Der Zauber von Regen. Liliana Dahlberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liliana Dahlberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737534710
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Bände sprachen. Im Kleinbus behielt sie ihre Grabesmiene bei, die die ganze Fahrt über anhielt, bis sie in der Villa der Familie Hansen eintrafen.

      »Also, das war doch eine Fahrt mit Atmosphäre«, befand Stephanie und war vollends begeistert, als sie alle aus dem Fahrgefährt stiegen und am Zielort eingetroffen waren. »Dieser putzige kleine VW-Bus hat bei mir Erinnerungen aus längst vergangenen Tagen geweckt. Im Geist habe ich mich in meinem Lieblingskleid aus den Achtzigern gesehen. Es hat überall so schön geglitzert und war mit Strass besetzt. Damit habe ich so manche Feier unsicher gemacht und …«, begann sie schwärmend zu erzählen.

      Rita unterbrach sie. »Stephanie, schön, wenn du dich gedanklich gerne mit der Vergangenheit beschäftigst, für mich gilt es jedenfalls nicht.« Sie rümpfte die Nase. »Ich bin lieber mit allen Sinnen im Hier und Jetzt und trauere Vergangenem nicht hinterher.«

      »Rita, was heißt denn hier trauern? Ich blicke in die Vergangenheit ja nicht mit Wehmut, sondern mit Freude zurück. Außerdem, was kann so schlecht daran sein, wenn man Schönes noch einmal aufleben lässt?«, fragte Stephanie verwundert und etwas vorwurfsvoll. »Hast du denn keine guten Erinnerungen an diese Zeit?«, hakte sie nach.

      »Das habe ich alles hinter mir gelassen«, erwiderte Rita daraufhin.

      Wahrscheinlich auch unsere Ehe, dachte Bernd insgeheim, als er mit der kleinen Gruppe von Frauen und seiner Tochter nun durch die Gartentür schritt, am Friesenwall vorbei, und sich der großen Eingangstür aus Ebenholz näherte, die für ein stolzes Stück Geschichte des Hauses Hansen stand und deren Griffe aus Messing kunstvoll geschwungen waren. Sie stellten kleine Wale dar und erinnerten so ein wenig an die Haustür der Walfängerfamilie »Teunis«, die ein sehr beliebtes Fotomotiv auf der Insel ist. Über der Tür der Villa thronte außerdem ein für Friesenhäuser charakteristischer Spitzgiebel.

      Bernd wurde sogar ein wenig traurig, weil er im Gegensatz zu seiner Frau gerne an jene aufregende Zeit zurückdachte. Er trat damals seine Stelle als Stationsarzt in der Kieler Herzklinik an, und der Zufall wollte es, dass Ritas Mutter kurz darauf mit Herzproblemen eingeliefert wurde. Er therapierte sie mit seinen Kollegen erfolgreich, und dann betrat eines Tages ihre Tochter die Station und schritt durch seine Bürotür. Amor traf ihn damals mit seinem Pfeil mitten ins Herz. Bernd fühlte sich sofort zu Rita hingezogen, die zu der Zeit noch Fräulein Peters hieß. Ihr entwaffnendes Lächeln entzückte ihn, ebenso wie Ritas Charme und Redegewandtheit. Aus ihr sprach natürlich auch große Dankbarkeit für die erfolgreiche Behandlung ihrer Mutter, und das schmeichelte ihm. Nur mit Mühe konnte er sich damals auf das eigentliche Gesprächsthema, den Gesundheitszustand von Ritas Mutter, konzentrieren. Bernd war zu der Zeit sehr dankbar, dass ihm die Aufgabe zufiel, mit diesem atemberaubenden Fräulein Peters zu sprechen, von der er seinen Blick kaum noch abwenden konnte und wollte. Er meinte, ein Knistern in der Luft deutlich zu spüren, und sein eigenes Herz schlug ihm bis zum Hals.

      Es sollte zu einer zweiten Begegnung kommen, als er an einem internationalen Ärztekongress in Kiel teilnahm, auf dem Rita als Dolmetscherin tätig war. Er betrachtete es als Schicksal, diese Frau nun wiederzusehen, und wagte erst jetzt die Kontaktaufnahme, indem er ihr einen Brief schrieb und sie dazu einlud, mit ihm essen zu gehen. An den Wortlaut konnte er sich noch gut erinnern. Es kam zu dem erhofften Treffen, und zarte Bande wurden geknüpft. Seine Gefühle zu Rita brachen sich nach diesem Rendezvous einmal mehr Bahn.

      Er war sehr schüchtern, und es entsprach nicht seinem Naturell, sofort mit ihr über seine Emotionen zu sprechen. So ging noch einige Zeit ins Land, bis er ihr seine Liebe gestand. Bernd hoffte, dass sie diese erwidern würde, und hatte diesen großen Moment unzählige Male in Gedanken geprobt. Er wollte schließlich die richtigen Worte finden, die seinen Gefühlen Ausdruck verleihen und Rita bewusst machen sollten, was er für sie empfand. In einer Sommernacht trafen sie sich schließlich in einem edlen italienischen Feinschmeckerlokal. Die Atmosphäre im Restaurant war ihm noch gut im Gedächtnis geblieben. Sie saßen auf bequemen Stühlen bei Kerzenschein und einem guten Glas Rotwein. Die Deckenlampen der Lokalität waren so gerichtet, dass an den Tischen kleine Lichtinseln entstanden und man das Gefühl hatte, sich mit seinem Gesprächspartner in einem Separee zu befinden. Das erzeugte noch mehr Vertrautheit. Bernd glaubte an diesem Abend jedoch, dass Rita allein mit ihrer Anwesenheit den ganzen Raum erhellte und mit Licht flutete. Da saß sie mit ihren blonden Haaren, die sich in Locken um ihr hübsches Gesicht wanden. Sie fielen ihr sanft bis auf die Schulter und kringelten sich wie kleine Korkenzieher und gaben ihrem Aussehen etwas Verspieltes. Ihr Gesicht wirkte so zerbrechlich wie das einer Porzellanpuppe, und doch strahlten ihre großen blauen Augen, die lange Wimpern umgaben, eine gewisse Stärke aus. Ihr Augenaufschlag war geheimnisvoll und betörend zugleich. Ritas Blicke ließen Raum für Fantasie und die Frage, was sich hinter ihnen verbergen mochte. Bernd kam es vor, als würden physikalische Kräfte wirken, so angezogen war er von ihr. Er fragte sich, ob es in ihr einen Magneten gab, zu dem er die gegensätzliche Polung in seinem Herzen besaß.

      Nach dem Hauptgang fühlte er sich gestärkt genug, nahm all seinen Mut zusammen und offenbarte ihr seine Gefühle. Es huschte Rita daraufhin ein Lächeln über das Gesicht und sie nickte. Es wirkte wie ein stilles Einverständnis. Sie wies zumindest seine Gefühle nicht zurück, und so entstand eine Liaison, die vielleicht von Bernd schon immer mehr getragen wurde als von Rita. Im Nachhinein vermochte Bernd nicht mehr zu sagen, ob sie wirklich je annähernd so wie er empfunden hatte. Er wusste nur, dass er dieser Frau ein paar Monate später einen Heiratsantrag machte und sie vor den Traualtar traten. Es ließ sich nur spekulieren, was Rita dazu bewog, ihn anzunehmen. Doch Liebe und Zuneigung? Heute zweifelte Bernd stark daran, denn sie erinnerte ihn nur noch wenig an die Frau, die er einmal geliebt hatte. Ihr Liebreiz schien mit den Jahren verloren gegangen zu sein, mit dem sie ihn einst bezirzte und ihn wünschen ließ, mit ihr alt zu werden. Es schlug ihm auch keine Wärme mehr entgegen, wenn er ihr in die Augen sah, die ihn einst in ein Gefühl von Geborgenheit gehüllt hatte. Diese hatte Bernd den Glauben gegeben, im Heimathafen eingetroffen zu sein und nie wieder in See stechen zu müssen.

      Nunmehr herrschte eine klirrende Kälte vor, wenn sich ihre Blicke trafen, so wie sie einen an Wintertagen empfängt, der Schnee sein weißes Kleid auf alles in seiner Umgebung bis in die Baumwipfel ausgebreitet hat und man vorerst keinen Schritt vor die Tür setzen und den ganzen Tag vor einem wärmenden Kamin verbringen will.

      Bernd kramte in seiner Tasche nach dem Haustürschlüssel und baute eine gewisse Spannung auf, als er dies sehr bedächtig tat. Ganz so, als wollte er Zeit gewinnen und hoffen, dass es sich der Besuch aus Übersee noch einmal anders überlegen könnte und sich heute schon wieder auf den Heimweg machte, ohne die Villa überhaupt betreten zu haben. Oder konnte die UNO nicht eine Sonderversammlung einberufen, für die die fünf Frauen unabkömmlich waren? Am besten zeitlich so anberaumt, dass die Damen sofort zurückkehren mussten. Er war sonst kein Tagträumer, doch diese Vorstellung gefiel ihm so gut, dass er sie sich sehr genau ausmalte. Er musste bei dem Gedanken schmunzeln und zog erst jetzt den Schlüssel aus seiner Hosentasche. Seine Gäste hatten mit einem dezenten Räuspern zu verstehen gegeben, dass sie ungeduldig wurden.

      »Bernd, gedenkst du, uns noch lange warten zu lassen? Ist der Schlüssel aus den Tiefen deiner Tasche jetzt aufgetaucht? Du musstest mit deiner Hand wohl auf Tauchstation gehen!«, meinte Rita sichtlich gereizt.

      Bernd kam auf eine Idee und sagte: »Hetz mich nicht, Rita. Außerdem wollte ich meinem Besuch die Möglichkeit geben, unsere neu gepflanzten Begonien zu bewundern. Meine Damen, schauen Sie sich das neue Rosenbeet da drüben an.« Er deutete mit seinem Zeigefinger auf das Beet, das links vom Hauseingang lag. »Wie Sie wissen, gärtnere ich selbst und habe, wie man so schön sagt, einen grünen Daumen«, verkündete er nicht ohne Stolz.

      »Bernd, das ist nicht lustig! Wir kennen den Garten und eine Exkursion dorthin ist unnötig. Ich rate dir dringend, die Tür sofort zu öffnen.« Rita verlor merklich die Contenance und akzentuierte jedes Wort durch kurze Sprechpausen.

      Nadine, stille Beobachterin von alledem, gab ihrem Vater ein Handzeichen, die Tür jetzt zu öffnen. Denn ein großer Streit, bevor die geplante Dinnerparty überhaupt begonnen hatte, war nun wirklich kein gutes Omen.

      »Natürlich«, entgegnete Bernd und steckte den Schlüssel ins Schloss.

      Es sprang