Endgame. Alexander Winethorn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Winethorn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742764508
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habe ich die Axt, dachte Peter und sah in die Sporttasche. Sie erinnerte ihn an eine Axt, die er in einem Horrorfilm gesehen hatte. Eigentlich wollte er die Kettensäge nehmen, doch das Gerät war viel zu schwer. Die Axt genügte ihm.

      Die beiden Jungs verließen das Armenviertel und betraten das Industrieviertel. Selbst an normalen Tagen war hier nichts mehr los. Seit dem großen Wirtschaftskollaps bestand das Areal nur noch aus verlassenen Fabriken und Lagerhallen.

      Peter blieb abrupt stehen und zupfte am Ärmel seines Kameraden, um ihn auf seine Entdeckung aufmerksam zu machen. Neben ihnen auf der Straße lag ein schwarzer Hund regungslos am Boden.

      Die Burschen gingen auf das tote Tier zu, oder zumindest auf das, was noch davon übrig war. Die Bauchdecke des Hundes war aufgerissen, und es fehlten die Gedärme. Die Rippen des Tieres wirkten abgenagt. Große Bissspuren von anderen Hunden waren deutlich zu erkennen. Die ersten Ratten hatten sich bereits über die Überreste des Kadavers hergemacht.

      »Ist wohl von seinen Kameraden getötet und dann gefressen worden«, stellte Peter fasziniert fest.

      Sie ließen den toten Hund auf der Straße liegen und setzten ihren Weg fort.

      »Glaubst du, es wird zu einem Bürgerkrieg kommen?«, fragte A2013. »Ich meine, was A1 alles gesagt hat, klang es fast so danach.«

      »Wie soll ich das wissen?«, erwiderte Peter und zerrte an der Sporttasche, die ihm ständig zu entgleiten versuchte. »Aber schlecht wäre es nicht. Die Regierung ist so verlogen, da hilft nichts anderes mehr als ein totaler Krieg.«

      Die Jungs überquerten einen verwilderten Parkplatz, hinter dem sich das Geheimversteck des Sirius-Kollektivs befand – die ehemalige Autofabrik der Stadt.

      Die Autofabrik war einst das Wirtschaftswunder des Landes und international anerkannt. Vor einigen Jahren wurde sie jedoch geschlossen, und Tausende Arbeiter verloren dabei ihre Jobs. Es war der Anfang vom Ende für das Land. Heute war die Fabrik ein beliebter Ort, um Dinge loszuwerden, für die man normalerweise Entsorgungsgeld hätte zahlen müssen – alte Kühlschränke, defekte Waschmaschinen, beschädigte Möbel, kaputte Fahrräder und kleine Elektrogeräte wie Kaffeemaschinen und Toaster. Das Gebäude selbst sah aus, als hätte es einen Bombenangriff überstanden. Die großen Fenster waren eingeschlagen, Teile der Wände bröckelten oder waren mit Graffitis besprüht, und überall roch es stark nach altem Öl und rostigem Metall.

      Zwei in Schwarz gekleidete Männer hielten vor dem Eingangstor der Fabrik Wache.

      »Wie lauten eure Identifikationsnummern?«, fragte einer der Männer.

      »A76667«, antwortete Peter gehorsam.

      »A2013«, sagte sein Kamerad.

      Der zweite Mann blickte auf eine Liste und nickte den Neuankömmlingen zu. »Ihr dürft passieren.«

      Das große Eingangstor war einen Spalt weit geöffnet, sodass die beiden Jungs hindurchschlüpfen konnten.

      »A76667, weißt du eigentlich, was das ›A‹ vor unserer Identifikationsnummer bedeutet?«

      »Ich glaube, es steht für Anarchist«, antwortete Peter.

      »Bist du dir sicher?«, hakte A2013 nach.

      »Nein, sicher bin ich mir nicht, aber in deinem Fall könnte das ›A‹ auch für Ahnungsloser oder Armleuchter stehen.«

      A2013 schnaufte verärgert und wollte gerade antworten, als er sah, wie A1 auf sie zukam.

      A1 war der Gründer und Anführer des Sirius-Kollektivs. Peter schätzte den Mann um die fünfzig herum. A1 trug, wie alle Mitglieder des Kollektivs, schwarze Armeebekleidung. Die Narbe, die über seinen ganzen Kopf verlief, gehörte zum hervorstechendsten Merkmal ihres Anführers. Den Gerüchten zufolge hatte ihm ein Hund die gesamte Kopfhaut abgebissen. Nachdem ihm die Haut wieder angenäht worden war, hatte A1 das Tier aufgesucht, es kastriert und dem Vierbeiner seine eigenen Hoden zu fressen gegeben. Danach hatte er das Vieh getötet. Peter zweifelte jedoch am Wahrheitsgehalt der Geschichte.

      A1 begutachtete die gestohlenen Werkzeuge, die sich in der Sporttasche befanden. »Das habt ihr gut gemacht, Kameraden. Mit dem Equipment können wir in die nächste Phase übergehen. Wie lauten eure Identifikationsnummern?«

      »Mein Name ist Peter«, antwortete Peter reflexartig und bereute es sofort.

      »Ich habe dich nicht nach deinem Namen gefragt, sondern nach deiner Nummer! Eure Namen interessieren mich nicht!«, stieß A1 wütend hervor. »Wir sind ein Kollektiv! Keine Individuen. Hättest du den Überfall alleine geschafft?«

      »Nein«, sagte Peter. »Alleine hätte ich es nicht geschafft.«

      »Du siehst also, im Kollektiv sind wir stark. Wer braucht da noch Namen? Also, wie lauten eure Nummern?«

      »A76667«, sagte Peter.

      »A2013«, sagte sein Kamerad.

      A1 nickte zustimmend.

      Hunderte Mitglieder des Sirius-Kollektivs hatten sich in der großen Halle versammelt und warteten ungeduldig auf ihren Anführer. An den Wänden der Fabrik wurden schwarze Fahnen, auf denen grinsende Totenköpfe zu sehen waren, aufgehängt.

      A1 kletterte auf das Dach eines demolierten Autos und rief mit seiner rauen Stimme in die Menge: »Das Kollektiv bedeutet Ordnung. Das Individuum bedeutet Chaos.«

      Die Anhänger des Sirius-Kollektivs, einschließlich Peter und A2013, wiederholten gehorsam seine Worte: »Das Kollektiv bedeutet Ordnung. Das Individuum bedeutet Chaos.«

      »Gemeinsam sind wir stark. Alleine sind wir schwach«, ergänzte A1.

      »Gemeinsam sind wir stark. Alleine sind wir schwach«, brüllten seine Anhänger fanatisch durch die Halle der Fabrik.

      A1 grinste zufrieden. »Jetzt können wir beginnen!«

      Kapitel 2: Regeln

      Wie befohlen, versammelten sich die in Zivil gekleideten Polizisten im Klassenzimmer 8B.

      Die Klasse befand sich im obersten Stock der Schule, von wo aus man auf die ganze Innenstadt blicken konnte. In der klaren Sommernacht wirkte die Stadt überraschend ruhig. Es gab weder Brände noch sonstig irgendwelche Anzeichen eines Aufstandes. Aber die Nacht hatte gerade erst begonnen.

      Das Klassenzimmer selbst war grau und farblos. Auf der grünen Tafel wurde mit weißer Kreide ein Dreieck gekritzelt. Ein Überbleibsel aus einer vergangenen Unterrichtsstunde. Wahrscheinlich hatte man die Schule in großer Eile evakuiert und darauf vergessen, die Tafel zu reinigen, oder ein Schüler war einfach nur zu faul dafür. An einer Wand hing eine Weltkarte, gleich daneben wurden einige Zettel angebracht, die kommende Prüfungen ankündigten.

      Adam fand in der ersten Reihe einen freien Platz. Zwei Sitze neben ihm saß der dürre Kollege mit der dicken Hornbrille, dem er vorhin im Schulhof geholfen hatte. Der junge Mann nickte ihm dankend zu.

      In den hinteren Reihen befand sich der Kollege mit den blonden Haaren, mit dem Adam die handgreifliche Auseinandersetzung hatte.

      Viele der Polizisten hatten Probleme, es sich auf den niedrigen und etwas zu kleinen Sesseln bequem zu machen. Die Stühle waren für Kinder und Jugendliche gedacht, nicht für Erwachsene. Auch Adam rutschte hin und her und versuchte, sich an den spärlichen Platz zu gewöhnen. Er lachte innerlich über den seltsamen Anblick der ausgebildeten und kampferprobten Männer und Frauen der Polizei, die wieder die Schulbank drücken mussten. Manche von ihnen erkannten ebenfalls die Absurdität der Situation und scherzten über fehlende Hausaufgaben und mangelnde Prüfungsvorbereitungen. Adam schien also nicht der Einzige gewesen zu sein, dem solche Gedanken durch den Kopf gingen.

      Jetzt fehlt nur noch der Lehrer, dachte er zu sich, als gerade ein Polizeihauptmann das Klassenzimmer betrat und ohne Umwege zum Lehrerschreibtisch marschierte. Der Hauptmann musterte die Beamten eindringlich.

      Adams