Unbewältigte Vergangenheit. Henry Kahesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Kahesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738007732
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er gleich dabei haben.

      „Das war es für heute meine Herren. Im Notfall sind wir ja gegenseitig in Kontakt.“ Beendete der Kriminaloberrat die kurze Sitzung.

      Degoth hatte allerdings noch einen weiteren Gedanken. Er überzeugte schließlich Scholtysek mit ihm nach Ralswiek zu fahren. Das allerdings war dem KOR nicht einleuchtend und er sagte schnippisch: „warum gerade Ralswiek?“

      Schnell erfasste Degoth die Situation und erläuterte seine Überlegungen.

      „Dort ist doch das Freilichtmuseum. Alljährlich finden die berühmten Störtebeker – Festspiele statt?“

      „Mensch, na klar“, erwiderte der Kriminaloberrat, noch bevor Degoth weiterreden konnte. „Wer weiß, eventuell finden wir dort was Auffälliges. Wenn ich mich recht erinnere laufen doch gerade die ersten Vorstellungen. Meine Frau und ich werden uns eh eine davon anschauen. Nach den Erzählungen von Christmann, bin ich nun eine Störtebeker – Experte“, grinste er.

      „Bei dieser Gelegenheit kann ich mir einen Eindruck der Örtlichkeiten verschaffen. Wie wäre es, sie kommen mit uns Scholtysek? Oder waren sie in früheren Jahren bereits unter den Zuschauern?“

      „Das war ich leider noch nie, muss ich zu meiner Schande gestehen.“ Er schaute melancholisch

      drein. Das allerdings hing auch damit zusammen, dass die Ehe mit seiner Frau Renate kriselte. Und dann sagte er: „Eigentlich ne gute Idee. Also danke für die Einladung, gehe mit. Aber halt, nochmals einen Gedankensprung zurück. Warum glauben sie gerade dort Ansätze zu finden?“

      „Keine Ahnung! Das ist eben mein Bauchgefühl. Ich könnte mir nämlich gut vorstellen, dass dort Männer im Ensemble mitwirken, die auch den Namen Störtebeker tragen. Oder zumindest Nachfahren von ihm sind. So abwegig ist das doch nicht. Oder? Ich spinne es weiter: Sie greifen womöglich bewusst in die Geschichte ein.“

      Scholtysek musste, als er diese Vermutung hörte, laut lachen. Trug es aber mit Humor, dass Degoth solche Ideen zum Besten gab. Er ging schließlich darauf ein, dass es doch klar sei, dass bei denSpielen auch grausame Szenen dargestellt würden.

      „Das ist, ohne Frage, einfach die Geschichte“, sagte er nun ernst, mit betonter Sachlichkeit. „Obwohl“, grübelte er weiter, „das könnte doch etwas haben. Plötzlich war er angetan von den Gedankengängen Degoths.

      „Ja, lassen sie uns dies tun, unbedingt. Klingt zwar auf den ersten Eindruck verrückt, zeigt aber auch Möglichkeiten auf. Also, ich bin dabei; machen wir es gemeinsam.“

      Scholtysek stürmte mit großem Elan die Treppe nach oben in sein Büro. Er war guter Dinge. Degoth, der Hobbykriminologe, ging unterdessen aus dem Präsidium. Unten wartete bereits Chantal auf ihn. Kurzerhand teilte er ihr mit, dass er mit dem Kriminaloberrat nach Ralswiek fahren wolle. Diesmal betonte er das Wort Kriminaloberrat besonders süffisant. Das fiel Chantal zwar auf, sie ging allerdings nicht darauf ein. KOR Scholtysek fand sie einfach nett und besonders höflich. Ob er wohl verheiratet ist, der gutaussehende Mann, ging ihr durch den Kopf?

      „Es ist eine wunderschöne Gegend“, erweiterte Michel seine Einladung. Die allerdings nicht ohne Eigennutz war. „Komm, gehe bitte mit. Gib deinem Herz einen Stoß! Der Blick auf den Großen Jasmunder Bodden, die Freilichtbühne, das Schloss. Und ganz in der Nähe auch noch die so berühmte Schwedenkirche. Also, da hast du herrlichen Zeitvertreib. Wenn ich mit dem KOR soweit bin, ich meine dem Oberrat“, grinste er, „schauen wir einige Anlagen gemeinsam an. Wie wäre es, du würdest mit unserem Wagen fahren? Dann sind wir später flexibel. Wäre prima.“

      „Du hast mich überzeugt, ja ich komme mit“, gab sie nach einigen Sekunden Bedenkzeit freudig zur Antwort. Degoth umarmte sie innig.

      Vom Fenster aus dem ersten Stock des Polizeipräsidiums beobachtete Scholtysek, der noch telefonierte, die Szene. Ein zärtliches Lächeln trat auf sein Gesicht, und gleichzeitig stieg ein gewisser Neid in ihm hoch. „Ach, was wäre es schön, ich hätte noch eine so nette Verbindung“, ging es ihm dabei durch den Sinn! Denn mit seiner Frau ging schon seit Jahren nicht mehr viel. Nein, es lag nicht nur an ihr, auch er hatte seine unverbesserlichen Eigenarten. Wobei es sicher auch an dem Polizeidienst liegt, machte er sich mal wieder vor. Er ordnete seine Akten auf dem großen, schweren und rustikalen Schreibtisch, der noch ein Stück aus den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg war.

      Handarbeit vom Feinsten, wie man sie heute kaum noch bekommt. Da seine Sekretärin anwesend war, nahm er die Tür durch das Sekretariat, was sonst nicht der Fall war. Als er sie öffnete, strahlte sie ihn, wie stets, an. In Gedanken konnte er sich gut vorstellen, dass sie seine Frau wäre. Als Ehepaar im fortgeschrittenen Alter, dachte er, und schmunzelte vor sich hin. Eigentlich fehlte nur noch der Sex! Ja, er mochte sie sehr, und insgeheim war Ruth Ofenloch in ihren Chef verliebt. Das allerdings ahnte er nicht.

      In der Nähe der Wissower Klinken, im Naturpark Jasmund, war es mucks mäuschenstill. Gerade traf Kriminalhauptkommissar Heller mit seinen Leuten ein. Ohne Umschweife begannen sie, wie zuvor abgesprochen, das Wäldchen und die Wiesen zu durchstöbern. Eine Fläche, die bis hinunter an den Kreidefelsen reichte. Sie bewegten sich auf den kleinen Hügel zu. Auf halbem Weg, sie befanden sich etwa zweihundert Meter entfernt, entdeckten sie ein Holzhaus. Es sah schmuck aus, zumindest beim ersten Eindruck und aus dieser Entfernung.

      „Durchaus kann es ein Ferienhaus sein, das ständig gepflegt wird.“, sagte er in die Runde. Dann packte sie ihre Neugierde. Und das war ja schließlich auch ihr eigentlicher Job. D. h. recherchieren, überwachen, kontrollieren, analysieren, festnehmen und dann, wenn alles in der Reihenfolge erfolgreich ablief, vor der Fahrt in die Zelle, natürlich sowieso abtasten.

      Das Schmunzeln von Kriminalhauptkommissar Heller hielt sich eine ganze Weile auf seinem Gesicht. Er musste über seine eigenen Gedanken grinsen. Trotzdem hielt ihn das nicht davon ab, die Aufgabe mit dem nötigen Ernst weiterzuverfolgen. Gerade näherten sie sich dem Blockhaus von drei Seiten. Das war, sie wussten es aus ihrer täglichen Polizeiarbeit, unbedingt erforderlich. Mit jeweils zwei Mann robbten sie nun darauf zu. Eine Blöße wollten sie sich in keinem Falle geben und womöglich in den Hinterhalt geraten. Ihre Funkgeräte hielten sie griffbereit, damit eine gegenseitige Hilfe gewährleistet war. Jetzt schritten sie zur Tat! Heller nahm sich mit dem Kollegen die Eingangsseite vor. Die anderen kamen jeweils über die linke und rechte Flanke. Zu sehen war nichts, keine Menschenseele. Vor der Tür stand lediglich ein kleiner Korb mit Gemüse und Obst. Der Kollege warf einen Blick, ganz vorsichtig, durch das kleine Fenster inmitten der Tür. Doch auch von dort war nichts zu erspähen. Nichts, aber auch absolut nichts, schien hier oben, zumindest im Augenblick, abzulaufen. Jetzt zeigte sich der Vorteil, dass sie in Zivil unterwegs waren. Spontan konnte, wer auch immer sie beobachten sollte, niemanden erkennen, dass die Polizei am Werke war. Insofern waren sie beruhigt! Die am Haus angelehnten Bänke luden sie zur Zwangspause ein. Sie setzten sich drauf, der Sonne entgegen. Die strahlte, bei blauen Himmel, was das Zeug hielt; ließ beinahe eine Urlaubsstimmung aufkommen.

      „Männer“, sagte Heller ruhig und sachlich zum Auftakt“, hier warten wir erst mal ne Weile. Es war der erste Moment, seit sie hier recherchierten, bei der die Gelegenheit bestand ein kleines Gespräch zu führen, ohne fremde Mithörer.

      „Wer weiß, ob nicht von der Bucht her etwas passiert. Es lagen zwar keine Boote da. Trotzdem, also, wenn der Kerl hier wohnen sollte, dann muss er ja mal auftauchen“.

      Sie nickten zustimmend, mit ihrem verhaltenen Lächeln in ihren Gesichtszügen. Dann beorderte er zwei Mann sich am Hügel, mit Blick auf das Wasser, auf die Lauer zu legen.

      „Direkt an der Uferböschung“, steuerte er nach, als die Kollegen sich schon auf dem Weg dorthin befanden. Etwa fünf Minuten, seit die Beobachtung begann, waren vergangen, als aus der Ferne ein Motorengeräusch an ihre Ohren drang.

      „Also, wenn das wirklich Verbrecher wären, kann ich mir schwerlich vorstellen, dass die mit wehenden Fahne auf uns zusteuern würden“, gab einer aus der Runde zum Besten. Sicher hatte er recht. Wer Dreck am Stecken hat, wird nicht noch zusätzlich lauthals auf sich aufmerksam machen. Das konnte sich in der Tat keiner vorstellen. Einer