Ein Hauch von Nemesis. S.F. Chartula. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S.F. Chartula
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738060768
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mehr von ihr. Ich nahm an ihrem Leben teil, doch gehörte es nicht zu mir.

      Aber dies war nicht das Gefühl, das sich in mir regte an jenem Abend. Es war der Wunsch wirklich etwas zu ändern, durch einen großen Knall, die meisten aus ihrer Lethargie zu reißen und ihnen ihre Ignoranz vor Augen zu führen, einfach endlich mal etwas zu bewegen.

      So saß ich denn zu Hause bei einem Glas Rotwein. Kein besonders guter, nur ein einfacher Landwein, aber für meine Verhältnisse genügte er und er war auch nicht hinderlich beim Nachdenken. Wie so oft saß ich im Dunkeln, für Kerzen war es bereits zu warm und das elektrische Licht war mir zuwider. Ich hatte das Fenster etwas geöffnet und die immer noch warme Nachtluft streichelte sanft mein Gesicht. Ich grübelte also, warum die meisten Menschen so sind, wie sie eben nun mal sind und ob sie in ihrem beschränkten Sein wirklich Befriedigung empfanden. Ob diese Befriedigung nur eine Ausprägung ihrer eigenen Beschränktheit darstellte oder ob sie sich ihre Existenz solange zurecht gelogen hatten, bis sie die Lüge selbst glaubten. So sinnierend saß ich noch eine Weile, beglückwünschte mich zu dem bevorstehenden Wochenende, nicht so sehr weil ich ausschlafen konnte, sondern weil mir die ganze scheinbare Normalität für zwei Tage erspart bleiben würde. Und schließlich als sich meine Gedanken anfingen im Kreis zu drehen, machte ich mich auf ins Bett, nicht wissend, dass bereits am Morgen die verhasste Routine so jäh und nachhaltig durchbrochen werden würde, wie ich es nicht einmal in meinen Träumen, nun in meinem Fall müsste ich wohl sagen in meinen Alpträumen, für möglich gehalten hätte.

      Ich schlief unruhig in dieser Nacht, wälzte mich hin und her und erwachte immer wieder. Doch als ich gegen 10 Uhr richtig wach wurde, hätte mich mein Zustand eigentlich stutzig machen sollen. Irgendetwas war anders als sonst, doch damals konnte ich es mir nicht erklären. Im Nachhinein betrachtet, weiß ich, dass die morgendliche Angst, die stets die erste war, die mich nach dem Aufwachen begrüßte, fehlte, mehr noch an ihre Stelle war eine stille und genauso unbestimmte Wut getreten, die ich nicht einordnen konnte. Schlaftrunken wankte ich ins Bad und kam dabei leider an der Küche vorbei, einen Blick zu riskieren, war definitiv ein Fehler als mir das ganze ungewaschene Geschirr entgegen sprang. Meine Laune war mit einem Mal auf dem Tiefpunkt, sofern das überhaupt noch ging. Ich verdrängte die anstehende Arbeit und begann notdürftig mit meiner Morgentoilette und fühlte mich nach 10 Minuten fast schon wieder als Mensch. Das besserte meine Laune zwar nicht wesentlich, doch vermittelte es im Ansatz ein zivilisiertes Gefühl. Ich begann zu überlegen, ob es lohnt über die Errungenschaften und Sinn der Zivilisation nachzudenken, verwarf aber den Gedanken so schnell wie er mir gekommen war, wenigstens den Morgen wollte ich mir nicht noch vollends verderben.

      Gerade als ich mit der morgendlichen Reinigung fertig war, klopfte es an meiner Tür. Wohlgemerkt es klopfte, es klingelte nicht. Jeder Besuch, den ich bisher empfangen hatte, hatte die Klingel benutzt. Entweder die direkt an der Haustüre oder eben jene, die neben der Wohnungstür angebracht war; selbst der Vermieter klingelte, wenn er etwas von mir wollte. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte mir, dass wir es erst 10.30 Uhr hatten, an einem Samstag eine ganz und gar ungewöhnliche Zeit für Besucher.

      Als ich die Türe öffnete, standen zwei mir völlig unbekannte Männer vor der Tür. Beide nach dem gängigen Modeempfinden sehr gut gekleidet. Auf mich wirkten sie jedoch eher gekünstelt, als würden sie in diese Uniformen gesteckt, ohne es zu wollen und ohne sich darin wohl zu fühlen. Ich konnte es Ihnen nicht verdenken. Der Größere der beiden war von schlanker, aber durchtrainierter Statur, trug sein blondes Haar in einen militärischen Bürstenhaarschnitt und fiel vor allem durch seine relativ kalten Augen auf. Der Kleinere hatte einen leicht südländischen Einschlag und schien guter Küche nicht gänzlich abgeneigt, was man auch an dem doch recht eng sitzenden Anzug sehen konnte. Seine Augen strahlten auf den ersten Blick eine gewisse Wärme aus, doch bei näherer Betrachtung erkannte ich darin die Verschlagenheit eines Wiesels. Das streng nach hinten gegelte schwarze Haar und der angedeutete Schnurbart verstärkten diesen Eindruck noch. Beide waren ganz in schwarz gekleidet, von übertriebener Eleganz und irgendwie unpassend. Vor allem die Lackschuhe gaben den beiden etwas fast Lächerliches. Der Größere trug einen Pilotenkoffer bei sich, während der Südländer lediglich mit einer ledernen Aktenmappe bewaffnet war. Zeugen Jehovas im Matrixkostüm, schoss es mir durch den Kopf als ich die beiden eingehend begutachtete. Unwillkürlich musste ich lächeln.

      „Sie wünschen?“, fragte ich deshalb auch freundlicher als beabsichtigt.

      „Wir wollen mit Ihnen...“, fing der Südländer an und setzte dabei sein schönstes Verkäuferlächeln auf.

      „...mit mir über Gott sprechen?“, vollendete ich schmunzelnd den Satz. Dies war mir eigentlich nur so herausgerutscht, doch es verlieh der Situation etwas ungewollt Skurriles.

      Sofort erstarb das aufgesetzte Lächeln. Er strafte mich mit einem Blick, als ob ich in der Kirche einen dreckigen Witz gerissen hätte.

      „Nun, das wohl weniger.“, entgegnete der Don-Giovanni-Verschnitt indigniert. „Wir wollen mit Ihnen ein paar durchaus wichtige Fragen erörtern und Sie deshalb bitten mit uns zu kommen.“

      „Was sollen das für wichtige Fragen sein? Ich bin ausreichend versichert, gedenke nicht mir in naher Zukunft Wohneigentum zuzulegen, auch stehen sonst keine größeren Anschaffungen bevor. Und über Gott reden wollen Sie ja nicht, wie Sie mir schon glaubhaft versichert haben.“ Das Gehabe fing an mir auf die Nerven zu gehen.

      „Nun unser Anliegen ist existenziellerer Natur.“ Da war es wieder dieses falsche Grinsen.

      „Na, wenn dem so ist“, begann ich ungehalten „würde ich es doch sehr begrüßen, wenn ich wüsste, mit wem ich es zu tun habe.“

      „Natürlich, verzeihen Sie bitte, wie unhöflich von uns“, sagte der Kleinere beschwichtigend und mit einem Singsang in der Stimme, der an einen Pfarrer erinnerte. „Carletto ist mein Name und das ist Herr Johannson. Wir kommen von einer gemeinnützigen Stiftung, Nuda Veritas, und möchten Sie um Ihre Mithilfe bitten. Es soll nicht zu Ihrem Nachteil sein.“

      Nuda veritas? Die nackte Wahrheit. Na, wenn das mal nicht nach einer Sekte roch. Hatte sich Scientology umbenannt, grübelte ich. Mein Schweigen musste Don Carletto wohl als Zustimmung gewertet haben, denn sein Grinsen wurde breiter.

      „Herr Carletto, es tut mir leid, aber meine Zeit heute ist äußerst knapp bemessen. Sie haben doch bestimmt Infomaterial dabei und Ihre Stiftung wird auch eine Homepage haben, dann informiere ich mich vorab und werde mich nochmals bei Ihnen melden.“ Ich versuchte es einfach einmal auf die höfliche Art.

      Carlettos Grinsen verengte sich zu einem schmalen Schlitz. „Ich fürchte, das geht nicht. Diese einmalige Gelegenheit bietet sich nur heute, das müssen Sie verstehen. Und unser Auftraggeber hat sehr viel Mühe darauf verwandt, den passenden Kandidaten für dieses Projekt auszuwählen. Nun, Herr Reburas. Was sagen Sie?“

      Auftraggeber? So langsam bekam das Ganze etwas von einer Mafia-Schmonzette und meine Geduld war so allmählich doch am Ende. „Also nun hören Sie mal, Sie kommen her, erzählen mir irgendwelche komischen Geschichten von Stiftungen und Auftraggebern und erwarten allen Ernstes, dass ich sie begleite, nach all diesem nebulösen Geschwätz.“

      Carletto schien in sich zusammen zu sinken. „Dürfen wir Ihnen dann wenigstens noch unsere Broschüre da lassen?“

      Jetzt ging es also auf einmal doch.

      „Meinetwegen“, sagte ich schon sichtlich genervt.

      „Herr Johannson, wären Sie so freundlich.“

      Der Skandinavier, der bisher keinen Ton von sich gegeben hatte, nickte stumm, drehte mir den Rücken zu und machte sich an seinem Pilotenkoffer zu schaffen.

      „Verzeihen Sie bitte, wenn wir Ihre wertvolle Zeit über Gebühr beansprucht haben, doch es handelt sich um ein sehr wichtiges und erfolgsversprechendes Projekt.“

      „Sicher“, sagte ich Carletto zugewandt und etwas abwesend, da ich in Gedanken schon bei meinen Einkäufen war, die noch getätigt werden mussten. Aus den Augenwinkeln sah ich Johannson aufstehen. Ich streckte die Hand aus, um die Flyer entgegen zu nehmen, immer noch Carletto zugewandt. Dieser ergriff meine Arme, während Johannson