Endgame. Alexander Winethorn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Winethorn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742764508
Скачать книгу
schätzte das Alter seines Vorgesetzten um die fünfzig herum. Mit seiner stämmigen Erscheinung und dem Vollbart, der fast sein ganzes Gesicht bedeckte, wirkte der Hauptmann klein aber kräftig.

      »Kollegen, wir fangen an!«, brummte der Hauptmann mit seiner tiefen Bassstimme, die zu seiner robusten Statur passte. »Wie einige von euch vielleicht schon wissen – mein Name ist Joseph Bär. Ich bin Hauptmann dritten Grades und der Oberkommandierende dieser Einrichtung.«

      Adam war über den schroffen Ton und der zackigen Ausdrucksform, die selbst für einen Polizisten übertrieben klang, verwundert. Er nahm an, dass Hauptmann Bär eine militärische Ausbildung hinter sich hatte, was nichts Ungewöhnliches war. Als der Staat dringend Polizeibeamte brauchte, wurden die Aufnahmekriterien gelockert und das Gehalt erhöht, woraufhin viele Soldaten zur Bundespolizei wechselten.

      »Zuerst möchte ich euch die allgemeine Lage erklären«, fuhr der Hauptmann fort. »Wie ihr wisst, gibt es seit ein paar Wochen im ganzen Land heftige Auseinandersetzungen und Unruhen seitens der Bevölkerung. Besonders hier, in der Hauptstadt, kommt es fast täglich zu neuen Demonstrationen. Leider gab es dabei bereits einige Verletzte und Tote. Die Kanzlerin hat deswegen eine Ausgangssperre über die gesamte Stadt verhängt, wobei sich nicht alle daran halten.« Der Hauptmann griff nach dem Lehrersessel und machte Anstalten, sich hinzusetzen, entschied sich jedoch dagegen. »Viele von euch kommen aus einer anderen Stadt oder aus einem anderen Teil des Landes. Aufgrund der derzeitigen Situation sind wir unterbesetzt, und wir brauchen jeden Mann und jede Frau, die wir bekommen können. Die Lage hat sich in den letzten Tagen enorm zugespitzt. Auslöser dafür war der Mirabella-Vorfall.«

      Es wurde still im Raum. An den Gesichtszügen der anwesenden Polizisten konnte man erkennen, dass sie an die kleine Mirabella dachten, auch Adam senkte gedankenversunken seinen Kopf.

      Mirabella war ein achtjähriges Mädchen, das an einer Demonstration teilnahm und dabei schwer verletzt wurde.

      Es begann mit der Streichung der staatlichen Familien- und Kinderbeihilfe. Viele Eltern zogen mit ihren Kindern auf die Straße, um ihren Unmut kundzugeben. Bis heute weiß man nicht, was genau geschah, oder wie es dazu kam, aber irgendwie geriet die Demonstration außer Kontrolle. Es kam zu Übergriffen und Mirabella wurde von der panischen Menschenmasse niedergetrampelt. Sie erlitt ersnthafte Körperverletzungen, Quetschungen und sogar innere Blutungen. Das Mädchen befand sich für eine lange Zeit im kritischen Zustand, die Ärzte kämpften um ihr Leben. Natürlich gab jeder dem anderen die Schuld für den Vorfall. Die Eltern gaben den Polizeibeamten die Schuld, und die Polizei beschuldigte die Politiker. Die Politiker wiederum wälzten die Schuld auf die Eltern ab und meinten, dass eine Demonstration keine geeignete Veranstaltung für ein Kleinkind wäre.

      Eine Woche später wurde das Polizeihauptquartier angegriffen. Der Vater von Mirabella hatte sich beim Angriff beteiligt. Nun drohte ihm eine mehrjährige Haftstrafe.

      Nach einer kurzen Pause berichtete der Hauptmann weiter: »Nach dem Angriff auf das Polizeihauptquartier entschied sich das Polizeipräsidium dafür, die Kräfte aufzuteilen, um so besser und schneller agieren zu können.«

      Hauptmann Bär winkte zwei Kollegen zu sich, die außerhalb des Zimmers bereits auf sein Zeichen gewartet haben. Die beiden Männer betraten die Klasse und befestigten eine Karte an der grünen Unterrichtstafel.

      Die Karte zeigte einen Umriss der Stadt, die in vier Zonen aufgeteilt wurde. Jede Zone war mit einer anderen Farbe markiert.

      Der Hauptmann nahm einen langen Zeigestab in die Hand und wies damit auf die Stadtkarte. »Die rote Zone kennzeichnet das Stadtzentrum. Der äußere Teil der Innenstadt befindet sich in der gelben Zone. Die Außenbezirke sind blau markiert, und die Stadtgrenze gehört zur grünen Zone.« Hauptmann Bär tippte mit der Spitze des Stabes auf die Innenstadt. »Wie ihr seht, liegt das Parlament sowie das Polizeihauptquartier und auch das Krankenhaus in der roten Zone, also dem heißen Bereich. In diesen Bezirken fanden bisher die meisten Unruhen und Angriffe statt. Das Polizeihauptquartier ist für diese Zone zuständig. Wir sind in der gelben Zone stationiert. Bei uns müssen wir mit Plünderungen und allerlei Sachschäden rechnen. Unsere Aufgabe wird es sein, die gelbe Zone zu kontrollieren und dafür zu sorgen, dass sich der rote Bereich nicht noch weiter ausbreitet. Der grüne Bereich ist sicheres Territorium. Um dieses Gebiet brauchen wir uns nicht zu kümmern. Die dort befindlichen Familienhäuser werden von unseren Streifenwagen beobachtet, aber es sind bis jetzt keine Einbrüche gemeldet worden.«

      Eine Frau, die neben Adam saß, hob ihre Hand, um eine Frage zu stellen: »Was ist mit den Außenbezirken? Der blauen Zone?«

      »Die blaue Zone ist relativ sicher. Das Industrieviertel hat keine Priorität für uns. Im Süden der Stadt, bei der Kirche des St. Luzis haben die Demonstranten ihr Zeltlager aufgestellt. Wie ihr seht, grenzt ihr Lager an einem Waldgebiet, das sich bereits in der grünen Zone befindet. Ursprünglich haben wir für das Lager einige Streifenwagen auf Patrouille geschickt, aber seit dem Mirabella-Vorfall sind Polizeibeamte dort nicht mehr gerne gesehen. Wir haben deshalb unsere Präsenz in diesem Teil der Stadt aufgegeben. Wir lassen sie in Ruhe, und sie lassen uns in Ruhe. Allerdings vermuten wir, dass einer der Anführer der Demonstranten der Hauptproduzent der roten Fee ist. Ich nehme an, dass jeder von euch mit dieser neuen Droge vertraut ist.«

      Adam und seine Kollegen nickten einheitlich. Bei der roten Fee handelte es sich um ein neuartiges Rauschmittel, das kurz vor dem großen Wirtschaftskollaps auf dem Schwarzmarkt erschien. Die rote Fee war ein Gemisch bestehend aus LSD, Absinth und dem Gift von Skorpionen. Eingenommen wurde die Droge über die Augen. Durch die Netzhaut gelangten die chemischen Komponenten viel schneller zum Gehirn, wodurch der Rauschzustand um ein Vielfaches intensiver wirkte.

      Die rote Fee sorgte für eine gesteigerte Wahrnehmung und bewirkte Halluzinationen. Diese Halluzinationen ließen den Konsumenten glauben, dass er Teil eines Märchens wäre. Es gab Berichte über einen Mann, der dachte, er wäre ein Kreuzritter und er müsse gegen einen Drachen kämpfen. Jedoch handelte es sich bei dem eingebildeten Drachen lediglich um einen roten Ferrari, den er mit einem Golfschläger demoliert hatte. Leider gab es auch ernste Vorfälle. So wollte etwa eine junge Mutter ihre eigenen Kinder in einem Ofen backen. Sie war davon überzeugt, eine Hexe zu sein, und glaubte, dass ihre Kinder Hänsel und Gretel wären. Zum Glück konnte ihr Ehemann sie noch rechtzeitig daran hindern, die Kinder bei lebendigem Leibe zu verbrennen.

      Des Öfteren erschien in diesen märchenhaften Halluzinationen ein rot leuchtendes Wesen, das einer Fee ähnelte. Daher nannte man die Droge einfach nur rote Fee. Die Nebeneffekte dieser Droge konnten jedoch verheerend sein. Neben Panikattacken gab es auch Fälle von Blindheit und schweren Gehirnblutungen.

      Die Nachfrage nach der roten Fee stieg in den letzten Monaten rapide an, und der Verkauf der Droge auf dem Schwarzmarkt boomte. Je schlimmer die Krise wurde, und je ärmer die Leute, umso mehr Menschen konsumierten das Rauschmittel. Die rote Fee war besonders bei Jugendlichen populär.

      »Die rote Fee wird wahrscheinlich im Zeltlager verteilt und verkauft«, erzählte der Hauptmann weiter. »Wir haben schon einige Demonstranten festgenommen, die im Besitz dieser Droge waren. Wie dem auch sei, das Zeltlager ist momentan das kleinere Übel.«

      »Und was ist das größere Übel?«, fragte Adam seinen Vorgesetzten.

      Hauptmann Bär legte den Zeigestab weg, und seine Miene wurde bedeutend ernster. »Bisher haben die Nachrichten nichts darüber berichtet, aber es gibt eine neue radikale Gruppe, die sich selbst das Sirius-Kollektiv nennt. Wir sind uns sicher, dass die meisten, wenn nicht sogar alle gewalttätigen Ausschreitungen auf deren Kappe gehen. Wahrscheinlich ist diese Gruppe auch für den Angriff auf das Polizeihauptquartier verantwortlich. Wir haben keine Ahnung, wie viele Mitglieder dieses selbsternannte Kollektiv hat, und, wo sie sich treffen. Diese feigen Hunde wagen sich nur nachts hinaus. Sie mischen sich unter die Demonstranten und sorgen für Unruhen. Ihr erkennt sie an ihrem schwarzen Halstuch, auf dem das Abbild eines grinsenden Totenkopfes zu sehen ist. Solltet ihr jemanden mit so einem Tuch sehen, dann nehmt ihr die Person am besten gleich in Gewahrsam. Wir hatten bisher keine Möglichkeit, ein Sirius-Mitglied festzunehmen und zu verhören, weswegen unser Wissen über diese Gruppe mangelhaft ist. Der Erste, der einen