So futtern wir uns durch Hell’s Kitchen. Garry drückt mir von diesem und jenem Restaurant noch die Mitnahme-Menükarten in die Hand – denn ich wohne ja jetzt hier und die Läden solle ich mir unbedingt merken. Zwischen den süßen und deftigen Happen gibt es Interessantes und Kurioses zum Stadtviertel, das auf manchen Karten „Clinton” heißt, sodass man dann auf der Karte „Chelsea Clinton“ lesen kann. Doch der Name hat weder etwas mit der ehemaligen First Daughter noch mit Billy Boy selber zu tun, sondern geht auf DeWitt-Clinton zurück, der für das berühmte Manhattaner Straßenraster – the grid – verantwortlich zeichnet. Aber für die Einheimischen ist dieses Viertel „Hell’s Kitchen” und soll auch „Hell’s Kitchen” bleiben. Während wir die 8th und 9th Avenue entlanglaufen, stelle ich fest, dass ich hier tatsächlich das erste Mal vorbei komme. Ein faszinierendes Viertel, voller Restaurants und alter, kleiner, fast ärmlich anmutender, Häuser, hinter denen skyscraper aus Glas in die Höhe schießen.
Wir schlendern weiter zum Central Park. Auch hier gibt es für mich beim siebten Besuch noch die eine oder andere neue Info, die man sich natürlich auch einfach anlesen könnte, aber so ist es dann doch schöner. Wir laufen wieder die Mall entlang, zur Bethesda Fountain – also angeblich sind es 400 Filme, in denen sie als Motiv auftaucht – und weiter zum noblen Boathouse. Garry ermutigt uns, ganz kurz hinein zuschleichen, um den Blick auf den See zu erhaschen, wie ihn die feine Gesellschaft, die dort zu leiser Pianomusik diniert, genießen kann. Einfach nur traumhaft kitschig schön! Wir setzen unsere Tour fort durch the Ramble mit seinen verschlungenen Wegen bis wir zu Belvedere Castle kommen. Jedem Europäer entlockt diese Spielzeugritterburg im Riesenformat ein mitleidiges Lächeln und man fühlt sich für einen Moment nach Disneyland versetzt. Aber okay, die Amis haben halt keine eigenen Burgen. Da muss man ein bisschen nachsichtig sein, dass die das ganz toll finden.
Hier endet die Tour und eigentlich wollte ich nun zum Metropolitan Museum of Art. Nein, keine Bilder kucken, Bilder kaufen. Als ich nämlich morgens so in meinem Bett lag und meinen Blick im Zimmer umherschweifen ließ, dachte ich, dass es meiner Seele sicher nicht schaden würde, wenn ich versuchte, aus dieser Unterkunft ein bisschen ein Zuhause zu machen, ein bisschen Wohlfühlatmosphäre zu schaffen, denn die ist mit den kahlen weißen Wänden nun wirklich nicht gegeben. (Wo ist Tine Wittler, wenn man sie braucht?!) Doch womit schmücke ich die Wände? Bilder aus der Heimat? Könnte gerade nur das Heimweh verstärken. Bilder aus New York? Hab ich ja auch gerade ein kleines Problem damit. Also irgendetwas Neutrales. Kunst! Und der Online-Shop des Met ist diesbezüglich ganz vielversprechend.
Doch nix ist. Das kalifornische Pärchen rückt zwar Richtung Upper East Side ab, für Garry ist es aber selbstverständlich, dass ich nun mit ihm mitgehe. Okay, dann halt keine Poster. Wir laufen zur Westseite des Parks. Er fragt mich aus über mein beginnendes Praktikum und über meine Pläne für New York. Wir nehmen ein Taxi zurück nach Hell’s Kitchen. Sein entsetzter Blick als ich den Sicherheitsgurt anlege, ist köstlich. „I’m sorry, I’m German, I have to do this”, entschuldige ich mich. Er kann es nicht fassen. Diese verrückten Ausländer. „Wir gehen jetzt einen Cocktail trinken”, bestimmt Garry dann. Na supi. Mir ist immer noch total schwindelig. Ich vertrage – leider – so gut wie gar keinen Alkohol, das kann ja heiter werden. Er führt mich in die kleine Bar Disiac Lounge, die er mir während der Tour bereits empfohlen hatte. Wir setzen uns in den kleinen, aber umso farbenfroheren Hinterhof, dessen Dekoration orientalisch anmutet. Es ist kurz vor fünf Uhr nachmittags als uns die Cocktails serviert werden. Prosit. Da ich eingeladen werde, kann ich mich schonend daran gewöhnen, dass hier Cocktails in kleinen Longdrink-Gläsern 13 Dollar (plus tip, plus tax) kosten. Wir unterhalten uns. Garry überlegt, wie er mir das Einleben erleichtern könnte und meint, wir sollten uns doch alle ein bis zwei Wochen zum Abendessen treffen, auch wenn er mal mit seiner „Gang” (damit sind unter anderem seine Walking-Tour-Mitarbeiter gemeint, wenn ich das richtig verstehe) unterwegs sei. Die seien dann auch eher in meinem Alter, meint er grinsend. „Ach, kein Problem, ich verbringe meine Zeit seit jeher sehr gerne mit Leuten, die ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel haben als ich.“ Garry strahlt.
Nachdem wir unseren Cocktail geschlürft haben, verabschiedet sich Garry nach Hause, ich gehe die 55. Straße, in der wir uns befinden, weiter nach Osten. Schließlich hat das Met Museum auch einen Shop beim Rockefeller Center und vielleicht bekomme ich ja doch noch meine Poster. Doch während ich die Straße entlang laufe, merke ich, wie wieder die Beklemmung in mir hochkriecht. Ich versuche, es zu verdrängen. Ich versuche, zu verdrängen, dass ich am Rockefeller Center stehe, wo ich sonst immer freudiges Herzklopfen und Glücksgefühle verspüre und jetzt fühle ich mich wie in Watte verpackt, mir ist immer noch schwindelig, ein dicker Kloß im Hals. Leider gibt es im Shop dann auch nicht alle Poster, die ich mir vorher ausgesucht hatte, aber immerhin die Wasserlilien von Monet, meinem Lieblingsmaler, gehen mit.
Ich mache, dass ich heimkomme. Um meine Stimmung zu heben, möchte ich ein bisschen TV schauen. Denn leider bin ich, bekennender TV-Junkie, hier fernseherlos. Aber ich probiere nun mal Garrys Tipp mit hulu.com, einer Art riesiger Mediathek. Und siehe da, selbst das Schnecken-WLAN in meinem Apartment ermöglicht mir, immerhin ein bisschen Jimmy Kimmel und Jay Leno zu schauen. Dann schlafe ich ein, in der Hoffnung auf etwas mehr Sonne in der Seele am nächsten Tag.
Das lebende Voodoo-Püppchen
Es ist Freitagmorgen. Ich schlage die Augen auf. Oje. Der Hals schmerzt und brennt. Die Nase halb zu. Und auch die Unpässlichkeiten der vergangenen Tage scheinen noch nicht die Flatter gemacht zu haben. Schlecht. Ich koche mir erst einmal einen wärmenden Tee und schaue, was während ich geschlummert habe, so in der Welt vor sich ging und schreibe ein paar E-Mails. Dabei beobachte ich die Uhr genau, denn um 11.00 Uhr sollte ich schleunigst auf die Seite des Madison Square Garden gehen. Denn dann beginnt der Vorverkauf für zwei Elton-John-Konzerte im Dezember. Jetzt bin ich nicht der riiiiesen Elton-John-Fan, aber der spleenige Kerl made in England hat doch ein paar ganz nette Songs und außerdem wollte ich immer gerne mal ein Konzert im MSG besuchen, da kommt das doch gelegen. Ich entscheide mich für eine mittlere Preiskategorie (immer noch teuer genug), lande damit irgendwo hinten oben, aber was soll’s. „Cornelia, you’re going to Elton John!” verkündet das Buchungssystem endlich. Yippie. Muss ich nur