Der Zauber von Regen. Liliana Dahlberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liliana Dahlberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737534710
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sie in mittelgroße Stücke. Die beiden agierten sehr behände. Dann holten sie das Fleisch, das Bernd bereits vor dem Eintreffen des Besuchs gegart hatte, aus der Schüssel. Sie gaben es mit den Zutaten in einen großen Topf mit kochendem Wasser und fügten Zwiebeln hinzu. Nun wurden Kartoffeln in einem zweiten Topf aufgesetzt und gekocht.

      Nadine und ihr Vater nahmen das Fleisch aus der Brühe und drehten es samt dem Gemüse durch einen Fleischwolf. Auch die Rote Bete, einige Gewürzgurken und Matjes fielen ihm zum Opfer. Als die Kartoffeln fertig waren, wurden sie fein gestampft und mit der Fleischmasse vermengt. Bernd verfeinerte sie noch gekonnt mit Pfeffer und Salz. Das Ganze war nun ein einziger Brei.

      »Jetzt werden wir es schön anrichten!«, sagte Bernd und strahlte seine Tochter liebevoll an.

      Nadine holte Teller aus dem Hochschrank der Küche, und das Labskaus fand seinen Weg auf sieben Teller, die mit Spiegeleiern und einem Rollmops garniert wurden.

      »Nun erlebt manch eine eine Überraschung!«, sagte Bernd vergnügt und marschierte mit seiner Tochter nebst einigen Tellern auf das Kaminzimmer zu.

      Mein Vater hat ganz schön viel Mut, dachte Nadine.

      »Meine Damen, es ist so weit! Machen Sie sich bereit für ein großes Geschmackserlebnis!«, verkündete Bernd und verteilte die Teller mit seiner Tochter vor den erstaunten Augen der Gäste.

      Nadine lief schnell in die Küche zurück und holte die Teller für ihren Vater und sich. Sie brachte Gläser mit und stellte sie auf den Tisch. Da Bernd wusste, dass die Damen außer Gabriella allesamt stets nur Wasser zum Essen tranken, schenkte er ihnen Sylter Quellwasser ein. Die temperamentvolle Italienerin verköstigte er mit einem guten Weißwein.

      »Das sieht abenteuerlich aus«, meinte Miranda, leicht irritiert darüber, auf ihrem Teller diesen Brei vorzufinden. Ihr Magen schnürte sich zu.

      »Wo wird so ein Gericht denn angeboten?«, fragte Stephanie, die keineswegs von dem Anblick ihres Tellers abgeschreckt war.

      »Man liest es zum Beispiel auf den Speisekarten einiger traditionsbewusster Lokalitäten hier in Schleswig-Holstein. Ich bin auch stolz darauf, dass ich es Ihnen nun näherbringen kann. Und jetzt bleibt mir nur noch, einen guten Appetit zu wünschen«, antwortete Nadines Vater.

      Während Priscilla und Miranda sich merklich pikiert daran machten, das Labskaus zu essen, waren Gabriella und Stephanie sehr angetan.

      »Herr Hansen, wo haben Sie gelernt, so zu kochen?«, wollte Gabriella wissen.

      »Es ist nicht mein alleiniges Werk, ich hatte ja meine Tochter als Küchenfee zur Unterstützung. Aber ich denke, es ist ein Geschenk der Natur«, entgegnete er.

      Rita verschluckte sich in diesem Moment.

      »Nur nicht zu hastig und gierig, Rita. Es ist in der Küche noch genug da«, meinte Bernd schmunzelnd und klopfte seiner Frau leicht auf den Rücken.

      Diese nahm zwei kräftige Schlucke aus ihrem Glas.

      Miranda wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, aber Bernd wehrte es mit einer Handbewegung ab. »Sie brauchen nichts zu sagen …« Er machte eine kurze Sprechpause, richtete seinen Blick zur Zimmerdecke und fuhr fort: »Ich weiß, es ist soeben ein neuer Michelin-Stern über Sylt aufgegangen.«

      Miranda schaute verdutzt.

      Nadine sah die Zeit für das Dessert gekommen. »Entschuldigen Sie mich«, sagte sie, »ich backe Ihnen noch ein leckeres Mohnsoufflé. Ich geh dann schon einmal in die Küche.«

      »Sie haben aber wirklich einen Engel zur Tochter«, sagte Priscilla.

      »Wem sagen Sie das«, entgegnete Bernd stolz.

      In der Küche bereitete Nadine das Soufflé nach einem Rezept aus einem alten Kochbuch zu. Im Nu konnte sie den Teig samt dem Mohn in eine Form geben und schob sie in den Ofen. Da die Backzeit insgesamt an die 45 Minuten betrug, setzte sie sich zwischenzeitlich noch einmal draußen an den Tisch. Dort bekam sie mit, wie Gabriella die Einladung ihres Vaters nach Italien erneuerte.

      »Herr Hansen, Sie müssen unbedingt nach bella Italia kommen und Dolce Vita genießen«, meinte sie.

      »Nun, ich muss einmal schauen, wann sich das einrichten ließe«, antwortete er und ließ einen genauen Zeitpunkt offen.

      »Mein Mann kommt dich sicherlich bald besuchen«, sagte Rita und schaute Bernd auffordernd an.

      Dann sprachen die Damen am Tisch noch über ihre anstrengende und anspruchsvolle Arbeit in New York und wie stickig es im Sommer in der Stadt war. Man merkte aber, dass Rita frostige Blicke in Richtung ihres Gatten warf und ihm das Labskaus immer noch übel nahm.

      Die Zeit verging. Nadine lief nach einer guten Dreiviertelstunde in die Küche und holte das Soufflé aus dem Ofen. Sofort lief sie damit in das Kaminzimmer und platzierte es zentral auf den Tisch.

      »Voilà«, sagte sie zufrieden.

      Doch kaum stand das Soufflé dort, sank es wie ein Ballon ein, dem die Luft ausgegangen war.

      Alle schauten etwas überrascht, und Bernd kommentierte die Szene treffend: »Da ist das Soufflé aus lauter Scham vor so entzückenden Damen eingegangen.«

      »Sie alter Charmeur«, erwiderte Gabriella heiter.

      »Herr Hansen, Sie haben wirklich Humor«, stellte Miranda fest.

      Und so kam es, dass der Abend auch für diejenigen versöhnlich auszuklingen begann, die das Labskaus mit Befremden gegessen hatten und mit dem Küchenchef unzufrieden waren. Denn das sichtlich aus der Form gebrachte Soufflé schmeckte trotzdem gut, und die Damen waren über Bernds Kommentar erheitert und auch etwas geschmeichelt. Sie fanden, dass Ritas Ehemann den Ausdruck »Frisia non cantat« eindeutig widerlegte. Es sind wohl auch Menschen wie Nadines Vater, die das Vorurteil entkräften können, dass Friesen nicht singen und demnach ein wenig fröhliches Völkchen sind. Bernd wirkte besonders an diesem Abend gut aufgelegt und beschwingt. Er war mit seinem sprühenden Humor ein wenig zum Unterhalter wider Willen von Ritas Freundinnen geworden. Diese sahen ihn nun im Gegensatz zu ihrem letzten Besuch mit anderen Augen und zeigten sich ihm gegenüber nicht mehr so überheblich.

      Bernd fragte seine Gäste noch zu später Stunde: »Wer von Ihnen will eine ›Tote Tante‹?«

      Priscilla war die Einzige im Raum, die nicht wusste, dass es sich hierbei um ein ganz spezielles Getränk handelte.

      »Nun, ich weiß nicht, diese Frage kommt reichlich spät«, stellte sie verwundert fest, »aber ich hatte eigentlich immer ein gutes Verhältnis zu ihr.«

      »Priscilla«, sagte Stephanie und hielt sich den Bauch vor Lachen, »eine ›Tote Tante‹ ist eine heiße Schokolade mit Rum. Deine Tante in allen Ehren! Herr Hansen möchte nicht wissen, wer von uns seiner nächsten Verwandtschaft das Ableben wünscht.«

      Stephanies fröhliches Lachen war ansteckend. Miranda und Gabriella konnten sich diesem nur anschließen.

      »So ein Schlaftrunk ist doch jetzt sicherlich genau das Richtige«, meinte Bernd und ging mit seiner Tochter in die Küche.

      Schon wenig später balancierte Nadine das Getränk in weißen Porzellantassen mit einem schönen Rosenmotiv auf einem Tablett zu dem Teakholztisch im Kaminzimmer. Dort wurde schnell nach den Tassen gegriffen, und das Trinken der heißen Schokolade bildete den Abschluss der Dinnerparty.

      »Ich werde heute Abend sicherlich wie ein Stein schlafen«, meinte Gabriella zufrieden.

      »Wie ein angeheiterter Stein«, bemerkte Miranda lachend, »aber du hast recht. Ich werde wahrscheinlich auch tief und fest schlummern, und nichts wird mich wecken können.«

      »Und mit Möwengekreische werden wir in der Früh aufwachen, wie romantisch«, sagte Stephanie und schlürfte an ihrem Getränk. »Aber wann wollen wir denn morgen wieder zusammenkommen?«, fügte sie fragend hinzu.

      Bernd gefiel der Gedanke nicht, schon wieder recht früh mit der Frauengesellschaft konfrontiert zu sein. Ein wenig Erholung würde schließlich