New York City and Me. Cornelia Gräf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cornelia Gräf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783737578646
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helles Licht ins Gesicht leuchtete. Ich schreckte hoch. Wie spät ist denn? Was ist denn los? Es war halb zwölf und vor meinem Fenster leuchteten zwei Gestalten mit Taschenlampen das Haus ab und in meine Fenster rein. In Gedanken schrieb ich rasch mein Testament. Aber glücklicherweise gingen sie dann doch wieder weiter und ich bettete mich wieder.

      Als ich am Morgen erwache, fühle ich mich ein ganz klein wenig besser. Ich stehe auf und mache mich fertig. Da klopft es an der Türe: „Hi, it’s Eddie.” Mein Hausmanager. Der exterminator sei da und wolle kurz in die Wohnung. Ich habe keine Ahnung was ein exterminator ist, es klingt furchteinflößend, aber Eddie lächelt zuversichtlich und ich bin eh noch zu KO, also was soll’s. Her mit dem exterminator. Dann kommt ein leicht korpulenter Mann mit Helm und einem Pestizid-Kanister auf dem Rücken. Ob es hier drin irgendein spezielles Problem gebe, fragt er. Ich schüttele wage den Kopf. Ob ich etwas gesehen hätte. Da ich nicht genau weiß, in welcher Größenkategorie ich etwas hätte sehen sollen – Ameisen? Die in New York allseits gefürchteten Bedbugs? Kakerlaken? Mäuse? Ratten? Hunde? Elefanten? – sage ich einfach „Nein, habe nix gesehen“. Aha, dann bekäme ich bzw. mein Apartment ein basic treatment. Er geht im Zimmer umher und sprüht – was auch immer gegen wen auch immer – in die Ecken. Nach einer Minute meint er, ich sei jetzt wieder all set. Ich bedanke mich herzlich – wofür auch immer – und mache mich auf den Weg. Frühstücken.

      Mein teures Whole-Foods-Brot durfte ich gestern nämlich verschimmelt entsorgen und auf Nutella pur löffeln habe ich dann doch nicht so Lust. Also gehe ich zur Koffeecake Corner zwei Straßen weiter, bestelle einen white chocolate blueberry granola muffin und einen Tee und setze mich in die Sonne ans Fenster. Ich versuche die Wärme zu genießen und mir zu sagen, dass heute doch alles schon wieder viel besser ist. It’s a new dawn, it’s a new day, it’s a new life and I’m feeeeling good. Fehler. Denn je mehr ich versuche, so zu tun, als ob alles wieder Friede, Freude, Eierkuchen ist, desto mehr merke ich, wie der Kloß im Hals wieder dicker wird. Der Muffin schmeckt immerhin wirklich gut. Den Tee würde ich auch gerne probieren. Er ist leider kochend heiß. Ich überlege mir kurz, ob ich ihn mir über die Hose kippen soll, um dann den coffee shop auf Schmerzensgeld in Millionenhöhe zu verklagen, damit ich mir endlich ein townhouse im Village leisten kann. Aber ich warte dann doch ein bisschen. Als er trinkbar ist, schütte ich ihn herunter. Jetzt ist mir schlecht.

      Ich beschließe, trotzdem die 8th Avenue weiter gen Süden ins West Village zu laufen. Schauen, welche Häuser mir jetzt mangels Millionenschmerzensgeld entgehen, aber auch ein paar kleine Lädchen, die ich besuchen möchte, stehen auf meiner Liste. Also los. Ich ignoriere den Schwindel. Ich ignoriere die Übelkeit und laufe einfach ein bisschen schneller. Dann bin ich beim ersten Geschäft angelangt, dem House of Cards & Curiosities. Bis auf „House” trifft es der Name ganz gut. Das „House ist nämlich nur ein winziger Raum, vollgestopft bis in die kleinste Ritze mit eben jenem: Karten und Kuriositäten. Neben ganz gewöhnlichen Geburtstagskarten findet man ein buntes Sammelsurium: Scherzartikel, Fossilien, Heiligenfigürchen, Magneten, Notizbücher, Geschenkpapier, Schmuck, oben auf einem Regal thront ein ausgestopfter Dachs. Ich öffne die Ladentür und von rechts hinter einer Wand, an der ebensolche Devotionalien aufgereiht sind, ertönt ein fröhliches „Good Moooorning!” Erschlagen von dem Durcheinander, obwohl ich den Laden ja schon kannte und wusste, was mich in etwa erwartet, antworte ich halbfröhlich „Hiiii.” zurück. Aber die Ladenbesitzerin ist eh beschäftigt. Sitzt auf einem Stühlchen hinter dem, was die Kasse sein soll, mit Lockenwicklern im Haar und föhnt sich. Ich stöbere ein bisschen vor mich hin, aber irgendwie… Nein, so richtig in Stöberstimmung bin ich nicht, merke ich, verdränge es, gehe einfach raus und in den nächsten Laden.

      Left Bank Books, ein kleiner Buchladen, der sich auf Erstausgaben und andere besondere antiquarische Bücher spezialisiert hat. Ich gehe hinein, der Ladenbesitzer – Typ Woody Allen gemischt mit Christo – lächelt mich kurz an und widmet sich wieder irgendeinem kleinen elektronischen Gerät in seiner Hand und starrt dabei zum Fenster raus. Okay, schau ich mich mal um. Wobei das gar nicht einfach ist. Der gute Herr hat die meisten seiner Preziosen in Schränken weggesperrt, an die er Zettel mit „Please ask for assistance” gehängt hat. Manches steht aber auch offen in Regalen. Fiction, Theater, Philosphy. Ein weiteres Regal ist mit „Fashion, Sex, Death” beschriftet. Tja, für manch einen New Yorker dürfte das das Leben beschrieben in drei Worten sein.

      Ich verlasse den Buchladen, laufe weiter. Mir ist immer noch übel bis zum Gehtnichtmehr. Was schade ist, denn ich komme nun an der Chocolate Bar vorbei, wo es nicht nur Schoki, sondern vor allem fantastischen hausgemachten Eistee (Schwarztee mit Kokosaroma!) gibt. Und auch wenn die Amis bei allem anderen sonst gerne kiloweise den Zucker reinhauen, hat hausgemachter Eistee hier meist nix mit der süßen Brühe von Nestea oder Lipton gemein. Aber nein, das ist heute absolut nix für mich. Ich tapse weiter.

      Schließlich begebe ich mich in einen der von mir sonst so geliebten Mini-Parks. Ein paar Bänke, ein paar Bäume, ein paar Blumen und eine Statue. Ich setze mich in die Sonne. Und dann geht es wieder los. Dicke Tränen kullern. Ich kann überhaupt nichts dagegen tun. In Deutschland wäre es mir unangenehm, aber hier in New York kann man ein rosa Meerschweinen, das Elvis-Songs interpretiert auf der Schulter sitzen haben und die Leute schauen nicht. Also kann man auch in Ruhe im Park sitzen und heulen. Ich habe das Gefühl, dass ich auf einmal von meinen Gefühlen übermannt werde, alles hochkommt. Die Trauer, die emotionale Erschöpfung von vielem, was ich in den letzten Wochen stemmen musste. Anfangs denke ich – wie auch schon gestern: „Verdammt, du bist da, wo du immer hinwolltest, du lebst deinen Traum, du wirst von vielen beneidet, freu dich gefälligst! Sei glücklich, sei begeistert von den Parks, von den verrückten Typen, von New York, von all dem, von dem du immer begeistert warst.“ Aber ich kann es nicht. Ich kann mich nicht freuen, ich kann mich nicht begeistern. Doch während mein Kragen immer tränengetränkter wird, erkenne ich schließlich: Das Problem ist nicht New York. Das Problem bin auch nicht ich. Ich habe in letzter Zeit einige familiäre Ausnahmesituationen meistern müssen, ich bin allein in die weite Welt gezogen, ich habe meine geliebte Großmutter verloren. Mein Herz und meine Seele trauern, ich trauere. Das muss ich nun zulassen, egal ob ich zu Hause im eigenen Garten sitze oder in der Megastadt New York. Ich darf mich nicht zwingen und krampfhaft ablenken wollen. Wenn es mir danach ist, schön. Wenn nicht, darf ich auch einfach einen Tag im Bett liegen und weinen bis hoffentlich in ein paar Tagen die letzte Träne getrocknet ist. Denn ich muss ja nicht hetzen, mein Rückflug geht ja erst nächstes Frühjahr. Und das ist gut so.

      Von der Hölle ins Paradies

      Dies gilt leider noch nicht für meinen Gemütszustand, dafür war dies das Motto vom Donnerstag. Doch der Reihe nach.

      Als ich am Morgen erwache, fühle ich mich gerädert. Der Hals kratzt. Der Kopf dröhnt. Und auch so, nein fit bin ich wohl immer noch nicht. Ich gestatte mir, noch ein Weilchen in der Koje zu bleiben. Doch dann muss ich raus, denn an diesem Tag habe ich eine Verabredung. Eine Verabredung mit dem one and only Garry Zafrani. Garry, Vollblut-New-Yorker mit italienischen und syrischen Wurzeln und in sechster Ehe verheiratet, lernte ich bei meinem letzten Urlaub hier im Mai kennen. Nach einem Berufsleben als Concierge fand er seine wahre Berufung in Stadtführungen der besonderen Art. Durch Zufall war ich in einem Reiseforum auf einen begeisterten Bericht über Manhattan Walking Tour gestoßen und buchte die „Times Square/Greenwich Village Food Combo Tour“. Das tolle an den Touren: Die Gruppen sind nie größer als acht Personen, denn man soll immer das Gefühl haben, man sei einfach mit ein paar Freunden unterwegs. Nun sind Garrys Touren nichts für Schnäppchenjäger, aber schon nach einer halben Stunde der ersten Tour war uns klar: Das hat sich gelohnt! Am Ende der Tour meinte Garry, wir und das deutsche Paar, das noch in unserer Gruppe dabei war, seien ja so nett und so toll und wie lange wir noch in der Stadt seien und ob wir nicht am folgenden Samstag mit ihm noch die „Chinatown-Food/Historic-Downtown-Tour“ machen wollten. Tja, und da saßen wir am Washington Square, wedelten mit den Kreditkarten und riefen: „Jaaa, klaaaar!” Der gute Mann versteht sein Geschäft. Doch auch die Tour am Samstag war wieder großartig und wir blieben auch danach noch sporadisch mit Garry in Mail-Kontakt. Auch wenn uns natürlich klar war, dass sein „Now you have a friend