Mein erster Gedanke war, nachdem ich das Zimmer inspiziert hatte, dass wenn ich sieben Tage hier verweilen sollte, mir auch das größte Bad nichts nutzen würde, wenn ich keine Klamotten zum Wechseln hatte. Ich machte den Kleiderschrank auf und er war tatsächlich voll. Der Schrank offenbarte sämtliche Kleidungsstücke in drei Größen und alle natürlich in obligatorischem Schwarz gehalten, was mich aber keineswegs störte.
Ich beschloss noch ein Bad zu nehmen, bevor ich mich zu Bett begab. Denn obwohl es erst früher Abend war, fühlte ich mich dermaßen ausgelaugt und erschöpft, dass ich mich nur nach wohltuendem Schlaf sehnte. Also begann ich mir Wasser einzulassen und entschied mich für ein Schaumbad. Denn wie sollte es anders sein, hielt das Repertoire des Bades auch sämtliche Entspannungsvarianten an Badezusätzen bereit. Ich überlegte noch, ob ich mir ein Buch mitnehmen sollte, entschied mich aber dagegen. Kaum war ich in die Wanne gestiegen, da machte sich bereits eine wohlige Wärme in mir breit und ich bemerkte erst jetzt meine Erschöpfung richtig. So war es auch kein Wunder, dass ich nach kurzer Zeit bereits eingeschlafen war und erst wieder erwachte, als das Wasser kalt wurde. Widerwillig quälte ich mich aus der Wanne und suchte in dem gut sortierten Kleiderschrank nach dem für mich bestimmten Nachtzeug. Als ich mich schließlich bettfertig gemacht hatte und unter die Decke des Himmelbettes kroch, was immer noch ein recht befremdliches Gefühl war, fiel ich sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Fragen (Tag 1)
Als ich am nächsten Tag erwachte, benötigte ich erst einige Zeit, bis ich mir bewusst gemacht hatte, wo ich mich befand. Über das eigentliche Warum war ich immer noch im Unklaren, doch dieses sollte sich ja wohl die nächsten Tage klären. Diese Klärung erwartete ich schon mit Spannung, auch wenn ich nicht glaubte, dass dabei auch nur etwas annähernd Interessantes herauskam, das diesen Aufwand und die ganze Geheimnistuerei gerechtfertigt hätte. Nun der Tag würde es zeigen.
Um meinen gestern bekannt gegebenen Termin auch einzuhalten, stand ich auf und stellte mich erst einmal unter die Dusche. Es gibt doch nichts Belebenderes als eine heiße Dusche am Morgen, so dass ich komplett die Zeit vergaß. Ich merkte erst wie lang ich unter der Dusche stand, als sich bereits meine Haut zu runzeln begann. Doch da ich nicht wie sonst üblich so unter Zeitdruck stand, sah ich auch nicht ein, warum ich mich groß beeilen sollte.
Nachdem ich also meine Morgentoilette hinter mich gebracht und die für mich reservierte Kleidung, die sich als erstaunlich bequem erwies, angelegt hatte, begab ich mich nach unten. Am Fuße der Treppe wurde ich bereits von Nicole in Empfang genommen, die heute nicht in der einheitlichen Serviceuniform steckte, sondern einen knielangen Rock und eine dezente Satinbluse trug, beides natürlich in schwarz, ebenso ihre eleganten Schuhe, die einen leichten Absatz aufwiesen. Ihr blondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, was ihr deutlich besser stand, als die gestrige Duttfrisur.
„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen beim Frühstück Gesellschaft leiste?“ Es war weniger eine Frage als viel mehr eine Ankündigung.
„Nicht im Geringsten“, entgegnete ich ihr.
Sie hakte sich bei mir unter und führte mich so, ohne mich eigentlich offensichtlich zu führen, zum Speisesaal, der sich auf der anderen Seite des Foyers befand, also gegenüber von Lichterbraches Arbeitszimmer. Nun, die Bezeichnung Speisesaal war, wie alles in diesem Gebäude, leicht untertrieben. Es handelte sich um ein kleines aber exklusives Restaurant mit ungefähr sieben Tischen. Die Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt, ebenso die Decke. Die Beleuchtung erfolgte durch viele kleine Halogenlämpchen, die der Decke so einen sternenhimmelmäßigen Charakter verliehen. Um eine Säule in der Mitte des Raumes (ich vermutete, dass sie keinerlei statischen Nutzen erfüllte, sondern lediglich dekorativen Charakter besaß) war ein reichhaltiges Frühstücksbuffet aufgebaut.
An einem der Tische saß bereits Lichterbrache, der sich lediglich einen Kaffee und ein Laugencroissant zum Frühstück gegönnt hatte. Als wir eintraten, nickte er mir freundlich zu, ohne sich zu erheben. Ich wollte mich gerade zu ihm an den Tisch setzen, als Nicole mich sanft, aber mit Nachdruck, zu einem anderen Tisch im hinteren Bereich des Raumes führte, an dem wir Platz nahmen.
Auf meinen fragenden Blick hin, lächelte sie nur verschmitzt. „Mit Siegfried werden Sie heute noch lange genug zu tun haben. Oder ist Ihnen meine Gegenwart so unangenehm, dass sie diese mit anderen teilen wollen.“
Nun, sie wusste einen mit nur einem Satz in Verlegenheit zu bringen. „Nein, natürlich nicht, es ist nur, dass...“ Ja was eigentlich?
„Ja?“ Sie sah mich fragend an, doch man merkte, dass sie eigentlich keine Antwort erwartete.
Als ich ihr so gegenüber saß, merkte ich, dass sie leicht geschminkt war und einen dezenten Duft verströmte, der mich an Patschuli erinnerte.
„Nun, es ist alles noch etwas ungewohnt für mich, verzeihen Sie.“
Sanft legte Sie ihre Hand auf meine. „Nichts wofür Sie sich entschuldigen müssen, aber es wird nicht lange dauern und Sie finden sich zurecht.“
„Nun, so lange bin ich ja auch nicht hier.“
Sie lächelte wissend, sagte aber nichts darauf. „Also, was wollen Sie zum Frühstück? Oder wollen Sie sich lieber vom Buffet inspirieren lassen?“
„Buffet klingt gut.“
Das Buffet ließ nun wirklich keine Wünsche offen. Von diversem Obst, über Marmelade, Honig, Obstsalate, herzhafte Aufstriche, Schinken, verschiedene Brötchensorten, Croissants, Müsli, Cornflakes bis hin zu einer Vielzahl frisch gepresster Säfte, gab es nichts, was ein hungriger Magen vermisst hätte.
Gewohnt durch meine Ernährung auf einiges zu achten, machte ich eine Vorauswahl.
Nicole stupste mich an. „Sie können ruhig alles bedenkenlos nehmen, hier werden sie keine tierischen Inhaltsstoffe finden. Wir pflegen uns den Gewohnheiten unserer Gäste anzupassen.“
Und tatsächlich, der Honig entpuppte sich als Ahornsirup, der Schinken hatte die Tofu-eigene Konsistenz und bei der Milch konnte man wählen zwischen Reis und Soja.
Ich entschied mich für ein Croissant mit Marmelade und etwas Obstsalat, dazu einen frisch gepressten Orangensaft und einen Schwarztee. Sie tat es mir gleich, verzichtete allerdings auf die Marmelade und wählte stattdessen einen Cappuccino.
„Sie duzen sich alle untereinander?“, wollte ich dann beim Frühstück wissen.
„Ja sicherlich, das sorgt für eine wesentlich angenehmere Arbeitsatmosphäre und ist nicht so steif wie die deutsche Korrektheit.“
Nun, da musste ich ihr zustimmen, doch fragte ich mich, wie die Hierarchie in dieser Institution wohl genau aussah. Gestern hatte es den Anschein, als sei sie nur vom Servicepersonal und heute schien sie einen ganz anderen Status zu haben. Nun, es wird wohl nicht die letzte Überraschung hier gewesen sein.
Wir unterhielten uns noch eine Zeit lang zwanglos über relativ unwichtige Dinge.
„Ich denke, ich sollte Sie jetzt zu Siegfried bringen.“
Lichterbrache erwartete mich bereits.
„Guten Morgen, Herr Reburas, ich hoffe, Sie waren mit Ihrer Begleitung zufrieden.“
„Doch, es war sehr angenehm.“
Er lächelte, als habe er keine andere Antwort erwartet. „Nun, dann lassen Sie uns mit der Arbeit beginnen.“ Er wies auf die lederne Sitzgruppe.
„Soll ich mich auf die Couch legen?“
„Oh nein, wir betreiben ja keine Psychoanalyse, aber ich denke, es ist bequemer, als wenn man den Schreibtisch zwischen uns hat.“
Als wir beide Platz genommen hatten, fing er unvermittelt an zu fragen. „Sie bezeichnen sich also als Misanthrop. Was führt Sie zu dieser Einschätzung der Menschen?“
„Ich