Wo sich der Jungrudi den Tod geholt hatte? Aber Tod – hat er einen, so weiß keiner was von ihm, und der Sankt Peter ist den Schwyzern gnädig. Hat er einen nicht, so glaubt ein jeder an sein ewiges Leben. Der Jungrudi hat zu aller Letzt dran geglaubt, das war zu hören. Der Jungrudi hat auch allezeit gewußt, wo ihm der Wind das beste Futter zutreibt. Standgehalten hat er dem Alten doch. Was sollen die Ochsner bei Melkeimer und Käskessel grau und bitter werden und es mit der Angst kriegen, wenn ihre Weiber niederkommen!
Hans Ochsner stellte sich dem Vater in den Weg und wies auf des Bruders Kriegsgut.
„Ein guoter Zug in zween schnellen Jahrn.“
Der Alte sah ihm hinter die Brauen, er witterte das Herz des Jungen, und seine Augen blitzten. Er nahm den Hans beim Arm und zog ihn zum Jungrudi. Dort hob er den Mantel vom Totengesicht.
„Als ouch ein guoter Zug vor die zween Jahr.“
„Muoß nit ein jeder vertuon.“
„Achthundert müessend verlorn sin, einer wird der Ritter Hans Waldmann ze Zürch. Achthundert hänt der Hans Waldmann ze Zürch werden wollen. Wolhin, der ist din Götti gewest, wil er noch Einsiedleramman war. Dri alt Plappart hat er dir inbunden ze diner Touf und hat eine Schwyzeraxt darzuo verehrt. Sin eigen Namen hat er dir vor ünsern Ochsnernamen gsatzt. Unde am Sant Vinzenzitag vor vier Jahrn sänd ich unde du hinfür uf Zürch, wil üns der Klaus Weßner ein Histori hat bracht, die war nit schön. Am Tag nach Sant Vinzenzi gstunden beid, du und ich, unter dem Grüst uf des Hegenauer Matten, do hänt sie als dem zermarterten Götti sin Kopf vor die Füeß gelegt. Was nütz, daß sie den Göldi, den Schwend, den Escher und die andern ein hürnen Rat heißend, dem Hans Waldmann kunnten sie sin Kopf nümmen ufstecken. Und ist ein früdiger Herr gsi! Ihrer fünf Hans Ochsner kunnten ihm nit glichtuon.“
„Muoß einer ouch kein Ritter Hans Waldmann sin wollen.“
„Unser Eis, Hans, das Leben hanget ihr an eim Haar. Dort liegt der Jungruodi. Willtu din Vater und Muotter beid umb etlichs kamelotten Gewand, ein atlassen Mäntli und ein Bütel Florentiner verraten?“
„Ist nit Gewand und Sach, Ruodi Ochsner. Das treibt, ist Bluot. Das will eim nit sur werdin und abstohn.“
„Dann solltu Gott bitten, daß er dem Kaiser sin Gelüst verhärt, und der Eidgenoß bald stürmen hört. Du sollt din Bluot vor die gerecht und hündisch Sach usgießn. Nit umb fremde Münz verspieln und vertuon als din Bruoder. – Sie werden ihm kein ehrlichs Grab nit günnen.“
„Ei, die und kein ehrlichs Grab nit günnen! Lupf alleinig des Jungruodi Bütel!“
„Der Herr Diebold ist nit nach der Art.“
„Der ander dest meh.“
„Hans, gib din ehrlichs Wort, du mügist nit reisen! Alls Guet, dort im Winkel, ist din.“
Der Hans stand unschlüssig. Er blinzelte auf das Gut des Bruders hinüber und sah auf das Totengesicht nieder. Der Jungrudi war halbtot heimgekrochen. Das muß elend, muß teufelselend gewesen sein. Warum ist er nicht geblieben? Er war kein windiger Gauch mehr und hatte zu leben. Dem Alten die Sach vor die Füße zu werfen? So einen kindischen Trotz hat der Jungrudi nicht getragen.
Der Hans strich über den Bart, dann schlug er dem Vater auf die Schulter.
„Ist guet, Ruodi Ochsner, wir möchtends erwarten. Viellicht so stürmend sie bald.“
Er ging gelassen durch die Gademtür, die Treppe krachte gleichmäßig unter seinen Tritten.
Der alte Ochsner wußte, wem das Wort des Hans zu danken war. Er bedeckte den Toten wieder.
„Hast ehender verscheiden müessen, daß din Art den gueten Lout sullt finden? Du hast vergeben, als will ich dir sin getrü.“
Er hielt im Gadern Wacht und war doch mit ganzer Seele droben bei dem Kinde, das nach Erlösung schrie. Seine Hände hatte er vor der Brust gefaltet, indem er auf und nieder ging. Nie noch war er vom inneren Leben so mächtig bis an seines Wesens Rand erfüllt. Er flüsterte:
„Du bist nit alleinig, Jungruodi. Ouch du nit, Eis. Wir müessend all ersterben, üns geben hin, daß wir ein Lout gewinnen und ein Brucken. Wir wollend all entbunden sin. Allweg es bitter drängt und keiner den andern kann umbfahen und halten, es sije dann, er stürb sin eignen Tod. Kunnt einer dem Felsstein glichen, ihm wär wohl. Der ruhet in des Etzeln Schoß unde ist in ihm bschlossen …“
Er blieb stehen, lauschte seinen Worten nach. Sie kamen ihm fremd und sonderbar vor. Er sah um sich, als könne er all das, was unbeachtet eingelebt sein Eigen war, nicht wiedererkennen. Und aus der Stille hörte er die Sihl. Er war über das Rauschen verwundert, das sein Leben lang ungehört an ihm vorbeigezogen war.
„… ist in ihm bschlossen“, wiederholte er. „Unde die Sihl …? Das Wasser all, das us dem Felsen bricht …? Ouch der Fels tuet ihn Selbsten uf! Mueß sich geben!“
Da gellte der unbändige, wilde Schrei der Erlösung durch das Haus.
Rudi Ochsner ballte die Fäuste vor der Brust, sein Gesicht war zur Decke gewendet, die Lippen zitterten, seine Augen glänzten.
„…ist nit bschlossen! Keins ist bschlossen. Eis, du hasts ton! Und als ouch der Jungruodi hats vollbracht. Und wir müessend es all tuen und uns geben.“
Er war fröhlich wie ein Schlucker, der unversehens den Goldschatz unter seiner morschen Seele findet. Er rannte die Gademtür gegen die Flurwand und sprang die Treppe hinauf, als sei er seiner Jahre um die Hälfte ledig. Erst droben sammelte er seine sieben Schicklichkeiten und Alterswürden, damit er das Enkelkind gebührlich empfange.
Die Eis lag blaß und lächelnd, ihre Augen waren weit, trunken vor Freude und Frieden. Hohenheim trocknete ihre Stirn und tastete zu ihren Händen hin, die matt auf der Brust lagen. Er streichelte ihre Hände und hauchte sie warm.
Die Großmutter trug das krächzende Bündlein zu dem Bottich, prüfte sorgsam mit dem Ellenbogen, fand das Wasser zu kalt.
„Hol warms Wasser, Ruodi! Nimm als ouch den Stein usm Bett und bring den heißen.“
„Ist es wohlgeschickt und vollkommen, Muotter?“
„Aller Gstalt mit Heil … ein Bübli.“
„Als sänd wir in Gottes Namen wieder all.“
Er nahm die Holzkanne und den Wärmestein, der in Laken gewickelt zu Füßen der Eis lag, und polterte hinunter.
Dem Kleinen wurde nicht Holdermus noch Weidensud von der Großmutter, die ihm auch Wehemutter geworden war, ins Bad gegossen, und Wilhelm von Hohenheim vergaß einen blanken Pfennig hineinzuwerfen. Das Kind war eilig gewesen, es blieb kaum Zeit, die Wochenstube zu rüsten.
Allein das Jahr stand vor Weihnachten, und der Kleine hatte einen beträchtlichen Schädel mitgebracht. Also legte ihn die Großmutter, während Rudi Ochsner um Wasser lief, schnell unter die Stubenbank, daß er nicht geistersichtig werde.
Wenn später der Sohn des Hohenheim dennoch manch üblen Geist sah, an dem die Leute unter staubwedelnder Reverenz vorübergingen, meinend einem Großhansen zu begegnen, so war die Eilfertigkeit des alten Ochsner daran schuld. Der kam rasch zurück, das Wasser sollte nicht verkühlen; die Großmutter mußte das Kindlein unter der Bank hervorziehen.
Im warmen Wasser erholte sich das junge Leben von der Unbill seiner neuen Welt.
Man hatte ja kein Glückshäutlein abzuwaschen, brauchte aber auch kein verdächtiges Mal mit Mutterblut zu betupfen, daß der Satan daraus wiche. Im ganzen konnte man zufrieden sein.
Der kleine Hohenheim kniff die Äuglein zu, als die Wärme über den verdrückten Birnschädel und das runzelige Gesichtlein rieselte. Es hing ein winziger Körper daran, der gleichwohl kräftig nach Atem rang.
Er