Der Zauber von Regen. Liliana Dahlberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liliana Dahlberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737534710
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war wie vor den Kopf gestoßen und schnappte merklich nach Luft. Sie wollte einen Schrei fahren lassen, der in seiner Lautstärke noch den von Nadine übertraf, doch sie war wie gelähmt und spürte, wie man ihr den Boden unter ihren Füßen wegzog. Sie sackte in sich zusammen und nahm noch aus den Augenwinkeln wahr, wie sich der Mann, den sie so sehr geliebt hatte, ihr Ritter, auf sein Ross schwang, in die anbrechende Dunkelheit verschwand und sie allein zurückließ. Er wandte seinen Kopf kein einziges Mal mehr zurück.

      Nadine und ihr Vater beendeten ihr Abendessen, nachdem beide ein Völlegefühl verspürt und sie gemerkt hatten, dass fast der ganze Topf Spaghetti in ihren Mägen gelandet war. Auch den Spätburgunder hatten sie nicht gerade verschmäht. Nadine half ihrem Vater beim Abräumen des Tischs und ging dann recht schläfrig in das Bett ihres alten Kinderzimmers. Sie empfand gleich eine starke Vertrautheit, als sie den weitläufigen Raum mit seinen hell getünchten Wänden betrat, und hatte das Gefühl, von einem guten alten Freund begrüßt zu werden. Als sie sich in ihr Bett legte, glaubte sie, auf einer Wolke zu liegen, und hüllte sich in ihre weiche Daunendecke. Sie fiel im Gegensatz zu gestern in einen tiefen und festen Schlaf.

      Der gestrige unterhaltsame Abend wirkte noch nach. Am nächsten Morgen stieg eine gut gelaunte Nadine aus ihrem Bett, lief die breite Holztreppe hinunter und betrat die große Vorhalle der Villa. Sie lief über die terrakottageflieste Diele in das weitläufige Kaminzimmer, in dem sich ein großer Ofen befand, dessen in Blautönen gehaltene Kacheln kunstvoll bemalt waren. Auf einigen waren kleine Apfelbäume zu entdecken und auf anderen jeweils ein Mann mit Frau in friesischer Tracht. Auf dem Sims des Kachelofens wollte auch ein großer Porzellanteller bestaunt werden, auf dem auf Friesisch stand: »Üüs Sölring Lön, dü best üs helig.« Dies übersetzte man mit: »Unser Sylter Land, du bist uns heilig.« Der Ofen samt Teller wirkte etwas verloren in dem toskanisch eingerichteten Raum. Nadine hatte sofort einen angenehmen Geruch in der Nase, als sie ihn betrat: den von frisch gebrühtem Kaffee und knusprigen Brötchen. Der Tisch, an dem gestern noch genüsslich Spaghetti mit Pesto gegessen worden war, hatte sich in eine ausladende Frühstückstafel verwandelt. Nadine war sich für einen Moment nicht sicher, ob ihr Vater Besuch zum Frühstück erwartete. Aber auf dem Teakholztisch standen schließlich nur zwei Teller, Gläser und Kaffeetassen. Ansonsten könnte man glauben, dass sich ihr Elternhaus über Nacht in eine Pension umgewandelt hatte und nun auf seine ersten Morgengäste wartete.

      Ihr Vater kam fröhlich pfeifend mit einer Kaffeekanne aus der Küche und begrüßte seine Tochter. »Guten Morgen, Schatz, ich hab mir erlaubt, den Tisch zu decken.«

      Nadine, immer noch ein wenig überrascht, fragte: »Du erwartest niemanden, nicht wahr?« Ihr fiel jetzt auch auf, dass sich auf dem Tisch das beste Service des Hauses befand.

      Ihr Vater schien sich kurz die Antwort zu überlegen und musterte die Tafel. »Wie konnte mir das nur passieren? Das habe ich ja völlig vergessen.« Er lief zu der großen Vitrine mit dem Porzellangeschirr und holte noch ein Gedeck.

      »Moment mal«, sagte Nadine, noch verwundeter als zuvor, »wer kommt zu Besuch? Der Bundespräsident? Ich bin übrigens noch im Pyjama …«

      Ihr Vater unterbrach sie. »Dir steht doch alles.« Er lief wieder schnell in die Küche und kam mit einer weiteren Tasse und einem Glas zurück. Nachdem er diese auf dem Tisch platziert hatte, senkte er leicht seine Stimme und meinte beiläufig: »Außerdem, Anja stört es bestimmt nicht.«

      Nadine glaubte im ersten Moment, sich verhört zu haben, und kniff sich mit ihrer rechten Hand in den Arm, als hätte sie Zweifel, schon wirklich wach zu sein, und ihr Mund öffnete sich leicht vor Erstaunen.

      »Deine Pferdewirtin kommt zum Frühstück«, sagte sie beinahe etwas abfällig, weil sie doch sehr verärgert war, dass schon am frühen Morgen Besuch kam und sie sich diesem sicherlich nicht im Schlafanzug präsentieren wollte. Außerdem erweckte die Tatsache, dass Anja am Frühstück teilnehmen sollte, bei ihr den Eindruck, als handelte es sich bereits um ein Familienmitglied.

      Ihrem Vater schien es ernst zu sein mit dieser Frau, was sie sehr beunruhigte. Er war nun schon seit über mehr als zweieinhalb Jahrzehnten mit ihrer Mutter verheiratet, zwar gewiss nicht glücklich, aber die Ehe hatte gehalten, und die Scheidung wurde nie eingereicht.

      Ihr Vater wünschte sich aber insgeheim schon lange, dass seine Frau eine Romanze mit einem New Yorker begann und möglichst keinen Fuß mehr auf Sylt setzte. Sollte doch ein Aktionär von der Wall Street sie glücklich machen. Bernd war klar, dass seine Frau sehr materiell orientiert war und die Dicke des Geldbeutels potenzieller Liebhaber bei ihr eine große Rolle spielte.

      Eine Scheidung stand für ihn jedoch bisher nie wirklich zur Debatte, auch wenn er sie oft herbeigesehnt hatte. Er nahm immer wieder Abstand von dieser Idee, da es keinen Ehevertrag gab. Rita stünde nach deutscher Rechtsprechung gut die Hälfte seines während der Ehe erwirtschafteten Vermögens zu. Was dies finanziell für ihn bedeuten würde, wollte er sich gar nicht erst näher ausmalen. Rita würde bestimmt nicht auf ihre Ansprüche verzichten, obwohl sie sicherlich ein mehr als stattliches Einkommen bei der UNO bezog. Sie fände eher gewiss Gefallen an seinem Vermögen und dem der »Syltrose«, seinem geliebten Gestüt. Es gab dort schließlich hochdekorierte Pferde mit entsprechendem Marktwert.

      Nadine rannte schnell die Treppe nach oben und zog sich das Erstbeste an, was ihr aus ihrem Koffer in die Hände fiel. Es war ein helles Chiffonkleid und eigentlich nur für besondere Anlässe gedacht, aber es obsiegte der Druck der Zeit. Sie rückte gerade die Träger des Kleides zurecht, als sie die Klingel an der Tür vernahm. Gleich würde die Angebetete ihres Vaters über die Schwelle treten, und sie konnte sich auf ein heiteres Frühstück einstellen. Ihr Magen knurrte schon, und so war es wirklich keine Frage, dass sie sich mit an den Tisch setzen würde, auch wenn sie sich diese Anja im Moment sehr weit weg wünschte. Sie warf noch einen prüfenden Blick in den kleinen Wandspiegel ihres Zimmers, der in einer sehr schönen Kupferfassung gehalten wurde. An beiden Enden des Rahmens blinzelten dem Betrachter je eine kleine Sonne und ein winziger Mond entgegen, die wiederum in einem bronzefarbenen Schimmer glänzten. Nadine war mit ihrem Anblick zufrieden, obwohl sie sicherlich ein wenig overdressed war. Sie spürte deutlich ein leichtes Kribbeln ihrer Hände – bei ihr immer ein klares Zeichen von Nervosität. Nadine wusste, dass dieses Frühstück heute in vielerlei Hinsicht einen besonderen Rahmen besaß und wohl auch aus diesem fiel. Sie hatte anscheinend bisher die Rolle unterschätzt, die Anja im Leben ihres Vaters spielte. Nadine würde sich in wenigen Augenblicken selbst ein Bild davon machen können, wie eng die beiden zueinander standen.

      War es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, bis Anja die neue Frau an der Seite ihres Vaters würde?

      Sie lief mit dieser Frage im Kopf und sichtlich angespannt die breite Treppe hinunter.

      Ihr Vater hatte inzwischen die Haustür geöffnet, und in deren Rahmen stand sie nun – die Frau, die ihm nicht mehr aus dem Kopf ging und ihn vielleicht sogar seinen zweiten Frühling erleben ließ. Er war von ihrem Wesen wie verzaubert, und diese Person von zierlicher Gestalt umgab in der Tat etwas Zauberhaftes, und eine besondere Aura ging von ihr aus. Ihren hübschen Kopf umspielte eine kurze dunkelblonde Lockenmähne. Eine Spange in Form einer Kirschblüte hob sich oberhalb ihres rechten Ohres geschmackvoll ab. Es war keine Frage, dass diese Frau ein starkes Modebewusstsein hatte. Nadine erinnerte sich, sie schon einmal in einem der Stalltrakte des Gestüts gesehen zu haben, wie sie ein Pferd versorgte. Dort trug sie noch eine grobfaserige Jeans und einen Pulli, der um einige Nummern zu groß erschien. Diese Kleidungsstücke waren verschwunden und gegen ein orangefarbenes Poloshirt und eine weiße Hose eingetauscht worden. Außerdem baumelte ein beigefarbenes Strickjäckchen um Anjas schmale Taille. Sie wirkte freundlich, und ein gewinnendes Lächeln lag auf ihren Lippen. Ihr Gesicht war von vielen kleinen Sommersprossen übersät.

      Sie betrat das Anwesen, und ihr Vater ergriff ihre Hand und beugte sich vor, als wollte er sich vor ihr verneigen. Das hätte er sicherlich auch getan, so fasziniert war er von ihrer adretten Erscheinung, doch er entschied sich dafür, Anja einen Kuss auf den Mund zu drücken. Als diese Nadine erblickte, die das Geschehen merklich berührt verfolgte, lief sie beherzt auf sie zu und streckte die Hand zur Begrüßung aus. Nadine stellte fest, dass ihr Händedruck überraschend fest war.

      »Ich