Die Spalte war gerade groß genug, damit eine Hand hinein passte. Alexa griff in den Spalt hinein und tastete mit ihren Fingern nach etwas. Schließlich fühlte sie ein in Stoff gewickeltes kleines Kästchen. Vorsichtig bugsierte sie das Kästchen aus der Spalte heraus. Der Stoff war schon etwas angegriffen, wirkte jedoch noch wesentlich neuer, als seine Umgebung. Vorsichtig wickelte Alexa das Tuch ab und betrachtete das kleine Holzkästchen. Es war dunkelbraun und auf dem Deckel war ein weißer Schmetterling zu sehen. Was hatte dieses Symbol zu bedeuten. Doch schließlich war Monique es, die eine Antwort darauf wusste. „Das ist unser Familienwappen! Das Wappen der Helsings.“ Neugierig öffnete Alexa das Kästchen. Das Innere war mit dunkelblauem Samt ausgelegt. Ein zusammengefaltetes leicht vergilbtes Blatt lag darin. Alexa nahm es heraus und faltete es vorsichtig auseinander. Es handelte sich um eine alte Geburtsurkunde aus London. Alexa konnte ihren Namen entziffern. Es war ihre Geburtsurkunde. Ihre Eltern hatten gesagt, dass sie beim Umzug verloren gegangen war. Was machte sie in dieser Höhle? Doch dann fiel ihr Blick auf die Zeile, in welcher der Nachname stand. Verblüfft riss sie die Augen auf. Es konnte nicht wahr sein, oder? Es war unglaublich, was sie da las. Anstatt des Namens Miller stand dort Van Helsing in der Spalte. Wie konnte das sein? War es ein Druckfehler? Ein Irrtum? Nein! In ihrem Inneren spürte sie, dass es stimmte. Sie war eine Helsing. Warum hatten ihre Eltern das verschwiegen? Nein, es waren nicht ihre richtigen Eltern gewesen. Was war damals nur geschehen? Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Es war Monique. „Was hast du gefunden?“ Mit zittriger Hand hielt sie Monique die Urkunde entgegen. Monique betrachtete das Dokument und auch sie konnte kaum fassen, was sie gerade sah.
Die Urkunde war für Alexa van Helsing ausgestellt. Geboren am 17. Juli 2002 in London. Die Eltern waren Isabelle und Adrian van Helsing.
Es waren Moniques Eltern. Es gab noch eine weitere Zeile, die auch die letzten Zweifel auslöschte.
Geschwister: Monique Isabelle Jennifer van Helsing, geboren am 1. Februar 2000 in London.
Monique und Alexa waren Schwestern, daran gab es keinen Zweifel mehr. Keiner von ihnen brachte einen Ton heraus.
Kapitel 10
Alexa und Monique waren beide sprachlos, doch nun wurde so vieles klarer. Das Gefühl, dass sie gehabt hatten, als sie sich das erste Mal begegnet waren, dass sie sich sofort gut verstanden hatten, beinahe schon wie langjährige Schwestern. Es hatte nun alles einen Sinn. Noch immer hielt Monique die Urkunde in ihrer Hand, die das Geheimnis aufgedeckt hatte, doch wie war sie nur hier hergekommen? Wer hatte sie in der Spalte versteckt und warum? Auf jeden Fall konnte es kein Zufall sein, dass Alexa diese Höhle gerade jetzt entdecken sollte. Es musste ein Plan dahinter stecken. Die Überraschung wich schließlich großer Freude. Immer war sie allein gewesen. Ein Einzelkind ohne Eltern, die bei ihrem Onkel wohnte. Natürlich hatte sie auch Freunde gehabt. Doch sie hatte sich nichts sehnlichster gewünscht, als eine Schwester, mit der sie alles teilen konnte. Und nun hatten sie herausgefunden, dass sie tatsächlich eine Schwester hatte.
Alexa brauchte einige Sekunden, um wieder klar denken zu können. Sie sah Bella in die Augen und versuchte eine Frage zu stellen. „Warum erst jetzt? Wieso sollte ich es erst jetzt erfahren, dass ich eine Schwester habe? Warum Bella?“ Doch Bella schwieg. War es vielleicht doch nur ein Traum gewesen, oder eine Vision? Alexas ganzes Leben hatte sich von einem Moment zum anderen völlig auf den Kopf gestellt. Sie hatte erfahren, dass die Eltern, denen sie Jahrelang nachgetrauert hatte, gar nicht ihre richtigen Eltern gewesen waren. Doch was war damals wirklich passiert? Warum hatten ihre richtigen Eltern sie weggegeben und Monique behalten? All diese Fragen quälten sie und ließen ihren Verstand nicht zur Ruhe kommen. Doch ein Gefühl überdeckte all diese Zweifel und Fragen. Es war Freude. Eine so gewaltige Freude darüber, dass sie nicht mehr alleine war. Sie stand auf und fiel nun Monique um den Hals, welche die Umarmung erwiderte. Alexa war so glücklich eine Schwester zu haben, dass sie für einige Momente alles andere vergaß. Tränen rannen ihr über Wange und Kinn. Sie hatte nicht nur eine Freundin in Monique gefunden. Sondern eine Schwester und mit ihr einen Teil ihrer verworrenen Vergangenheit. Zusammen würden sie nun auch die letzten Rätsel lösen. Plötzlich viel ihr wieder das Amulett ein, das sie in ihrer Hand hielt. Sie zeigte es Monique. „Ist es das, was du gesucht hast?“ Moniques Augen weiteten sich. Aus ihrer kleinen Reisetasche holte sie ein kleines Buch hervor. Der Einband war rot und auf dem Buchdeckel erkannte sie das Symbol, das bis vor kurzem noch auf ihrer Handfläche zu sehen gewesen war. „Ich kenne das Symbol, Monique. Ich habe es vorher auf meiner Hand gesehen.“ Monique schaute kurz auf. „Bist du sicher?“ Alexa nickte. Hastig blätterte Monique durch die Seiten des Buches, bis sie das fand, was sie gesucht hatte. Sie hielt das Buch neben das Amulett und verglich es mit der Zeichnung im Buch. „Sie sind identisch. Es ist das Feueramulett. Genau danach habe ich gesucht.“ Alexa streckte ihr nun das Amulett entgegen. „Dann nimm es.“ Aber Monique schüttelte den Kopf. „Es war deine Bestimmung es zu finden und zu besitzen. Trage es immer bei dir, denn du bist die Feuerkriegerin des Lichts. Du beherrschst das Element Feuer. Es ist einfach unglaublich. Ich habe eine Schwester und zugleich die erste Kriegerin gefunden.“ Nun wurde Alexa neugierig. „Erzähl mir alles, was du über diese Sache weißt. Was für Krieger sind das, nach denen du suchst?“
Monique lächelte erfreut und begann damit die ganze Geschichte zu erzählen.
„Also. Es begann…“
Als Monique zu Ende erzählt hatte, sah Alexa sie mit einer Mischung aus Staunen und Erkennen an. „Das ist ja unglaublich.“, brachte sie schließlich hervor. Alexa hatte Moniques Geschichte mit großem Interesse zugehört. „Dann stimmen also diese alten Geschichten. Ich habe so etwas schon in alten Büchern gelesen.“ Monique nickte. Doch sie teilte Alexas Begeisterung keineswegs. „Diese Bedrohung ist real und wir sollten sie auf keinen Fall unterschätzen. Sie haben unseren Onkel entführt und wer weiß, was sie mit ihm anstellen werden, um an Informationen zu gelangen. Aber ich bin mir sicher, dass es nichts Gutes sein wird.“
Alexa nickte ernst. Auch sie wusste, dass die Ereignisse, die sich in naher Zukunft ereignen würden, über das Schicksal aller bestimmen würden. Doch es war alles so aufregend. Sie hatte eine Schwester gefunden und die Wahrheit über ihre wahre Familie herausgefunden. Um nichts in der Welt wollte sie auf die Erfahrungen des letzten Tages verzichten. Sie war nicht mehr alleine. Vor allem hatte sie nun keine Bedenken mehr Monique alles zu erzählen. „Ich hatte eine seltsame Vision, als ich das Amulett berührte. Bella sprach zu meinen Gedanken. Sie sagte mir, dass ich die Kräfte des Amuletts wecken müsse. Weißt du, was sie damit gemeint haben könnte?“ Monique zuckte mit den Schultern. „Nun ja. Die Kräfte, die den legendären Kriegern zu Eigen waren, kamen aus ihrem Inneren. Die Amulette, beziehungsweise die Rüstungen, aus denen später die Amulette hergestellt wurden, waren so eine Art Schlüssel, die den Trägern des Lichts dabei halfen ihre Kräfte zu wecken und zu bündeln. Doch dies gelang ihnen nur, wenn sie die völlige Kontrolle über ihre Geistigen Fähigkeiten erlangen konnten. Nach dem ersten Kampf gegen die Finsternis wurden die Rüstungen eingeschmolzen und die Amulette hergestellt. In ihnen schlummern die gewaltigen Kräfte der Elemente. Doch sie befinden sich in einer Art Ruhezustand. Ich glaube, dass viele in den Besitz der Amulette gelangen wollten, um ihre Kräfte zu nutzen. Aber nur die Personen, welche die Amulette zu tragen bestimmt sind, können ihre wahren Kräfte wecken um die Elemente zu kontrollieren.“ Alexa lauschte den Worten ihrer Schwester aufmerksam. Doch dann zuckte sie wieder mit den Schultern. „Doch wie dies genau zu machen ist, kann ich dir nicht sagen. Ich kann nur hoffen, dass du die Antwort darauf rechtzeitig selbst finden wirst.“ Alexa band sich das Amulett um den Hals und versteckte es unter ihrem Top. „Also gut. Worauf warten wir noch? Brechen wir auf.“ Monique blickte Alexa an, die gerade die Höhle verlassen wollte.
In