Infiziert : Die ersten zehn Tage. Felix Fehder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Fehder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742793355
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zeigten keinerlei Reaktion. Alles, was sie kannten oder wussten, war, dass hinter diesem Auto frisches Fleisch auf sie wartete. Diese Krankheit ist nicht, was wir dachten. Martina legte an und schoss einem der Vorderen ins Bein. Die Kugel ging glatt hindurch, der Infizierte taumelte und fiel hin. Kein Schrei, kein gar nichts. Der Angeschossene richtete sich mühsam wieder auf und setzte seinen Kurs auf das Auto fort. Michael sah zu ihr rüber, Panik im Blick.

      Die Gruppe hatte die Motorhaube nun fast erreicht.

      „SCHIESS“, schrie Martina.

      Und Michael schoss. Wie ein Wahnsinniger in die näher kommende Menge. Martina hob ebenfalls wieder die Waffe und zielte dem Nächstbesten aufs Herz. Sie drückte ab. Treffer. Der Infizierte brach rückwärts zusammen. Geht doch. Sie legte auf den Nächsten an, traf aber nur den Bauch. Ihr Ziel lief weiter. Sie hatte den Finger erneut auf dem Abzug, als sie ihr erstes Ziel wieder in der Menge sah. An der Stelle des Herzens war ein riesiges Loch. Vor Angst bebend hob sie die Waffe ein Stück höher. Sie atmete tief ein – und ließ die Luft in dem Moment heraus, in dem sie den Abzug durchzog. Der Kopf ihres Ziel zerbarst in einer Wolke aus Blut, Knochen und Matsch. Sie legte auf einen Weiteren an und wiederholte die Prozedur mit demselben unappetitlichen Resultat. Keins ihrer Opfer regte sich noch.

      „ZIEL AUF DIE KÖPFE!“, rief sie Michael zu.

      Die Infizierten auf seiner Seite hatten nun das Auto erreicht. Michael visierte einen Kopf an, drückte ab und war im nächsten Moment voller Blut und Hirnmasse. Er legte auf den nächsten an, drückte ab, doch seine Waffe klickte nur hohl.

      „KEINE MUNITION MEHR!“ Er zog seinen Schlagstock.

      Noch ein paar Schuss und Martina würde dasselbe Problem haben. Es sind einfach zu viele.

      „Wir müssen weg!“

      Michael befand sich im Nahkampf mit einem Infizierten, der seinen Schlagstock gepackt hatte und nach seinem Gesicht schnappte. Martina versetzte dem Infizierten einen Kopfschuss und Michael war frei. Sofort kam ein Neuer ums Auto herum und bekam die Wucht seines Schlagstocks zu spüren. Er brach zusammen. Michael stellte sich breitbeinig hin und wartete auf den Nächsten.

      „Komm jetzt!“, brüllte Martina.

      Sie riss die Autotür auf und zog Michael am Arm. Er befreite sich und hieb seinen Stock auf einen Schädel.

      „MICHAEL!“

      Er wandte sich um, blickte in Richtung Tor, wo immer mehr Infizierte herkamen und sah wohl ein, dass es sinnlos war. Martina kletterte ins Auto und auf den Beifahrersitz, Michael folgte, war schon halb im Auto, als er plötzlich aufschrie. Eine Infizierte hing an seinem Bein, die Zähne in seinen Unterschenkel versenkt. Martina schoss ihr in den Kopf, griff über Michael hinweg und zog die Autotür zu.

      „Reiß dich zusammen!“ Sie schüttelte ihn.

      Michael hörte auf zu schreien und sah sie an.

      „Rückwärts, los“, kommandierte sie.

      Er startete, legte den Gang ein und gab endlich Gas. Ein paar Infizierte krallten sich am Wagen fest, konnten sich aber nicht halten. Michael brachte sie auf Abstand zu der Meute, wendete dann und steuerte den Wagen in Richtung Stadt. Im Rückspiegel sah die Szene vor dem Tor aus wie ein Volksauflauf. Michael war voller Blut und Knochensplitter. Sein Bein sah nicht gut aus und er schwitzte stark.

      „Lass mich fahren“, sagte Martina. „Du musst in ein Krankenhaus.“

       3: HAUS VON FAMILIE BORN, NORDSTADT, DONNERSTAG, 30.07.2013, 19:55 UHR

      Ferdinand Born starrte zwischen zwei Bissen auf den Fernseher – wie jeden Abend. Früher hasste Mama das, beim Essen wurde bei Familie Born nie ferngesehen. Nun lief der Fernseher sowieso den ganzen Tag und blieb beim Abendessen einfach an. Mama setzte sich mit dem Rücken zum Durchgang zum Wohnzimmer an den Esstisch, Papa, Ferdinand und seine kleine Schwester Lea ihr gegenüber, sodass sie freie Sicht auf den Bildschirm hatten. Mama gab zwar ihr Bestes, um sich zu verstellen, aber Ferdinand wusste, dass sie Angst hatte. Ständig kam sie zu den Geschwistern nach oben, um nach ihnen zu sehen, immer unter irgendeinem Vorwand. Mal wollte sie wissen, was sie essen wollten, mal brachte sie ihnen geschnittenes Obst nach oben oder sagte, sie müsse dringend mal ihre Betten abziehen. Wenn ihre Frage beantwortet, das Obst dankend angenommen oder die Betten gemacht waren, blieb sie beim Gehen stets in der Tür stehen, betrachtete mit verklärtem Gesicht ihre Kinder und vergewisserte sich, ob sie eigentlich wüssten, wie lieb sie sie habe. Genervt versicherten die Geschwister ihr, dass sie davon nach den ganzen Beteuerungen eine ganz gute Vorstellung hätten und Mama verließ seufzend das Zimmer.

      „Sie haben gesagt, dass es mehr geworden sind“, berichtete Ferdinand seiner Familie. „Sie haben das Industriegebiet abgeriegelt.“ Ferdinand wusste alles über den Verlauf der Katastrophe. Anfangs hatte ihn das Alles nicht groß gekümmert: In irgendeiner Fabrik war irgendein Unglück passiert. Sowas hörte man dauernd. Als dann alle Schulen, Behörden und Geschäfte geschlossen wurden, und alle aufgefordert wurden, ihre Häuser nicht zu verlassen, nahm plötzlich jeder die Sache sehr ernst. Ferdinand verfolgte alles am Bildschirm. Die Medien stürzten sich erneut auf den Unfall, neues Material darin findend, dass Auslöser und Folgen des Unglücks noch immer vom Chemiekonzern, der die Fabrik betrieb, verschleiert wurden. Eigentlich wusste niemand so genau, was eigentlich passiert war. Nur, dass es gefährlich war, sich auf die Straße zu begeben. Der Konzern betrieb Werke in ganz Europa und es wurden an mehreren Stellen infizierte Mitarbeiter gemeldet, manche von ihnen befanden sich sogar auf freiem Fuß und versteckten sich, um der Quarantäne zu entgehen. Ferdinand sah aus dem Fenster, wo nun die Straßenlaternen angingen. Mama wechselte das Thema und versuchte Lea zu zwingen, ihr Gemüse zu essen.

      „So lass sie doch, Katharina – wenn sie es doch nicht mag“, beschwichtigte Papa.

      „Es ist wichtig, dass du das ist.“ Mama blieb hart, wie immer. Am Ende würde Lea ihren Brokkoli essen.

      Vor dem Fenster flackerte eine Laterne und ging dann ganz aus. Auf der Straße war es gespenstisch still. Aus dem Fernseher ertönte der vertraute Jingle der Abendnachrichten, gefolgt von dem Hinweis: „Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Tagesschau.“

      „Ruhe, jetzt“, verlangte Papa.

      „Infektionsgefahr. Die Behörden versichern alles zu tun, um die Lage schnellstmöglich wieder unter Kontrolle zu bekommen“, erzählte der Moderator im Fernsehen.

      Alle starrten zum Fernseher.

      „ ... Das Seuchengebiet wurde nach der letzten offiziellen Stellungnahme um die nördlichen Außenbezirke erweitert. … Alle Bürger werden dringend gebeten, ihre Häuser weiter nicht zu verlassen …“

      „Nördliche Außenbezirke – es kommt auf uns zu“, flüsterte Mama.

      „Psst,“ machte Vater.

      „ … In anderen Städten des Landes wurden heute in frühen Abendstunden Vorkommnisse gemeldet, die möglicherweise in Zusammenhang mit infizierten Mitarbeitern des Konzerns stehen. Ein Junge soll auf einem Spielplatz in Frankfurt einem anderen Kind in den Hals gebissen haben. In der Nähe von Hamburg haben Wanderer ein vollständiges, menschliches Skelett auf einem Waldweg gefunden. „Niemand sollte nun in Panik geraten, wir haben die Situation unter Kontrolle und gehen jeder Spur nach“, äußerte sich der Leiter der Sondereinheit „Menschenhunger“ Christopher Steiner.“

      Papa schlug mit Wucht auf den Tisch. Lea und Ferdinand zuckten zusammen.

      „Das darf doch nicht wahr sein!“

      „Was denn?“, erkundigte sich Ferdinand.

      „Schon gut.“ Sein Vater winkte ab. „Nicht deine Sache. Für euch ist es nun Zeit fürs Bett.“

      „Kein Nachtisch?“ Lea zog ein enttäuschtes Gesicht.

      „Ich konnte heute leider nicht einkaufen, mein Schatz, aber vielleicht liest Dein Bruder Dir ja noch was vor.“

      Lea blickte