„Und wie standen Sie zu ihm als Ihre Mutter noch lebte?“
„Wir hatten nie ein sehr inniges Verhältnis zueinander, unsere Beziehung wurde immer besser je mehr Kilometer zwischen uns lagen.“
„Was wäre Ihr erster Gedanke, wenn Sie vom Tod Ihres Vaters erführen?“
„Wie ich um die Beerdigungskosten herum komme.“
„Sein Tod an sich würde Sie nicht berühren?“
„Nein, er ist mir inzwischen höchstens gleichgültig. Aufgrund der teilweise sehr starken negativen Gefühle wäre ich nicht sicher, ob mir sein Tod nicht auch Genugtuung verschaffen würde.“
So ging es eine Weile hin und her. Am Ende schien Lichterbrache deutlich zufrieden mit dem Ergebnis des Gesprächs zu sein. Bisher konnte ich in dem Ganzen noch keinen richtigen Sinn entdecken, vor allem wenn man bedachte, dass hier eigentlich metaphysische Forschungen durchgeführt wurden.
Erwartungsgemäß wartete Nicole wieder auf mich vor Lichterbraches Büro, um mich zum Abendessen zu begleiten. So langsam fing ich an, Ihre Gesellschaft zu genießen.
Bleibende Ungewissheit (Tag 2)
Als ich erwachte, war ich voller Spannung, was für Nachrichten ich heute bekommen würde und worin diese Wahrheit wohl bestand, wegen der ich hier war. Nicole, die heute auffallend leger gekleidet war und mich wieder zum Frühstück abgeholt hatte, versuchte zwar nach Kräften mich von meinen Gedanken abzulenken, doch mir gelang es nicht, mich auf das Gespräch mit ihr zu konzentrieren. Ich entschuldigte mich für meine geistige Abwesenheit, aber sie winkte nur lächelnd ab.
Doch als ich bei Lichterbrache im Büro saß, erlebte ich eine herbe Enttäuschung. Er fuhr mit der gestrigen Befragung fort, wobei er diesmal mehr in die Tiefe ging. So langsam fragte ich mich, warum dies alles notwendig war, wenn er doch ohnehin schon über mein ganzes Leben Bescheid zu wissen schien. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel und hoffte auf den Nachmittag und dass dieser endlich die ersehnte Aufklärung und somit Licht ins Dunkel brachte. Doch weit gefehlt, nicht mal irgendeine Andeutung machte Lichterbrache, geschweige denn, dass er mir offenbarte, wann er mir denn endlich mehr zu erfahren zutrauen würde.
Zum Abendessen war dann meine Stimmung an einem Tiefpunkt angelangt. Lustlos stocherte ich in dem zu einem anderen Zeitpunkt sicherlich sehr leckeren Pilzragout. Ich kam mir einigermaßen hinters Licht geführt vor und schien hier nur meine Zeit zu vergeuden. Und das sollte noch 5 Tage dauern, bevor ich wieder in meine gewohnte Umgebung zurück konnte. Mit Nicole, die mir auch heute den ganzen Tag in meiner freien Zeit Gesellschaft leistete, wechselte ich kaum drei Sätze und trank schweigend meinen Wein, der obwohl sicherlich von ausgezeichneter Qualität, mir heute irgendwie schal und öde vorkam.
Ich wollte mich gerade unter irgendeinem Vorwand verabschieden, als sie meine Hand ergriff. „Lassen Sie uns noch ein Stück gehen.“
Ich widersprach nicht und folgte ihr, wenn auch widerwillig, in den Park.
„Ich weiß“, begann sie, „Sie sind mit der derzeitigen Situation etwas unzufrieden. Doch glauben Sie mir, dieses Vorgehen ist notwendig. Leider kann ich Ihnen das nicht näher erklären.“
„Das scheint hier niemand zu können oder zu wollen“, entgegnete ich gereizt.
Sie hakte sich bei mir unter, was ich trotz meiner augenblicklichen Stimmung zuließ. „Aber glauben Sie mir, Siegfried macht diese Arbeit schon sehr lange und er weiß, was er tut, auch wenn er manchmal etwas verschlossen bezüglich seiner Vorgehensweisen ist. Ich kann Sie ja gut verstehen, dass Sie langsam ungeduldig werden. Zumal man Ihnen noch nichts wirklich Konkretes gesagt hat.“
„Woher wissen Sie das?“
„Weil das bei uns allen so war. Ich war genau so ungeduldig wie Sie, als ich hierher gekommen bin. Und damals war ich nahe dran zu gehen, alles hinzuschmeißen und wieder nach Hause zu gehen. Doch letztendlich hat doch die Neugier gesiegt.“
„Wie lange sind Sie denn schon hier?“
„Mittlerweile ist es über ein Jahr. Und im Nachhinein betrachtet, muss ich sagen, dass diese ganze Geheimniskrämerei auch notwendig war. Zum einen, um sicher zu gehen, dass die Kandidaten geeignet sind, zum anderen aber auch für die Sicherheit der Einrichtung.“
Kandidaten? Sicherheit der Einrichtung? Wovon sprach sie bloß?
Nicole bemerkte wohl meinen fragenden Blick, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lachte leise. „Sie werden es morgen, spätestens übermorgen erfahren. Dann werden Sie sehen, dass dieses Verhalten wichtig war. Es tut mir leid, ich würde Ihnen gern mehr erzählen, aber im Moment vermag ich das nicht.“
„Aber eines verstehe ich nicht. Warum muss man sich sicher über die Kandidaten sein, also ich meine, ich bin hier angekommen und hatte den Eindruck , dass man mehr über mich weiß als ich selbst. Warum dann noch diese ganze verhörartige Befragung?“
„Was wir bei Ihrer Ankunft wussten, war zwar recht umfangreich, was ihr bisheriges Leben angeht, zumindest das, was man irgendwo wie auch immer dokumentiert findet. Aber was wir verständlicherweise nicht überprüfen konnten, war ihr Innenleben. Wie Sie denken und was Sie bewegt und dergleichen.“
„Und das ist so wichtig?“
„Nun, es ist gewissermaßen ausschlaggebend für den Erfolg des Projektes. Aber ich will Sie nicht neugieriger machen, als Sie ohnehin schon sind.“
„Auch wenn Sie mir etwas Klarheit verschaffen wollten, bin ich jetzt doch noch verwirrter.“
„Ich weiß“, sagte sie lächelnd, „aber immerhin scheinen Sie nicht mehr ganz so schlechte Laune zu haben.“
Sie hatte Recht, durch die Unterhaltung mit ihr, hatte ich irgendwie zu einer Ruhe zurückgefunden, die fast schon beunruhigend war und so gar nicht zu mir passte. Irgendwie hatte die ganze Einrichtung hier eine recht eigenartige Wirkung auf mein Gefühlsleben. Irgendwie schien ich trotz meiner Aufgewühltheit geduldiger geworden zu sein. Ob dies nun mit der ganzen Atmosphäre, die hier herrschte oder mit meiner Begleiterin zu tun hatte, vermochte ich nicht zu sagen.
Einem inneren Impuls folgend, sagte ich zu ihr: „Da wir nun sowieso schon die meiste Freizeit miteinander verbringen, wäre es da nicht angebracht, wenn wir zum DU übergingen.“
„Mehr als angebracht“, meinte sie als sie mir die Hand reichte, „Nicole.“
„Ich weiß“, antwortete ich mit einem Schmunzeln, „Matteo.“
„Sehr angenehm.“
Sie hakte sich wieder bei mir ein und wir schlenderten zurück.
„Ich wünsche Dir eine gute Nacht, Matteo“, sagte sie, als wir vor meinem Zimmer angekommen waren, dann küsste sie mich und machte sich auf den Weg zu Ihrem eigenen Zimmer.
„Ich Dir auch“, war alles, was ich ihr noch hinterher rufen konnte.
Diese Nacht schlief ich sehr unruhig, wachte häufig auf, schlief aber auch schnell wieder ein. Zuviel ging mir durch den Kopf. Was bedeutete es, dass sie meine Denkweise und mein Innenleben überprüfen wollten? Und was hatte das mit Ihrem Projekt zu tun? Was war das nur für eine Wahrheit, die sie mir anvertrauen wollten? Und schließlich, was begann sich da mit Nicole anzubahnen?
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