Der Zauber von Regen. Liliana Dahlberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liliana Dahlberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737534710
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Schwächen Stärken gemacht, und wir lernen voneinander, und zwar ständig und sehr viel.«

      »Dann soll sie dir auch eine Lektion im Scheidungsrecht geben. Du musst jetzt die Konsequenzen aus deinem Handeln tragen. Deine Affäre kann dich teuer zu stehen kommen. Denn eines ist klar: Ich will auch ein Stück vom großen Kuchen abhaben. Vielleicht sogar den Löwenanteil.«

      »Ich dachte, du machst eine strenge Diät«, erwiderte Nadines Vater, der angesichts der heiklen Lage seinen Humor dennoch nicht verloren hatte. Aber es war ihm sehr mulmig zumute.

      »Du weißt nicht, auf wen du dich da eingelassen hast!«, sagte Rita und schöpfte das Volumen ihrer Stimme voll aus.

      Das hätte ich gerne vor der Hochzeit gewusst, dachte sich Bernd.

      »Aber bewahre nur deinen Humor«, meinte Rita, wandte ihm den Rücken zu und schritt aus dem Kaminzimmer, »du wirst ihn noch brauchen.«

      Als Nadine die Gesichter ihrer Eltern morgens am Frühstückstisch sah, war ihr klar, dass die Zeichen auf Sturm standen und unruhige Zeiten für die Familie anbrachen. Auch wenn sie gestern nicht, angelockt von den lauten Stimmen ihrer Eltern, nach unten geschlichen und Zeugin des Streits geworden wäre, spätestens heute wüsste sie, dass schon bald nichts mehr so sein würde wie früher. Die große Metamorphose hatte begonnen.

      Nadine und Bernd kam es so vor, als würden bei Tisch eisige Grade herrschen, und beide verspürten trotz des Sommertages, der dem Blick aus dem Fenster nach zu urteilen sonnig zu werden versprach, den Wunsch, ein Feuer im Kachelofen zu entfachen. Doch auch das könnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hier zwei Eheleute gegenübersaßen, die sich nicht mehr viel zu sagen hatten. Außerdem würde es gegen die Kälte, die Rita in ihrem Herzen trug und die sich wie eine schwere Schneedecke über alle Anwesenden im Raum zu legen schien, ohnehin nicht ankommen. Nadine sehnte sich etwas wehmütig nach dem Frühstück mit Anja zurück, das so sehr von Wärme geprägt gewesen war. Sie dachte an die wohlige Atmosphäre, die sie dort mit ihrem Vater umgeben hatte.

      Wenn es all die Zeit über so etwas wie eine Waffenruhe zwischen Rita und Bernd gegeben hatte und jeder der beiden mehr oder weniger nach seiner eigenen Fasson leben konnte, so war diese nun aufgekündigt. Auf manche mochte ihre Ehe vielleicht besonders tolerant gewirkt haben, doch in Wahrheit wurde sie einfach nur von einer großen Ignoranz Ritas bestimmt. Diese interessierte sich bisher schlichtweg nicht für Bernds Lebenswandel. Sie legte den Fokus ganz auf den eigenen. Stillschweigend nahm sie anscheinend an, dass sich ihr Ehepartner schon immer korrekt verhalten und auch nur so handeln würde, wie es ihrer Verbindung zuträglich wäre. Sie sah keinen Widerspruch in der Tatsache, dass sie sich selbst ein berufliches und soziales Umfeld fernab ihrer Familie geschaffen hatte. Attraktive Männer waren in ihrem Penthouse in Manhattan gern gesehene Gäste, und manch einer von ihnen blieb nachts nicht nur, um einen einzigartigen Blick auf die New Yorker Skyline zu werfen. Diesen konnte man in Ritas Wohnung bei gutem Wetter uneingeschränkt genießen.

      Ging es jetzt wirklich nur um die Kränkung und Verletzung einer stolzen Frau, oder stand mehr auf dem Spiel? Ritas Gesicht war besorgniserregend düster und finster. Aber hätte sie wirklich erwarten können, dass sich ihr Ehemann die zwei Jahrzehnte hindurch nie neu verlieben und stets treu auf die selten Heimkehrende warten würde? Schließlich lebte ihr Gatte nicht im Zölibat. Sah sie in seiner Affäre jetzt vielleicht einfach nur den Anlass, sich an seinem Vermögen und um ein paar Millionen zu bereichern? Nadine fiel es schwer, in ihrem verschlossenen Gesicht zu lesen, und fragte sich, ob dies einfach zur Show einer Rita Hansen gehörte, die ihre eigentlichen Beweggründe für die Scheidung zu verbergen suchte. In dem Gesicht ihres Vaters nahm sie eine ungeheure Angst und Unsicherheit wahr. Er tat ihr sehr leid. Seine Nacht war sicherlich nicht sehr angenehm gewesen, zumal sie wusste, dass er auf der Couch genächtigt hatte. Kissen und Decke auf dem Sofa zeugten davon.

      Bernd traute sich nicht, Rita um die Kaffeekanne zu bitten, die direkt neben ihr auf dem Tisch stand, und wählte den Umweg über Nadine. Seine Tochter beugte sich leicht vor, griff nach der Kanne und reichte sie ihrem Vater.

      Rita beobachtete das Vorgehen etwas argwöhnisch und meinte zu Bernd mit bestimmtem Unterton: »Verbrüh dich nur nicht!«

      Bernd nahm diese Spitze einfach hin, ohne etwas zu erwidern.

      Nach diesem Katerfrühstück kam es wieder zu dem Zusammentreffen mit Ritas Freundinnen. Sie konstatierten überrascht die matten und müden Augen von Nadines Vater. Auch sein aschfahles Gesicht sorgte für Verwunderung.

      Rita meinte zu ihren Freundinnen: »Ihm liegt noch das Labskaus im Magen.«

      Unter normalen Umständen hätte Bernd nun widersprochen, doch jetzt ließ er es.

      »Herr Hansen, vielleicht tut Ihnen ja ein bisschen Bewegung gut. Wie wär’s, wenn wir heute alle gemeinsam um die Hörnumer Odde marschieren?«, schlug Miranda vor.

      »Da haben Sie doch sicherlich nicht das richtige Schuhwerk dabei, meine Damen«, meinte Bernd voller Hoffnung.

      »Glauben Sie etwa, wir tragen nur Schuhe von Manolo Blahnik?«, fragte Stephanie lachend.

      »Wir haben uns extra ein paar Wanderschuhe zugelegt«, meinte Gabriella fröhlich.

      »Dann können wir ja tatsächlich spazieren gehen«, sagte Bernd und wurde noch etwas blasser. Es kostete ihn viel Kraft, sich nicht anmerken zulassen, dass ihm eine Scheidung ins Haus stand und er eine harte Nacht hinter sich gebracht hatte.

      Er durchlebte in dieser einen Albtraum, der ihn schweißgebadet aufwachen ließ. Er sah sich in einem Gerichtssaal der Frau gegenüber, die ihm das Leben schwermachen und einen großen Teil seines Vermögens beanspruchen wollte. Er erblickte Rita in einem dunklen Hosenanzug von Escada mit einem hämischen und süffisanten Lächeln auf den Lippen, nein, es war vielmehr ein Grinsen und wirkte fast schon wie eine Grimasse.

      Sie flüsterte fortlaufend etwas in das Ohr ihres Anwalts, der dies mit einem ständigen Nicken quittierte.

      Ritas Rechtsbeistand erhob sich vor dem Richter in schwarzer Robe und sagte: »Meine Mandantin hat einen Antrag auf das Zugewinnausgleichsverfahren gestellt und erhebt Anspruch auf die Hälfte der Vermögenswerte von Herrn Hansen.«

      Dann sprang Rita von ihrem Stuhl auf und schrie in den Saal: »Du wirst bluten, Bernd, das verspreche ich dir!«

      Daraufhin war er mit Schweißperlen auf der Stirn hochgeschreckt. Die Stimme seiner Frau hallte in seinen Ohren wider. Er spürte Verspannungen im Nacken und eine nie gekannte Angst. Es war vier Uhr. Bernd fand keinen Schlaf mehr, stand auf und ging im Kaminzimmer ständig auf und ab und umkreiste das Sofa auf der Suche nach einer Lösung, einem Ausweg.

      Er griff noch vor acht Uhr zum Hörer, um seine Anja ungestört von den Ereignissen der letzten Nacht zu unterrichten. Bei ihr saß der Schock tief. Sie konnte ja nicht ahnen, was sie mit ihrer Nachricht auf dem AB anrichten würde. Bernd versicherte ihr, dass es nicht ihre Schuld sei, sondern seine. Er hätte ihr sagen müssen, dass seine Frau noch an diesem Wochenende eintrifft. Er würde sich deswegen ewig Vorwürfe machen. Bernd berichtete Anja auch von Ritas Kampfansage, die sein Unterbewusstsein stark belastet und ihm eine unruhige Nacht beschert hatte. Sie fing an, am Telefon bitterlich zu schluchzen. Es war heute in der Tat ein schwarzer Sonntag.

      Bernd sagte in den Hörer: »Du brauchst nicht stark zu sein, Liebling, ich werde es sein. Wenn all das hier durchgestanden ist, werden wir heiraten, das verspreche ich dir. Damit unser Märchen wahr wird, muss ich es aber vorher noch mit einem Drachen aufnehmen.« Er fand, dass diese Metapher durchaus ihre Berechtigung hatte, und Bernd begann somit voller Sorge den Tag.

      Er empfand den Spaziergang um die Odde als quälend. Dass seine Tochter auch teilnahm, verschaffte ihm jedoch ein wenig Erleichterung. Aber sein Gesichtsausdruck sah dennoch leidend aus. Für die schöne Dünenlandschaft hatte er keine Augen.

      Gabriella fragte besorgt: »Herr Hansen, haben Sie irgendwelchen Kummer?«

      »Ihm geht es gut«, sagte Rita schnell, noch bevor ihr Mann antworten konnte. Sie würde nicht zulassen, dass etwas von dem gestrigen Streit nach außen drang. Zumindest an diesem Wochenende nicht.

      Nach