Ich war wenig beruhigt. „Aber dennoch sind Ihre Methoden doch äußerst fragwürdig. Ihnen ist schon bewusst, dass meine Anwesenheit hier die Straftatbestände von Körperverletzung und Freiheitsberaubung erfüllt. Und noch hab ich keine plausible Erklärung erhalten, warum ich eigentlich hier bin. Also eine Erklärung ihrerseits wäre mehr als angebracht, wenn Ihre Absichten scheinbar wirklich so ehrenwert sind, wie Sie behaupten.“
Lichterbrache legte seine Stirn in Falten. „Ich verstehe Ihren Unmut. Nur ist die Sache etwas komplizierter als Sie vielleicht auf den ersten Blick glauben. Ich gebe zu, die Art wie Sie zu uns gekommen sind, zeugte nicht gerade von Gastfreundschaft und ich bin mit den Methoden meiner Mitarbeiter in keinster Weise einverstanden. Dennoch war Ihre Anwesenheit hier unumgänglich und zwar nicht für uns, sondern für Sie selbst.“
„Dann mal raus mit der Sprache, was so wichtig für mich ist. Habe ich was gewonnen oder warum bin ich hier?“, unterbrach ich ihn mittlerweile sichtlich gereizt.
„Ich möchte Sie um etwas Geduld bitten. Oftmals können wir die Betroffenen nicht davon überzeugen freiwillig mitzukommen, weil wir dafür einfach zu weit ausholen müssen und selbst dann würde es sich so unwahrscheinlich anhören, dass Sie uns nicht begleitet hätten.“
„Jetzt reden Sie nicht um den heißen Brei herum!“
„Also, die Sache ist folgendermaßen, der Name unserer Institution ist gewissermaßen Programm. Unsere Aufgabe ist es, Sie mit Tatsachen zu konfrontieren, die Sie so noch nicht wussten und Ihnen Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.“
„Das klingt aber sehr nach Zwangstherapie. Das kann ich mir beim besten Willen nicht leisten.“
„Für Sie läuft das völlig kostenneutral ab. Wir sind eine gemeinnützige Stiftung und für unsere Arbeit entstehen keinerlei Kosten für die Betroffenen.“
Ich war zunehmend verwirrt. „Nun gut, das heißt ich bin vorerst Ihr Gefangener?“
„Nein, nicht im Geringsten. Ihnen steht es frei, das Gelände zu verlassen und zur Polizei zu gehen. Doch glauben Sie, das wird Ihnen nichts nützen, da für diesen Fall schon Vorkehrungen getroffen wurden, Ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben. Für uns hätte dies keine Konsequenzen, nur Sie müssten sich fragen, ob das, was wir Ihnen zu sagen gehabt hätten, nicht doch von Wichtigkeit wäre. Ich würde Ihnen vorschlagen, Sie nehmen unser Angebot an. Die Zeit, die Sie hier bei uns verbringen, wird sich nicht nachteilig für Sie auswirken.“
Das war selbst für mich etwas viel. Andererseits, was hatte ich zu verlieren. „Nun gut“, sagte ich resignierend, „wie sieht Ihr Angebot aus?“
„Sie werden ein paar Tage bei uns verbringen. Ich denke in Ihrem Fall müsste eine Woche ausreichen. Natürlich erhalten Sie ein Zimmer mit allen Annehmlichkeiten und sie werden bestens von unserer Küche versorgt.“
Ich holte gerade Luft, um einen Einwand zu machen.
Lichterbrache hob jedoch tadelnd die Hand. „Uns ist Ihre vegane Lebensweise durchaus bewusst und selbstverständlich ist Ihre Kost 100% tierleidsfrei.“
So langsam war ich sprachlos. Gab es etwas, was die hier nicht von mir wussten.
„Ihr Fehlen wird Ihnen nicht zum Nachteil gereichen“, fuhr er fort, „bei Ihrer Arbeit werden Sie entschuldigt und ordnungsgemäß krank gemeldet. Ihre sowieso sehr rudimentären sozialen Kontakte werden Sie wohl in dieser Zeit nicht sonderlich vermissen. Für den unglaublichen Fall, dass Sie Besuch bekommen sollten, wurden bereits Vorkehrungen getroffen, um ihre Zurückgezogenheit adäquat zu erklären.“
„Was um alles in der Welt haben Sie sich ausgedacht?“, platzte es aus mir heraus.
„Scharlach“, sagte er süffisant lächelnd, „die ideale Krankheit für unseren Fall. Extrem kurze Inkubationszeit, extrem ansteckend und im Erwachsenenalter nicht ungefährlich, aber bei richtiger Behandlung bereits nach kurzer Zeit abgeklungen. Eigentlich ist es schon nach 2-3 Tagen, wenn medikamentös behandelt wird, nicht mehr ansteckend, doch das wissen die Wenigsten und gehen auf Nummer sicher.“
„Und wie soll es nun weiter gehen?“ Ich musste das eben Gehörte erst einmal verarbeiten.
„Nun, Ihr Zimmer wird bereits in diesem Moment hergerichtet. Falls Sie irgend etwas benötigen sollten, klingeln Sie einfach. Unser Servicepersonal wird Ihnen das Notwendige noch erklären. Morgen um 10.30 Uhr werden wir mit unseren Gesprächen anfangen. Frühstücken Sie ruhig ausgiebig. Wir werden uns jeweils am Vormittag 90 Minuten und am Nachmittag 180 Minuten zusammensetzen. In dieser Zeit werden wir Ihren Status quo erarbeiten, Ihnen die bisher vorenthaltenen Wahrheiten darlegen und uns adäquate Handlungsstrategien überlegen. Der Rest der Zeit steht zu Ihrer freien Verfügung. Wir haben übrigens ein wunderschönes Gelände mit angrenzendem Park, der mag Ihnen bei der Ankunft vielleicht entgangen sein. Ein Spaziergang hilft oft, um auf klare Gedanken zu kommen. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?“
„Wie lange wird mein Aufenthalt hier dauern?“
„Eine Woche, wie ich bereits sagte.“
„Eine Arbeitswoche, also 5 Tage?“
Er lächelte, als hätte ich etwas furchtbar Dummes gesagt. „Nein, natürlich eine Kalenderwoche.“
Eine Kalenderwoche – sieben Tage, das war bezeichnend.
„Sonst noch etwas?“
Ich schüttelte den Kopf.
Lichterbrache griff zum Telefonhörer und wählte eine Nummer. „Bringen Sie Herrn Reburas bitte auf sein Zimmer.“
Nicht einmal eine halbe Minute später klopfte es bereits. Lichterbrache geleitete mich zur Tür und öffnete sie. Davor wartete eine junge, recht ansehnliche Frau in der für Servicepersonal typischen Uniform.
„Das Zimmer von Herrn Reburas ist fertig?“
„Ja natürlich, ganz so wie es besprochen war.“
„Hervorragend.“ Lichterbrache wandte sich wieder zu mir um und gab mir die Hand. „Herr Reburas ich freue mich, Sie im Namen von Nuda Veritas bei uns willkommen zu heißen. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Und wenn Sie etwas benötigen sollten, lassen Sie es Nicole wissen.“ Er nickte in Richtung der jungen Frau, die pflichtbewusst knickste.
Ich wollte schon gehen, da wandte ich mich nochmals um und fragte: „Was machte Sie so sicher, dass ich nicht gehen würde?“
Er lachte, als habe er die Frage schon oft gehört und beantwortet. „Die menschliche Neugier, mein Lieber, unterschätzen Sie niemals die menschliche Neugier.“ Dann wandte er sich um und verschwand in seinem Arbeitszimmer.
Das Zimmer lag im oberen Stockwerk und es verfügte sogar über ein Fenster, was ein seltenes Privileg in diesem Bau darstellte. Wie alles in diesem Haus war auch meine Heimat für die nächste Woche von übertriebener Größe und Luxuriösität. Ich schätzte es auf etwa 40 m², es besaß ein riesiges Himmelbett, was ich beinahe schwülstig fand und mich darin etwas verloren fühlte. Daneben gab es noch einen antiken Kleiderschrank, einen Schreibtisch mit passendem Stuhl, eine kleine Sitzgruppe mit Beistelltisch sowie ein mittelgroßes Bücherregal, das mit sämtlichen bekannten Klassikern gefüllt war. Alles war im barocken Stil gehalten und die Möbel schienen sämtlich aus Walnussholz. Wer auch immer für die Innenarchitektur verantwortlich zeichnete, schien ein großes Barockfaible zu haben. Unwillkürlich kam mir wieder die Vampiranalogie in den Sinn. Was aber ins Auge fiel, war das Fehlen sämtlicher moderner Kommunikationsgeräte: Mein Zimmer verfügte weder über Fernsehen, noch über Radio oder Telefon. Selbstverständlich war auch kein Computer vorhanden, nicht mal Netzwerkanschlüsse konnte ich entdecken.
Das Bad, in das man direkt vom Zimmer aus gelangte, setzte auch