Ich bummle durch den Chelsea Market. Es ist rappelvoll. Die unzähligen Restaurants und Essensstände haben alle Hände voll zu tun, die hungrigen Mäuler der Besucher zu stopfen. Bei Giovanni Rana werden Probierhäppchen verteilt: Penne Bolognese und Tortellini con Prosciutto Crudo. Ich greife bei den Penne zu. Ein Traum! Doch jetzt erst einmal zu Anthropologie. Eine halbe Stunde später verlasse ich das Geschäft mit zwei neuen Gläsern und drei Schüsseln. Oh, der Probierstand von Giovanni Rana ist immer noch da….lülülülüüüüü….die Tortellini hatte ich vorhin ja noch nicht. Hmmm fein! Und oh, da auf dem Tablett, das sind ja jetzt nicht mehr Penne Bolognese, sondern Fusilli Bolognese. Das muss ich doch gleich auch nochmal probieren. Mein Mittagessen für den heutigen Tag habe ich da leider schon in der Handtasche dabei, aber ich nehme auf jeden Fall mal eine Speisekarte mit. Diese Bolognese hier war schon verdammt gut!
Auf dem Weg Richtung High Line hole ich mir bei Amy’s Bread (Empfehlung von Garry) noch einen carrot cake cupcake mit cream cheese frosting (seeehr fein!) und einen brownie (aufgehoben für Sonntag). Doch dann geht’s hoch in den Schienenpark. Denn es ist Samstag, 14.00 Uhr, Zeit für Sportschau. Jawohl, denn da es mir ja nicht vergönnt ist, Live-Stream zu schauen, wollte ich nach Ende der Sendung (in Deutschland ist ja nun 20.00 Uhr) mir die Sportschau in der Mediathek anschauen. Also sichere ich mir einen Platz mit Tisch und hole mein Netbook raus und bete, dass nicht Beckmann moderiert. So Chips und Bier – nein okay, Falafel-Wrap, Cupcake und Cola – auf den Tisch und los geht’s. Denkste. Die Sendung ist nicht abrufbar. Stattdessen nur einzelne Pressekonferenzen. Hmpf. Hat BILD da noch irgendwelche Internet-Vermarktungsrechte? Naja, ein bisschen höre ich mir Pep Guardiola an. Dann schaue ich ersatzweise ZDF-Mediathek mit der heute Show und kichere ein bisschen vor mich hin.
Doch dann ist irgendwann der Netbook-Akku all und mir in der Sonne ziemlich heiß, also packe ich zusammen und spaziere weiter die High Line entlang. Da sehe ich am Geländer einen großen Styropor-Rahmen lehnen, der ein bisschen die Optik hat wie der Rahmen eines Polaroids. Und darauf steht: „#We just met”. Nebenan lehnt eine weitere Tafel mit Erklärungen. Man solle sich einen Fremden suchen, sich gegenseitig vorstellen, im Rahmen posieren und mit der beiliegenden Polaroid-Kamera ein Bild schießen und dieses wiederum an der dafür vorgesehenen Wand anbringen. Und noch während ich so dastehe und die Instruktionen lese, schaut mich ein Mädel fragend an und ich denke mir „Komm, das ist ein New-York-Moment. Versuch ihn mitzunehmen!” und frage sie: „Shall we take a picture together?” Und dann posieren Bridget und ich für das Foto, warten aufgeregt wie die kleinen Kinder bis auf dem Polaroid etwas sichtbar wird und hängen unser Werk dann gemeinsam auf. Ich fotografiere noch eine andere Gruppe und dann geht jeder wieder seines Weges. Ein klitzekleines bisschen kann ich mich über diesen Moment freuen. Ein bisschen blitzt meine alte Begeisterung für die Dinge, die dir in dieser Stadt passieren wieder durch.
Ich laufe nach Hause, Laptop und Geschirr abladen. Doch anstatt es nun ruhig angehen zu lassen, froh zu sein, dass mich bis dahin keine Panikattacke gepackt hatte, gehe ich nochmal los. In die U-Bahn Richtung Times Square, dort in die Linie 7 und nach Long Island City (LIC, Haltestelle Vernon-Boulevard, gleich die erste Station nach Grand Central). Dieses Fleckchen New York hatte ich kurioserweise auch erst im Sommer entdeckt. Wie schade, denn hat man von dort aus doch einen absolut phantastischen Ausblick auf die Skyline (auch das Titelfoto entstand dort). Man kann den Gantry State Park, sozusagen die Promenade, entlang spazieren, wo verschiedene kunstvoll designte Holzbänke bereit stehen, Liegewiesen laden ebenfalls zum Verweilen ein, Kinder können auf dem Spielplatz toben. Gegen Abend ziehen Jogger ihre Runden, dog-walker führen Fifis aus, Fitnessjünger verbiegen sich vor atemberaubender Kulisse in verschiedenen Yoga-Positionen, Fotografen hoffen auf den genialen Schnappschuss, wenn die Sonne hinter den Hochhäusern versinkt und ein buntes Lichterspiel einem Scherenschnitttheater Platz macht, bis schließlich dunkle Nacht ist und die tausenden Lichter der Stadt wie bunte Diamanten aus dem Schwarzen funkeln und hinter einem das berühmte Pepsi-Cola-Neonschild zu leuchten beginnt.
Wie gesagt, es ist ein Traum. Aber offenbar bin ich noch nicht für Träume reif. Ich laufe die Promenade entlang, und da kommen sie wieder, die bösen Geister, denen ich mich schon halb entflohen glaubte. Ich fühle mich wieder schwindelig. Setze mich aber erst einmal auf eine der Bänke, Blick auf die United Nations. Außerdem das Chrysler Building, links versetzt das Empire State Building und ganz weit links der Freedom Tower. Da drüben, auf der anderen Seite des Wassers, wo vor dem UN-Gebäude ein Polizeiboot auf und ab patrouilliert, da fange ich am Montag mein Praktikum an. Es kommt mir unwirklich vor. Ich freue mich, ich bin aber auch schrecklich aufgeregt. Ich erinnere mich an den Moment, als ich das letzte Mal hier saß. Es war der Abend vor unserem Rückflug. Damals waren wir gemeinsam traurig, dass es wieder zurück nach Hause geht. Heute sitze ich alleine traurig hier, weil ich nicht nach Hause kann. Die Sonne verschwindet zwischen Midtown und Downtown. Es wird rasch kalt. Nein, ich gehe lieber wieder heim. Nicht noch kränker werden. Nicht noch trauriger werden.
Im Apartment angekommen, koche ich zum ersten Mal hier in New York. Deutsches Südstaaten-soul-food: Grießklößchensuppe. Glücklicherweise hatte ich in einem italienischen Supermarkt Grieß entdeckt. Ohne Waage alles nicht so einfach. Aber es geht. Und dann sitze ich da, löffle die heiße Hühnerbrühe in mich hinein, schaue David Letterman auf dem Laptop und langsam komme ich wieder zur Ruhe und freunde mich ein bisschen mehr damit an, jetzt hier zu leben.
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