Infiziert : Die ersten zehn Tage. Felix Fehder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Fehder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742793355
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sich torkelnd auf ihn zu. Sie wendete die Augen nicht vom ihm ab, während sie versuchte, die Treppe zu erklimmen. Die Koordination ihrer Glieder machte ihr auf den Stufen sichtlich Probleme. Sie sank auf alle Viere, und krabbelnd ging es schneller voran. Einer der anderen Infizierten tat es ihr nach, der Dritte entschied sich für die leichtere Variante und widmete sich wieder Papas Bein.

      Mama hatte Ferdinand fast erreicht, an ihrem Arm konnte er deutlich die Bisswunden erkennen. Und nun sah er auch etwas in ihren Augen: Hunger.

      Hinter ihm ertönte ein schriller Schrei. Lea! Ferdinand wurde aus seiner Trance gerissen, wirbelte herum, rannte den Gang zurück und drückte Lea die Hand aufs Gesicht. Sie darf sie nicht so sehen. Er drängte sie zurück ins Bad und verschloss die Tür.

      „Was ist los?“, winselte Lea.

      „Mama und Papa … sie … die Infizierten …“, stammelte Ferdinand, kam aber nicht weiter.

      Lea sah ihn lange an und nickte. In ihrem kleinen Kopf wurde der Gedanke installiert, dass es ihre Eltern nicht mehr gab. Sie sprach kein Wort, fing lautlos zu weinen an und drückte sich an ihren Bruder. Auch Ferdinand weinte jetzt und so standen die beiden umschlungen auf der Badematte und ließen ihren Tränen freien Lauf.

      Bis es an der Tür klopfte. Kein gezieltes, menschliches Klopfen, sondern jemand rummste einfach gegen die Tür. Ferdinand löste sich aus der Umarmung und spähte durchs Schlüsselloch. Seine infizierte Mama stand direkt hinter der Tür und kratzte wie wild am Rahmen. Immer wieder fuhren ihre Nägel über das Holz und hinterließen blutige, tiefe Kratzspuren. Der andere Infizierte holte gerade zum nächsten Schlag gegen die Tür aus. Ferdinand sah zum Fenster und überlegte: Zum Springen war es eigentlich zu hoch, vor allem für Lea. Sie würden sich sicher die Beine brechen. Aber blieb ihnen ein anderer Ausweg?

      Lea schien das alles nicht mehr zu kümmern. Sie stand einfach da und weinte vor sich hin, während die Tür unter den Schlägen immer lauter krachte und knarrte.

       4: KRANKENHAUS BERGMANNSHEIL, NOTAUFNAHME, DONNERSTAG, 30.07.2013, 21:23 UHR

      Dr. Jan Schneider hatte seit fast vierzig Stunden nicht mehr geschlafen und der Patientenandrang in der Notaufnahme wollte kein Ende nehmen. Seit die Behörden vor der Infektion gewarnt hatten, hielten sich immer mehr Leute für infiziert. Jan hatte Hunderte untersucht, vorspielend, dass er wisse, um was für eine Infektion es sich bei dem Unglück handele und dass er sie diagnostizieren könne. Das war völliger Blödsinn, sie wussten überhaupt nicht, mit was für einer Krankheit sie es zu tun hatten.

      Bisher war dieses Wissen aber auch nicht nötig. Jan war sicher, dass keiner seiner Patienten wirklich infiziert war. Die Leute hatten einfach die üblichen Wehwehchen – nur hielt jetzt jeder Fieber oder Kopfschmerzen für Anzeichen der Infektion.

      Jan war genervt. Das alles stahl ihm die Zeit für seine „richtigen“ Patienten. Er seufzte und drückte den Knopf für die Gegensprechanlage.

      „Der nächste bitte.“

      Eine blonde Frau kam herein, augenscheinlich hochschwanger.

      „Mein Name ist Jan Schneider, bitte setzen Sie sich.“

      „Lara Mühler – mit „h“.“

      „Also gut, Frau Mühler.“ Jan nahm ein Stethoskop und horchte die Frau ab. Dann sah er sie an.

      „Wo brennt‘s denn?“

      „Ich – es ist mir etwas peinlich“, stammelte sie.

      „Keine Sorge.“

      „Also … ich … ich habe Angst.“

      Jan sah sie fragend an.

      „Weil … also … auf den Straßen ist die Hölle los … mein Freund … er bekam Panik … ist verschwunden … ich … und jetzt …“ Sie brach in Tränen aus.

      Jan reichte ihr sehr klischeehaft ein Taschentuch und legte ihr die Hand auf die Schulter.

      „Beruhigen Sie sich – wird ja schon alles gut.“

      Sie schniefte.

      „Und nun ist er also weg, ihr Freund? Was ist mit Ihren Eltern? Familie?“

      Sie schüttelte den Kopf. Jan fragte nicht weiter nach. Wenn sie jetzt anfing, ihm ihre Familienprobleme zu erklären, verlor er die Zeit für dreimal „Nein, Sie sind nicht infiziert, das ist nur eine Grippe“.

      Sie war jetzt wieder etwas gefasster.

      „Wann soll es denn soweit sein?“

      „Könnte jeden Moment so weit sein – verstehen Sie, ich will nicht allein sein damit. Wegen der Infektion und allem. Ich mache mir Sorgen. Glauben Sie, mein Baby könnte sich anstecken?“

      „Nein, glaube ich nicht, keine Sorge – Moment.“ Jan sah im Computer nach und wundersamer Weise war auf der Geburtenstation tatsächlich ein Bett frei.

      „Ok, also Sie können hier bleiben, bis das Baby kommt, wenn Sie wollen. Auf der Gynäkologie wird man Sie nochmal gründlich untersuchen, aber das ist nur Routine. Mit dem Baby ist sicher alles in Ordnung.“

      Die Frau nickte hektisch. Jan drückte einen Knopf und eine Schwester erschien.

      „Bringen Sie die Dame bitte auf die Gynäkologie. Zimmer 17 B ist frei.“

      „Ist gut“, sagte die Schwester, „dann kommen Sie mal mit.“

      Die Frau stand auf und folgte der Schwester nach draußen. Jan steckte den Kopf durch die Tür in den Flur und rief: „Der Nächste bitte.“

      Es gab ein wenig Gedränge, dann schoben sich zwei Polizisten durch die Menge. Die Frau der beiden trug ihren Kollegen mehr, als dass dieser selber ging, bahnte sich aber entschlossen ihren Weg ins Sprechzimmer, ständig versichernd, dass ihr Kollege ein Notfall sei.

      Jan deutete auf die Liege und sie legte den Verletzten keuchend ab. Er sah übel aus. Völlig verschwitzt, so weiß wie die Wand und sein linkes Hosenbein war voller Blut.

      „Ich bin Dr. Schneider, können Sie mich verstehen?“

      Der Blick des Mannes flackerte unruhig, aber er nickte.

      „Was ist passiert?“

      „Wir haben die Infizierten bewacht – er wurde gebissen“, antwortete die Polizistin.

      Jan starrte sie an. „Gebissen?“

      Sie nickte.

      „Dann – dann ist es also wahr?“

      „Ich weiß nichts Genaues, aber Sie müssen ihm helfen, sofort!“

      „Schon dabei.“ Er kramte in einer Schublade nach einer Schere. „Wie heißen Sie?“

      „Martina Kraft – das ist Michael Ascher.“

      „Angenehm“, grinste der Verwundete und wurde mit einem Hustenanfall bestraft.

      Jan nahm sich das Bein vor. „Ich schneide ihre Hose auf, um mir die Wunde anzusehen.“

      Vorsichtig glitt er mit der Schere durch den Stoff. Es war tatsächlich eine Bisswunde. Menschliches Gebiss. Drum herum hatte sich eine schwarze Färbung ausgebreitet. Die Stelle roch nach faulendem Fleisch und sonderte ein dunkles Sekret ab. Martina Kraft drehte sich angewidert zur Seite. Jan säuberte die Wunde und zog dann eine Spritze auf. Er musste etwas gegen diese Fäulnis tun.

      „Was geben Sie ihm?“

      „Kortison und ein Antibiotikum.“

      Er beugte sich über das Bein. Sein Patient starrte die Spritze an.

      „Das wird jetzt etwas unangenehm.“

      Er verabreichte die Injektion. Der Polizist sah zur Seite.

      „Fertig.“

      Der Polizist fixierte sein Bein. „Ich habe nichts