Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erwin Guido Kolbenheyer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748520993
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fassen. Die Mutter beneidete, von Scham und Verzweiflung gemartert, die schmerzensreiche Maria um ihre Leiden. Und doch tauchte sie den Lappen wieder in den Wein und kühlte ihres Kindes Fieber.

      Der Hans trat erst hinzu, als er die Not der Mutter nicht mehr aushielt. Er rüttelte den Bruder.

      „Ruodi! Wach uf, Kerl! Din Muotter.“

      Der elend sieche Teufel lachte und lallte:

      „Weg dine säuische Hüf! Gang miner müeßig, Heini Stoll! Vergunnst eim das Mensch nit? Die streichet und zwacket mich wohl … wills widerstreichen uf Schwyzer Art.“

      Die Mutter ließ das Linnen sinken, sie deckte mit zitternden Händen das Gesicht. Der Vater war langsam aufgestanden.

      Er war weiß vor Wut, der Mund klaffte ihm, der Hans wich aus.

      Der Vater ging zur Ofenbank, packte den Jungrudi am Koller und den faltigen Hosen, schwang ihn auf die Achsel und wollte gegen die Tür. Die Mutter hing sich an den Mann. Rudi Ochsner stieß sie weg. Der Hans folgte mit halberhobenen Armen, bereit, beide, Vater und Bruder, aufzufangen. Der Alte tappte unter seiner Last weiter.

      Da erschlafften die Arme und Beine Jungrudis, der wild um sich geschlagen hatte. Sein Kopf fiel röchelnd auf des Vaters Brust.

      Die Mutter schrie, sie stürzte sich auf den Mann, drängte ihn zurück. Hans riß ihm den Bruder aus den Armen.

      Eis lief ans Tor, sie hatte Hohenheim gehört. Die Mutter wankte ihm mit einer unsäglichen Gebärde entgegen. Eis öffnete die Arzeneitasche, so schnell sie konnte. Der Hans saß auf einem Stuhl und hielt den Bruder auf den Knien.

      Bombast fühlte den Puls. Sie brachten ein Schaff. Er ließ dem Sterbenden die salva tellam der Rechten, aber das Blut schoß nicht mehr in einem freudigen Strahl aus der Wunde, es tröpfelte matt von den Fingern.

      Er goß aus einem Fläschchen auf die hohle Hand, rieb Jungrudis Schläfe, hielt des Fläschchens Mund an die schwer schnaufende Nase. Ein scharfer Duft durchdrang den Gadern.

      Dann verband er die Hand und schlug die Schläfenader.

      Das Blut floß kräftiger. Jungrudi seufzte tief. Er öffnete die Augen und ließ sie über die vorgebeugten Gesichter irren. Die Finger seiner linken Hand spreizten sich, als wollte er etwas fassen. Er ballte die Hand und murmelte:

      „Muotter … Eis …“

      Dann sank die Brust rasselnd ein, das Blut stockte. Wilhelm Bombast, der Jungrudis Kopf hielt, legte seine Hand über die gebrochenen Augen und schob die Lider zu.

      Die Mutter nahm den Kopf auf ihren Arm und wischte das Blut von Wange und Schläfe. Sie weinte leise. Eis war von Hohenheim gestützt, beide blieben still bei der Mutter. Der Hans rührte sich nicht, er schaute nur die Mutter an.

      Sie küßte die erkaltende Stirn. Ihre Augen suchten den Mann. Der lehnte abgewandt an der Tür, die Fäuste ineinander gepreßt, vor die stoßende Brust gestemmt. Er kämpfte wie ein getroffener Eber, der seine Wunde aufwühlt, während er das Eisen abzuwetzen strebt. Sie sollten nicht wissen, daß ihm ein Schrei hinter den Zähnen stand, der ihn fast erstickte.

      Die Frau kannte seine Not. Sie rief ihn an:

      „Ruodi, kumm ze ihm … Ruodi, es hat ihn siech uf den Tod hoimwarts trieben, eh dann er ist verscheiden.“

      Der alte Ochsner schleppte steif hin, legte eine Hand auf die Schulter des Weibes. Sie nahm seine Hand und legte sie auf die Stirn des toten Sohnes.

      Sie sagte nur:

      „Der ist din Ebenbild gsi, Mann.“

      Aber eine Last von Liebe und Kummer lag auf jedem ihrer Worte, daß der alte Ochsner seinen Nacken beugte, bis sein Gesicht die Brust des Toten berührte.

      Als er sich erhob und das Weib ansah, drang es ihm stoßweis durch die Zähne:

      . Muotter … Muotter … ich nimm ihn vor Gott uf mich.“

      Dann ging er hastig hinaus. Ließ den Schnee ins Gesicht jagen. Hetzte über die Meinradsklause talab durch den Etzelwald. Als müsse er dem sterbenden Sohne entgegen, ihn vom Pferd heben, auf den Armen heimtragen. Erst ober Pfäffikon wurde er seiner selbst gewahr. Der Schweiß rann ihm vom Gesicht und der Brust. Und er dachte des Weibes bei dem Toten. Vor Reue und Schmerz riß er an seinem Wams. Und er kletterte den Pilgeriweg zurück. Es schlug ihm bis in den Hals, er fühlte kein Ermatten. Als müsse es der Tote ansehen und müsse die Buße gut aufnehmen für alle Härte und dafür, daß ihn der Vater hat auf die Straße werfen wollen, als er im Sterben gelegen war.

      Droben vor der Pforte des Meinradkirchleins fiel der alte Ochsner in die Knie. Er fand kein Gebet, aber er schlug die Stirn gegen die Tür und war demütig wie nie in seinem Leben.

      Als sein härtester Drang verpulst war, hörte er die Rufe des Hans. Er gab kräftig Widerlaut und ging dem Rufe nach. Er durchkreuzte die Schweigwies über den verschneiten Spuren des Jungrudi.

      Das Tor war vom Hans offen gelassen. Als Rudi Ochsner eintrat, schallte ihm vom Oberstock herab ein langer, heller Schrei entgegen. Er blieb, den Zapfen des Riegels in der Hand, stehen und lauschte mit verhaltenem Atem.

      Der Schrei, der lange, helle Schrei, der wie ein Herold in Scharlach einhergeht!

      Wann wieder … wieder …

      Die Heroldsrufe müssen tiefer, hastiger, mächtiger werden … statt Scharlach sollen sie dunklen Purpur tragen … dann wird die Majestät des neuen Lebens durch die Todespforte brechen. Alle werden ihr dienen.

      Hell und heiß, ein neuer Laut wie das flammende Leben.

      Der alte Ochsner zitterte vor Lreude, er trat ein.

      Zwei Bänke waren zusammengerückt, Reisig darübergebreitet. Jungrudi Ochsner lag auf dem Reisig hingestreckt. Die Knie stachen knöchern aus den faltigen Hosen, die ihm sonst prall am kraftvollen Bein gelegen waren. Die dürren Totenfinger umkrallten den Griff des Schweizerschwertes, das über dem langen Körper ruhte. Unter den Kopf hatten sie den Sattel geschoben.

      Der Hans saß ruhig beim Tisch, er löffelte und kaute. Er hatte den Toten betten müssen, da der Mutter und dem Schwager bald nachher die Eis zugefallen war. Er hatte den Vater gegen Einsiedeln zu gesucht, und erst, als der Alte Widerlaut gegeben hatte, war er aus allem Sturm unter Dach gekommen. Auf dem Tische war noch der kalte Brei gestanden, das Brot daneben gelegen. So hatte er nicht lange zu suchen brauchen. Der Hunger hatte ihn angefallen.

      Hans Ochsner sah kaum auf.

      „Do währets etwan mit der Eis ein Zit?“

      „Nit lang do der Ruodi ist verscheiden.“

      Rudi Ochsner nahm den Krug und trank. Dann streifte er sein nasses Wams ab und hing es neben Jungrudis Mantel über das Ofenreck.

      Eine Weile stand er bei dem Toten. Er sah, daß ihm die feuchten Haare über die angeschlagene Schläfenader gestrichen waren, das hatte noch die Mutter getan. Auch zwischen ihm und dem war es still geworden.

      Da zitterte ein neuer Schrei durch die Gademdecke nieder. Rudi Ochsner zog den roten Reitermantel vom Ofenreck. Noch war er naß und schwer, die Haare des Rauchwerks klebten noch. Er breitete den Mantel über den starren Mann und bedeckte das kalte, blasse Gesiebt. Der Schrei des Lebens sollte den Todesfrieden nicht bedrängen.

      RudiOchsner ging auf und nieder. Er maß und lauschte hinauf. Er maß die tröpfelnde Zeit von Ansturm zu Ansturm wie damals, als der Hans gekommen war. Er dachte an sein blasses junges Weib unter der Gewalt des Lebens. Sie hatte sich im Sturm der Wehen das blonde Haar gerauft, da war er neben sie hingekniet und hatte seinen Kopf geboten, daß sie ihr Haar schone und er teil habe am Schmerz. Sie hatte ihn fortgestoßen, in dieser Stunde war sie nicht sein, sie gehörte der Allgewalt. Von den Weibern war er schmählich aus der Kammer geschoben worden, war aber davor stehen geblieben. Er hatte sein Teil so gefunden.

      Der Hans brach geräuschvoll auf. Er war gesättigt und hatte seine Weile dem natürlichen Gang der Dinge da droben zugehört. Ein übriges