes Geflügel im Dorf abgegeben. Meine Mutter begleitet