Endgame. Alexander Winethorn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Winethorn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742764508
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Adam einiges klar. Mit der dürren Figur und den jungen Jahren hätte Lukas es nie durch das Basistraining der Polizeiakademie geschafft. Aufgrund seines technischen Talents hatte man ihn sozusagen durch die Aufnahmeprüfungen geschleust.

      Es wurde an der Zeit, zum Turnsaal zu gehen. Adam und Lukas waren die Letzten, die im Saal eintrafen. Adam erspähte den blonden Kollegen, der den beiden einen verächtlichen Blick schenkte.

      Anstatt irgendwelcher Turngeräte standen etliche Kartonschachteln herum. Zwei Unteroffiziere entnahmen aus den Kartons Uniformen und Ausrüstungsgegenstände, die sie geordnet auf einen Tisch aufreihten. Die Schusswaffen hatte man in einem abgeschlossenen Eisenschrank untergebracht.

      Hauptmann Bär bat um Ruhe und begann zu sprechen: »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, deswegen wollen wir gleich anfangen.« Er stellte sich vor den Tisch. »Was ihr vor euch seht, ist die Ausrüstung, die ihr für den heutigen Einsatz bekommen werdet. Das Meiste davon habt ihr wahrscheinlich bereits in der Ausbildung oder im aktiven Dienst verwendet, trotzdem möchte ich eure Erinnerung kurz auffrischen.« Der Hauptmann hob einen Gegenstand in die Höhe. »Was wir hier haben, ist eine Splitterschutzweste. Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig die Weste ist. Zwar erwarten wir keine Granatenangriffe, aber es werden Steine und Flaschen fliegen, und eines könnt ihr mir glauben, die Glassplitter wollt ihr nicht abbekommen. Des Weiteren bekommt ihr einen Schutzschild aus brech- und biegsicherem Plexiglas. Zusätzlich erhaltet ihr einen Helm mit Schutzvisier. Geht nie ohne Helm in den Einsatz. Jetzt zu den Waffen.«

      Es wurde totenstill im Turnsaal.

      »Eure Primärwaffe ist der klassische Schlagstock aus Hartgummi. Ihr alle habt damit trainiert, und ich hoffe, ihr erinnert euch noch an den Kampfdrill aus der Grundausbildung. Manche von euch werden dieses Schmuckstück verwenden.« Er nahm einen Granatwerfer in die Hand, knickte den vorderen Teil nach unten und legte eine zylinderförmige Patrone in den Lauf. »Einfach zu laden und zu entladen. Es werden Tränengaspatronen und Rauchgaspatronen benützt. Wir haben leider nicht genug Granatwerfer, deshalb bekommen nur einige von euch so ein Ding. Aber, womit jeder von euch bewaffnet sein wird, ist das hier.« Der Hauptmann hielt eine handflächengroße Spraydose in die Höhe. »Eine Pfefferspraydose. Die Dose hat nur eine begrenzte Reichweite und Menge, also vergeudet nichts davon. Seid euch sicher, auf wen oder was ihr sprüht.«

      Nach der Einweisung gingen die Beamten zu den Umkleidekabinen und zogen die Polizeiuniformen an, danach holten sie die Ausrüstung ab: einen Helm, Handschuhe, Armschutz, Beinschutz, Schulterschutz, eine Splitterschutzweste, einen taktischen Einsatzschild, ein Walkie-Talkie, eine Pfefferspraydose und einen Schlagstock. Als Adam merkte, dass Lukas mit dem Equipment überfordert war, half er dem Jungen beim Aufrüsten. Der Blonde beobachtete die beiden und konnte sich ein höhnisches Grinsen nicht verkneifen.

      Nachdem sie fertig aufgerüstet waren, erklärte der Hauptmann ihnen den ersten Einsatz: »Die Demonstranten planen einen Protestmarsch beim städtischen Zoo. Euer Auftrag lautet, sie zu begleiten und dafür zu sorgen, dass es zu keinem Zwischenfall kommt.« Der Hauptmann trat näher heran, und seine Stimme wurde tiefer. »Der Zoo liegt gefährlich nahe am Stadtzentrum, deshalb wird uns das Hauptquartier Verstärkung schicken. Trotzdem solltet ihr extrem vorsichtig sein. Passt auf euch auf.«

      Vor der Schule wartete bereits ein Polizeitransporter auf sie. Adam, Lukas und der Blonde stiegen mit zehn weiteren Kollegen in das Fahrzeug. Nachdem der Transporter vollbesetzt war, begann die Fahrt in Richtung Stadtzentrum – der roten Zone.

      ****

      Der kleine, weißlackierte Wagen bot nicht wirklich genug Platz, um sich umzuziehen, doch Alice kannte ein paar Tricks, um sich den nötigen Spielraum zu verschaffen. Ihre weißen Stiefel, die nach dem Herumlaufen auf der matschigen Wiese alles andere als weiß waren, verstaute sie unter dem Beifahrersitz ihres Autos. Ihre rosa Jacke schmiss sie auf den Rücksitz. Von Lydia bekam sie eine alte Jeans, ein Paar gebrauchte Sportschuhe und einen dicken, grauen Pullover.

      Die Sachen gefielen Alice überhaupt nicht. Die Sportschuhe waren zwar bequem, zeigten aber bereits Verschleißerscheinungen, und in der alten Jeans sah ihr Hintern fett aus. Der hässliche Pullover übertraf jedoch alles. Nicht nur, dass der Wollpullover sie am gesamten Oberkörper kratzte, er verschluckte auch ihre kurvenreiche und durchtrainierte Figur. Sie fühlte sich darin einfach nur plump und dick. All die Stunden auf dem Laufband und das Pilates-Training waren umsonst, stellte sie frustriert fest. Das Outfit ruinierte das äußere Gesamtbild, ihr äußeres Gesamtbild. In dieser Aufmachung würde es schwer werden, Albert zu verführen. Sie gab ein wehmütiges Schluchzen von sich.

      Lydia trug eine enganliegende Jeans, die ihre langen Beine betonte, und ein hautenges T-Shirt. Ihre Freundin war schöner anzusehen als sie selbst, empfand Alice. Es grauste ihr vor den geborgten Kleidungsstücken und entschied sich dafür, Lydia die Sachen wieder zurückzugeben. Geschwind schlüpfte sie in ihr Cocktailkleid mit den Tigerstreifen und in ihre weißen, mit Dreck beschmutzen Stiefel. Statt der rosa Jacke nahm sie ihren schwarz-weiß gestreiften Designermantel, den sie in der letzten Season gekauft hatte. Nach dem erneuten Umziehen fühlte sie sich um einiges wohler.

      »Denkst du, das alles hier …«, Alice deutete auf die Zelte, »… wird morgen vorbei sein?« In Gedanken hatte sie bereits ihren ersten romantischen Urlaub mit Albert geplant.

      »Ich hoffe doch sehr, dass sich die Lage bald wieder beruhigen wird«, meinte ihre Freundin und faltete den grauen Pullover zusammen. »Die Stimmung und Moral der Leute ist seit dem Mirabella-Vorfall ziemlich im Keller.«

      »Mirabella-Vorfall?«, fragte Alice ahnungslos.

      »Lebst du auf dem Mond? Das kleine Mädchen, das fast zu Tode getrampelt wurde.«

      »Ach ja genau, … das Mädchen. War furchtbar die Sache.« Da Alice keine Nachrichten schaute, sondern sich nur für den neuesten Klatsch und Tratsch aus der Filmwelt interessierte, hatte sie nicht die geringste Ahnung, wovon Lydia sprach.

      Sie nahm das rosa Make-up Kästchen aus ihrer Handtasche und schminkte ihre Augenpartien mit einem blauen Lidschatten und einem Kajalstift, der ihre grünen Augen besser zur Geltung brachte. Sie entschied sich dafür, keinen Lippenstift zu benützen, stattdessen verwendete sie einen Vaselinestift, um spröde Lippen zu vermeiden. Die Nacht war zwar warm und feucht, trotzdem wollte sie lieber nichts riskieren. Außerdem wäre es peinlich, wenn sie Albert mit aufgesprungenen Lippen küssen würde. Schlussendlich lockerte sie ihre blond gefärbten Haare noch ein wenig auf.

      Als sie aus dem Auto stieg, deutete Lydia auf die Designertasche. »Ich denke, die solltest du lieber im Wagen lassen, sonst wird’s unpraktisch.« Alice sah die Handtasche an und gab ihrer Freundin recht. Die Leute im Lager machten auf sie keinen vertrauenswürdigen Eindruck, und sie vermutete, dass die Tasche wahrscheinlich mehr gekostet hat, als diese Menschen in einem Monat verdienen würden. Sie nahm die Autoschlüssel, ihr Handy, ein Kondom (nur für alle Fälle), eine Zigarettenpackung und ihr rosa Feuerzeug aus der Handtasche und steckte die Sachen in die Seitentaschen ihres Mantels.

      Nachdem sie das Auto abgeschlossen hatte, spazierten beide Frauen zurück ins Zeltlager. Alice wollte jedoch nicht mit diesen schmutzigen Stiefeln herummarschieren. Es wäre ihr unangenehm gewesen, wenn Albert sie in diesem Zustand gesehen hätte. Lydia erklärte sich bereit, sie zur Wasserversorgungsstelle zu bringen, wo sie ihre Schuhe reinigen konnte.

      Das Zeltlager wirkte auf Alice wie ein Armenviertel, zumindest stellte sie sich so ein Armenviertel vor. Nicht, dass sie je wirklich eines besucht hatte.

      Alice Pollux kam aus einer wohlhabenden Familie. Die Pollux-Dynastie ging aus einem alten Adelsgeschlecht hervor, sogar ein König befand sich im Stammbaum der Familie. Aber das lag schon viele hunderte Jahre zurück. Ihr gefiel jedoch der Gedanke, dass sie einer königlichen Blutlinie abstammte. Sie fühlte sich dadurch wie eine richtige Prinzessin. Natürlich hätte sie das nie laut ausgesprochen, schließlich sollte sie niemand für arrogant und eingebildet halten.

      Aufgrund der langen Geschichte der Pollux-Dynastie bekleideten viele Mitglieder der Familie hohe gesellschaftliche und politische Stellungen. So auch ihr Vater, Richard Pollux, der zum Präsidenten des Landes gewählt wurde. Glücklicherweise gehörte ein gewisses Maß an Anonymität