New York City and Me. Cornelia Gräf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cornelia Gräf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783737578646
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Rien ne va plus

      Nein, mich hat es heute nicht ins Zocker-Paradies Atlantic City verschlagen, wo vor kurzem erst Miss America gewählt wurde. Ich bezweifle auch, ob es das in nächsten Monaten wird, es sei denn die versprühen dort in den Casinos den gleichen Duft wie das Mirage und das Venetian in Las Vegas. Danach bin ich nämlich süchtig und das wäre gegebenenfalls ein Grund.

      „Rien ne va plus“ galt heute in mehrfacher Hinsicht. Zum Beispiel dürfte es das Motto rund um die United Nations gewesen sein, denn der erste Tag der General Debate bei der Generalversammlung stand an, unter anderem mit einer Rede von Barack Obama. Und wenn es heißt „the President is coming“ geht nix mehr. Woher ich das weiß? Nun sagen wir so: Herrn Obama und mir geht es seit einiger Zeit wie den zwei Königskindern, die einfach nicht zusammenkommen können. Seit Jahren treffen wir uns immer beinahe – aber zu meinem (und seinem, wie ich überzeugt bin, auch, haha) Leidwesen nie direkt.

      Eine Chronologie der Ereignisse:

      2008: Obama kommt als Präsidentschaftskandidat nach Berlin und hält die berühmte Rede an der Siegessäule. Ich hatte überlegt hinzufahren, aber es ist ja doch ein Stück und sooo viel wusste ich noch nicht über ihn. Ich verfolgte die Rede dann im TV und beiße mir seitdem in den Allerwertesten, nicht hingegangen zu sein.

      Sommer 2009: 1.-3. Juni Städtetrip meinerseits nach Leipzig und Dresden. Wer besucht am 4. Juni Dresden? Richtig! Mr. President! Wo hält er mit Mutti Merkel die Pressekonferenz? Richtig, in dem Innenhof, in dem ich 24 Stunden zuvor stand.

      Sommer 2012: Ich verbringe eine Woche in New York. Im Frühstücksfernsehen des Hotels bekomme ich irgendetwas mit, dass die Moderatorin etwas von Obama, Bill Clinton und Waldorf Astoria und „today” faselt. Ich flitze an den Hotel-PC und google. Nee, ne? Fundraiser-Dinner im Waldorf-Astoria Hotel, außerdem noch ein Auftritt bei David Letterman und ein weiteres fundraiser in einem Theater, wenn ich mich recht erinnere. Bei letzterem waren die Preise „erschwinglich”, d.h. im oberen drei- bis unteren vierstelligen Bereich, aber natürlich schon seit Ewigkeiten ausverkauft. Im Waldorf-Astoria hätte es noch Plätze gegeben. Aber ich entschied mich dann doch gegen die Plünderung meines gesamten Sparbuchs, die zu einer dortigen Teilnahme nötig gewesen wäre. Aber man kann ja mal zumindest in Richtung des Hotels gehen. Rundherum ist alles abgesperrt. Hundertschaften von Polizisten stehen bereit. Ein äußerst nettes Exemplar davon frage ich, von wo aus man schauen darf. Er verweist mich auf die andere Straßenseite, kann mir aber nicht garantieren, dass ich dort stehen bleiben dürfe. Wann der Präsident kommt, dürfe er nicht sagen und aussteigen, um ins Gebäude zu gehen, würde dieser wohl sowieso nicht. Egal, ich warte trotzdem. Und nach einiger Zeit rast dann tatsächlich in Windeseile die Wagenkolonne vorbei. Sie taucht aus dem Nichts auf und ist genauso schnell wieder verschwunden. Saß er drin? Keine Ahnung. Ich bilde es mir einfach ganz fest ein. Danach gehe ich zum nächstgelegenen Starbucks, die Blase drückt. Als ich das restroom verlasse, steht direkt vor der Tür ein Schrank von Secret-Service-Agent. Mein Herz rutscht in die Hose, aber alles gut – er muss auch nur mal für kleine Geheimagenten. Die Reden von Barack Obama und Bill Clinton schaue ich mir dann ein paar Straßenblocks entfernt auf dem Hotelbett sitzend im Fernsehen an.

      September 2012: Ich sitze im Flieger von San Francisco nach Las Vegas. Doch irgendwann ist irgendetwas komisch. Dann bemerke ich, dass der Wüstenabschnitt unter uns nicht nur immer gleich aussieht – es ist der gleiche. Wir kreiseln. Wir kreiseln schon lange. Irgendwo zwischen Kalifornien und Nevada. Dann kommt eine Durchsage des Kapitäns. Wir könnten leider nicht nach Las Vegas fliegen, denn der gesamte Flughafen sei gesperrt – der Präsident sei in der Stadt und die Air Force One lege den ganzen Airport lahm. Leider hätten wir nicht genügend Sprit an Bord und müssten in XY (irgendein kleines kalifornisches Kaff, dessen Namen mir inzwischen entfallen ist) zwischenlanden, um aufzutanken. Supi. Danke Barack. Ich frage halblaut in die Runde, was er denn in Las Vegas mache, ob er noch seine Wahlkampfkasse aufbessern müsste und sorge damit wenigstens bei meinen Mitreisenden für einen Lacher. Aber dann kommt wieder eine Durchsage – der Flughafen würde wieder freigegeben, wir dürften doch gleich landen. Eine dreiviertel Stunde später sind wir in Las Vegas. Obama ist eben entflogen.

      September 2012: Es ist die gleiche Reise, nach Las Vegas steht noch einmal New York an. Wir laufen eines Nachmittags die 6th Avenue in Chelsea entlang, als uns auffällt, dass an den Straßenrändern Absperrungen aufgebaut sind und sich auffällig viele Polizisten tummeln und auffällig wenig Autos fahren. Ich gehe zu einem Officer und frage nach, was denn los sei. Antwort: „Oh, the President is coming.” „Und täglich grüßt das Präsidententier”, denke ich mir. Ob er denn hier entlang fahren würde. Das wisse er nicht, es gebe verschiedene Routen, Ziel sei der 40/40-Club von Jay-Z, wo ein fundraiser mit dessen Gattin Beyonce steigen würde. Na prima. Wir gehen zum Hotel. Kurze Zeit später geht ein Wolkenbruch hernieder und ich bin froh im warmen Zimmer zu sein. Vielleicht fährt er gerade unten am Haus vorbei. Das fundraiser schaue ich später in der Zusammenfassung auf C-Span an, sitzend auf dem Hotelbett.

      Aufgrund dieser Erfahrungen verwerfe ich meinen Plan, heute weitere Pendel-Routen zum Deutschen Haus auszuprobieren. Deshalb verpasse ich auch, wie ich SpiegelOnline entnehme, Herrn Westerwelle. Wat’n Pech aber auch.

      Stattdessen möchte ich in zwei Second-Hand-Läden, die in der Nähe sind, gehen und mal stöbern und dann schauen, was der Tag so bringt. Doch während ich unterwegs bin, merke ich: Heute heißt es auch für mich rien ne va plus. Mir ist schwindlig, mir ist übel, ich fühle mich zittrig. Ich laufe zurück und hole mir bei Gotham Pizza zwei slices (Bewertung: Setzen, sechs. Naja, okay. vier minus). Vielleicht habe ich ja nur Hunger. Doch während ich die Pizzastücke in meinem Apartment verspeise, merke ich, wie es mir immer mieser geht. Und dann packt es mich auf einmal, ganz unvermittelt. Das Heimweh. Mein Herz rast, mein Blutdruck sackt gleichzeitig in den Keller. Ich bekomme erst recht Angstzustände. Und warum juckt eigentlich meine Haut ständig so? Habe ich etwa eine Allergie gegen das Chlorwasser? Der Hypochonder in mir läuft zu Höchstform auf. Ich krieche ins Bett, obwohl es erst Mittag ist. Und dann kullern sie, die Tränen. Ich fühle mich einsam. Sehne mich nach Freunden und Familie, trauere um einen geliebten Menschen – meine Oma –, von der der Abschied vergangene Woche, wie ich nun weiß, für immer war. Dies hatte sich bei meinem Abflug schon deutlich abgezeichnet. Wenn aus der Erwartung jedoch traurige Gewissheit wird, ist dies immer schwer. Ich sehne mich nach einer tröstenden Umarmung durch eine vertraute Person, die auch durch noch so mitfühlende Worte per WhatsApp oder Facebook nicht ersetzt werden kann. Am liebsten würde ich sofort meine Koffer packen und abhauen, raus aus dem Apartment mit den nicht funktionierenden Fenstern, dem kaputten CD-Player, dem ständig von der Wand fallenden Handtuchhalter, in dem ich mich auch nach einer Woche noch nicht richtig heimisch fühle, hin zum Flughafen und zurück nach Hause. Sorry, war alles ein Irrtum.

      Doch das geht nicht. Und ich weiß, dass es nicht geht. Das macht es in diesem Moment allerdings nicht besser. Ich versuche, mich zu beruhigen, bleibe liegen, lese ein bisschen, was in der Welt so vor sich geht. Gegen Abend zwinge ich mich, aufzustehen und wenigstens noch ein bisschen über die High Line und zum Chelsea Market zu spazieren. Ich gehe in die Geschäfte, die ich sonst immer so geliebt habe: Chelsea Market Basket und Posman Books. Bei beiden gibt es schöne New-York-Souvenirs. Doch so begeistert ich früher bei all diesen Dingen zugriff, heute spüre ich, wie ich einen dicken Kloß im Hals bekomme. Es war immer meine Traumstadt, immer mein Traum, auch die letzten Tage habe ich wieder so viel Schönes erlebt und gesehen und jetzt das. Jetzt überfordert es mich, macht es mir Angst. Ist es das, was Baz Luhrman in seinem Song „Wear Sunscreen” meint, wenn er sagt „Live in New York City once, but leave before it makes you hard”? Mittlerweile ist es dunkel geworden, ich laufe über die High Line zurück. Das Empire State Building funkelt hell erleuchtet im Abendhimmel. Ich versuche, mich daran zu erfreuen und hoffe darauf, dass meine Welt morgen wieder freundlicher aussieht.

      It’s a new dawn, it’s a new day, it’s a new life

      Ich hatte erst überlegt, ob ich auch über die traurigen Seiten schreiben soll, aber ja, es soll ja eine authentische Erzählung werden und da gibt es leider nicht nur Sonnenschein.