Ein Hauch von Nemesis. S.F. Chartula. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S.F. Chartula
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738060768
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gar ein Plätzchen zur Rechten des Großen Regenmachers selbst.

      Sei es drum, ich stieg tief hinab in die alltägliche Routine dieser Hallen, murmelte das obligatorische „Morgen“, wenn mir jemand über den Weg lief, begab mich ähnlich motiviert scheinend an meinen Arbeitsplatz und begann mit den mir übertragenen Aufgaben. Leider konnte ich Ihnen im Vergleich zu meinen Kollegen keinen höheren Sinn entnehmen, außer dass sie dazu beitrugen, magere Vorstandsgehälter aufzubessern. Nun, ich leistete meinen, wenn auch bescheidenen, Beitrag an der weiteren Ressourcenausnutzung unseres Planeten, während ich meine Kollegen über Umweltschutz schimpfen hörte und dass dies doch alles nichts brächte und nur Geldmacherei wäre. Ich schluckte eine böse Erwiderung hinunter und widmete mich erneut meiner Aufgabe, mich gleichwohl dafür hassend, täglich gegen meine innersten Überzeugungen zu handeln, nur damit ich am Monatsende meine Miete und sonstige Annehmlichkeiten einer modernen Industriegesellschaft aufzubringen im Stande war.

      Ich versuchte weitestgehend die Gespräche meiner natürlich hochgeschätzten Kollegen auszublenden und mich nicht zu bissigen Bemerkungen hinreißen zu lassen, die ohne dass sie intellektuell im Großhirn des Gegenübers ankommen und verarbeitet wurden, sowieso gleich in ein ignorantes Nirwana entschwänden, begleitet von einem unverständigen Kopfschütteln.

      Die Routine rettete mich über den Vormittag hinweg und ich wappnete mich für das nächste Ritual: die Mittagspause. Wieder tigerte ich durch die Gänge, hauchte jedem das erwartete und doch so sinnfreie „Mahlzeit“ entgegen und fragte mich, wer diese scheinbar unverzichtbare Verhaltensweise erfunden haben mochte.

      Ich verzichtete jedenfalls darauf, dem Herdentrieb in die Mastabteilung der Kantine zu folgen, deren erklärtes Ziel es war, sämtliche Abfallprodukte der Lebensmittelindustrie in kaum kaschierter Form einmal mehr den Stoffwechselprozessen zuzuführen und damit der Pharmaindustrie durch Verfettung, adipöse Tendenzen, Herzinfarkte und viele weiterer angenehmer Nebenerscheinungen der viel gelobten Zivilisation zuzuarbeiten. Die Entscheidung, diesen Genusstempel menschlicher Ernährungsabgründe zu meiden, fiel mir nicht schwer, da ich so wenigstens den einfältigen, stupiden, heuchlerischen, ignoranten, selbstherrlichen und beweihräuchernden Gesprächen für eine halbe Stunde entfliehen konnte.

      Ich entschied mich für einen Spaziergang und bewusst gegen den Kauf eines wie auch immer gearteten Mittagessens, so dass ich zumindest den am Morgen gefassten und durch die vergessene Verpflegung erzwungenen Entschluss in die Tat umsetzte und wenigstens dem Kontostand meiner bereits vollzogenen kleineren und größeren Selbstbetrügereien ein kleines Haben auf dem sonst so übergroßen in dicken roten Zahlen geschriebenen Soll hinzufügte.

      Während ich also den gewohnten Weg einschlug, den ich zu diesen Zeiten immer zu nehmen pflegte – nicht einmal hier wurde ich vor der ritualhaften Routine verschont – hing ich meinen Gedanken nach, die einmal mehr um die Absurdität menschlichen Zusammenlebens und vor allem -arbeitens kreisten. Wem würde es schaden, wenn sämtliche so viel gelobten und scheinbar unersetzlichen zivilisatorischen Einrichtungen und Errungenschaften von heute auf morgen verschwänden und sich die Menschheit – was ja ohnehin unvermeidbar war – wieder in die Steinzeit katapultieren würde. Nun gut, die ganze Fehlentwicklung humanoider Engstirnig- und Charakterlosigkeit würde sich wiederholen, allerdings auf einem relativ primitiven Niveau, so dass der Planet endlich die Möglichkeit bekäme, einmal tief durchzuatmen und sich wirkungsvollere Abwehrmechanismen gegen diesen menschlichen Müll einfallen zu lassen als die bisher bekannten. Während ich noch darüber nachdachte, wie hierfür eine hinreichend notwendige Initialzündung aussehen könnte und welcher weiterer Voraussetzungen diese bedürfte, war ich unbewusst schon wieder am Ausgangspunkt meiner Reise in den eigenen Abgrund angelangt, zwar nicht bereit, doch aber gezwungen mich wieder in die gedankenlose Masse, der an einem höheren Werke arbeitenden Vertreter meiner Spezies einzureihen. Wieder kämpfte ich mich durch die Massen, die immer noch in ihre sinnlosen Gespräche vertieft waren, so dass die angenehme Stille nun durch eine Vielzahl von wispernden oder sich gegenseitig übertönenden Stimmen, die natürlich alle noch schnell die unendlich wichtigen Erzeugnisse ihres einfältigen Lebens vor allen, die es hören wollten oder die einfach dazu gezwungen sind es mitanhören zu müssen, ausbreiteten und auf Entgegnungen einfach mit einem Anheben der Stimme reagierten, um noch möglichst viele nutzlose und völlig nichtige Details breit möglichst zu streuen, als ob hierdurch ihrem bedauernswerten Leben irgendein Sinn verliehen würde. Ich fügte mich den Erwartungen, die wohl in irgendeiner allgemein verbindlichen Übereinkunft in einer anderen Zeit getroffen wurden, indem ich hier und da ein verständiges Nicken – zumindest hoffte ich, dass es als solches gewertet wurde – einfließen ließ. Ich gehorchte damit einfach den Vorgaben, die der Souverän an seine Untergebenen stellte, ohne deren Sinn wirklich zu begreifen, mit anderen Worten: ich funktionierte.

      Kaum hatte ich meinen Arbeitsplatz erreicht, klemmte ich mich hinter meinen PC und gab mich geschäftig, um den letzten Anflügen von Smalltalk und Selbstdarstellung meiner Kollegen zu entgehen. Die zweite Hälfte des Tages schien irgendwie immer gnädiger zu sein und jeden Tag aufs Neue ein Einsehen mit mir zu haben, jedenfalls schien sie wesentlich schneller zu verstreichen als der Vormittag es zu tun pflegte. Vielleicht lag es auch daran, dass die Menschen um mich herum mittlerweile ihr ganzes Pulver verschossen hatten und nichts mehr aus ihrem armseligen Leben zu berichten wussten. Ich vernahm zwar noch hier und da den verzweifelten Versuch lustig zu sein, doch Humor ließ sich leider nicht erzwingen und so nahte auch dieser Nachmittag unwiderruflich seinem Ende entgegen.

      Und abermals schlug mir die so viel geliebte Routine entgegen, wenn meine geschätzten Kollegen, wie jeden Tag, Punkt vier Feierabend machten, sich noch mit einem scheinbar lockeren, aber in Wahrheit total überflüssigen und witzlosen Spruch in den Feierabend verabschiedeten.

      Ich genoss diese seltenen Momente der Ruhe, in denen ich allein im Büro saß und von nichts weiter gestört wurde als vom Brummen des PC-Lüfters. Es hatte etwas Wohltuendes, auch wenn ich noch etwas weiter arbeitete, war dies doch wesentlich angenehmer als den Belanglosigkeiten der anderen zuhören zu müssen.

      Nach einer guten halben Stunde konzentrierten Arbeitens entschloss auch ich, mich auf den Nachhauseweg zu machen. Bedächtig schaltete ich meinen Computer aus, packte meine Sachen zusammen und verließ das Büro, das Gebäude, das Gelände.

      Ein seltsames Gefühl von Freiheit beschlich mich als ich den ersten Schritt außerhalb des Geländes setzte, so in etwa musste sich Geborenwerden anfühlen, nur eben dass mich keiner Kopfüber hielt und mir auf den Allerwertesten klopfte. Obgleich mir auch nach einem kräftigen, initialen Schrei zumute wäre, der alles aus dieser frühabendlichen Lethargie riss.

      Wie jeden Abend merkte ich, dass die morgendliche Angst verflogen war, an Ihre Stelle war eine erst stille, dann immer lauter werdende Wut getreten; eine Wut, die alles menschliche mit einschloss und die zuweilen in gemäßigten, sehr wohltuenden Hass umschlug. Ich musste dieses verachtenswerte Gefühl der Verachtung wohl einigermaßen deutlich nach außen getragen haben, denn alle, die meinen Weg kreuzten, machten mir Platz, so dass ich ungestört und in Gedanken meinen Weg zur Bahn fand.

      Aber meine morgendliche Glückssträhne schien immer noch nicht abgerissen zu sein, denn wie gewöhnlich verpasste ich die Bahn um gerade zwei Minuten. Ich fügte mich, setzte mir die Kopfhörer auf und wartete. Nach zehn unendlich langen Minuten bequemte sich die Bahn dann doch noch zu kommen. Beim Einsteigen konnte ich mein Glück kaum fassen: Es gab noch leere Plätze! Ich sicherte mir einen und stellte meine Tasche demonstrativ neben mich. Jedoch war mein Glück nur von kurzer Dauer: Bereits an der nächsten Station stieg der im wahrsten Sinne fleischgewordene Alptraum einer jeden Heimfahrt ein: ein unförmiges ungefähr 200 Kilo wiegendes Stück Mensch stieg ein und bewegte sich zielsicher auf mich zu. Es gab überall genug Platz, aber nein ausgerechnet mich hatte er zu seinem Sozius auserkoren. Mit wulstigen Fingern zeigte er auf meine Tasche und offenbarte ein marodes Grinsen, gefolgt von einem: „Darf ich?“ Ich sah kurz auf und blickte in ein noch schwabbeligeres Gesicht als es der restliche Körper schon war. Ohne eine Antwort nur abzuwarten setzte er sich neben mich, ich konnte gerade noch meine Tasche unter seinem wie mir schien alles zermalmenden Arsch wegziehen. Ein kurzer Blick aus den Augenwinkeln zu meinem Gegenüber genügte, um mich gleich wieder voller Ekel abzuwenden: Nicht nur, dass man hier das genaue Ebenbild von Jabba the Hutt neben sich hatte, sein Aussehen wurde auch noch