Unbewältigte Vergangenheit. Henry Kahesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Kahesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738007732
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Kopf, als würde er eine devote Haltung bevorzugen.

      Wenige Augenblicke später kam Scholtysek die Treppe herunter geschlendert. Seine überaus langen Beine konnten wohl nicht anders. Degoth stieg zu ihm in den Wagen, einem großen, komfortablen BMW.

      „Meine Frau fährt hinterher, wir wollen später noch gemeinsam einige Sehenswürdigkeiten besichtigen!“, gab Degoth zum Ausdruck.

      „Prima“, hörte er ihn ausrufen. „Ist wirklich ein herrliches Fleckchen. Bin sicher, sie werden viel Freude haben.“

      Die kurze Unterhaltung war zwar nicht ergiebig, aber sie blieben im Gespräch. Scholtysek war noch immer erstaunt über seine eigene Vorstellung, dass er mit Ruth Ofenloch wie ein älteres Ehepaar leben würde. Dabei, zugegeben, verbrachte er tatsächlich die meiste Zeit im Büro, also mit ihr! So abwegig war das tatsächlich nicht, wenn auch im Moment weit hergeholt. Was wollte sie gerade mit ihm, wo er doch mitunter ganz schön unwirsch sein konnte?

      Nach einer knappen halben Stunde trafen sie in Ralswiek ein. Eigentlich könnte man es eher als Dörfchen bezeichnen. Aber für Rügens Verhältnisse war es schon ein wunderbares kleines Städtchen. Am Jasmunder Bodden gelegen, direkt malerisch. Den BMW parkten sie auf dem großen Parkplatz nahe dem großen Bodden. Chantal, die mit dem Sportwagen dahinter fuhr, stand bereits neben ihnen. Schon beim Aussteigen breitete sich die herrliche Naturbühne vor ihnen aus. Ralswiek bot einen prachtvollen Anblick. Ein Teil der Naturbühne liegt im Wald, so als wäre sie dort bewusst versteckt. Der andere, der von der Bucht her bereits sichtbar ist, grenzt unmittelbar an den „Großen Jasmunder Bodden.“ Dabei erweckt es den Eindruck, ein verwunschenes Dörfchen aus vergangenen Zeiten zu sein. Degoth war beeindruckt, er musste was sagen: „Ein wahrhaft idyllisches Fleckchen“, betonte er. Scholtysek in Gedanken versunken, nickte bloß stumm! Er war jetzt, nachdem er sich zuvor mit privaten Gefühlen beschäftigte, wieder beim Fall. Nach wenigen Worten waren sie sich einig, dass sie zunächst den Direktor der Freilichtbühne aufsuchen wollten. Für diese Zeit machte sich Chantal auf den Weg am Ufer des Bodden entlang.

      Michel Degoth ging mit Kriminaloberrat Scholtysek den Weg hoch zur Verwaltung. Ein Wegweiser zur Anlage machte es ihnen einfach. Ein hübsches Haus, an dessen rechter Seite der Eingangstür ein Schild, aus Holz geschnitzt, angebracht war, stand vor ihnen. Mit großen Lettern in tiefschwarzer Schrift, stand darauf: „Verwaltung der Freilichtbühne Ralswiek. „Mit einem Pfeil war darunter markiert: „Hier geht es zum Intendanten und dem Theaterdirektor.“

      Scholtysek drückte auf die Klingel. Nur wenige Sekunden danach öffnete eine freundliche Dame die Eingangstür. Überrascht war sie ganz und gar nicht. Das war wohl Alltag, dass fremde Leute an der Tür läuteten.

      „Was kann ich für sie tun meine Herren?“, dabei schaute sie, wohl weil beide recht gut aussahen, verlegen. Ein Schuss Rosa stieg in ihr Gesicht. Zu dem Zeitpunkt wusste sie natürlich nicht, dass es sich um Kriminalpolizisten handelte. Scholtysek und Degoth erwiderten mit einem freundlichen „Guten Tag“, und ergänzten: „dürfen wir den Direktor sprechen?“ Ohne nachzufragen um was es geht, kam ihre Reaktion.

      „Da haben sie heute wirklich Glück, er ist in seinem Büro und die nächste Probe beginnt erst gegen dreizehn Uhr. Wen darf ich bitte melden...?“

      Dazu muss man wissen, dass Direktor Robert Dissieux ständig auf Achse war. Zumal zu diesem Zeitpunkt die Proben auf dem Höhepunkt standen. Alljährlich finden die Festspiele zwischen Juni und Anfang September statt. Und bei den vielen Mitwirkenden musste einfach alles reibungslos klappen. Die letzte Vorstellung wird in vier Wochen sein. Wie alljährlich bei der Abschlussvorstellung üblich, wird wieder das größte Feuerwerk Rügens in den Himmel über dem Jasmunder Bodden steigen.

      „Den Polizeichef der Insel Rügen, Kriminaloberrat Stefan Scholtysek mein Name. Begleitet werde ich von Herrn Michel Degoth“, fügte er an und zeigte dabei mit dem Finger auf ihn. Einen Titel nannte er nicht, da dieser ja offiziell auch keinen führte. Ihn bloß als Hobbykriminologe oder gar als kleinen Sherlock Holmes vorzustellen, war ihm dann doch zu peinlich. Sie stutzte, dachte, was wollen die hier? Führte sie aber schließlich zu dem Zimmer des Direktors. Nach nur wenigen Sekunden öffnete sich die Seitentür. Ein etwas älterer, eher sportlich – elegant gekleideter Mann, betrat das Besucherzimmer. Er schaute freundlich und reichte jedem die Hand.

      „Dissieux mein Name. Mit wem habe ich die Ehre?“, begann der Silberschopf.

      „Scholtysek Kriminaloberrat und Polizeichef der hiesigen Polizei. Herr Degoth“, er zeigt auf ihn, „begleitet mich. Sozusagen mein Kollege.“

      „Nun meine Herren, was führt sie zu mir?, setzen sie sich doch bitte“, meinte er etwas zappelig. Scholtysek holte langatmig aus, wollte auf keinen Fall mit der Tür ins Haus fallen. Noch waren sie hier oben ja auf keiner heißen Spur. Es war reine Routine, nichts auf der Insel sollte ausgelassen werden, zumindest unter seiner Leitung. Nicht wie die vor mehr als fünfzehn Jahren, als alles dem Zufall überlassen wurde. Aber der konnte damals nicht helfen. Die Ermittlungen wurden, wie er aus den Akten wusste, eingestellt. Er war der Auffassung, als er es das erste Mal las, dass es falsch war. Da kam ihm Degoth, der engagierte Hobbykriminologe, die Tage zu pass. Er war auf seiner Linie und zielstrebig von Beginn an. Solch einen Mann, nicht betriebsblind, brauchte er. Schade, sinnierte er, dass der kein richtiger Polizist ist.

      „Nun“, begann er. „Augenblicklich beschäftigen wir uns mit einem besonderen Fall. Noch sind wir nicht auf einer wirklich heißen Spur, aber es gibt Anzeichen.. auch in Richtung dieser Region“, blufft er.

      „Da kann ich ihnen leider nicht folgen, begreife ich nicht meine Herren. Was wollen sie damit sagen? Und vor allem, was geht mich das überhaupt an?“

      „Ganz simpel. Wir vermuten, ... also zunächst mal lediglich eine Vermutung, wie gesagt, dass der hiesige Schauplatz und Personen aus dem Ensemble oder deren Umfeld, eine große Rolle spielen könnten.“

      „Also bitte. Das scheint mir verdammt weit hergeholt“, mokierte sich der Direktor. „Die Aufführung wird doch schließlich von vielen Menschen begleitet. Die sind so eingespannt, was sollen die schon mit ihrem besonderen Fall zu tun haben?“

      Das Dissieux so reagierte machte sie stutzig. War ihnen nicht schon zuvor aufgefallen, dass er einen zappeligen Eindruck machte? Dabei gab es doch zunächst überhaupt keinen Grund für ihn so irritiert zu antworten. Ob er womöglich in einem Dilemma steckte. Nun Gefahr witterte? Aber die Gedanken verwarf Degoth schnell. Es gab ja absolut keinen nachvollziehbaren Sinn. An dessen Stelle antwortete Scholtysek ruhig:

      „Lassen sie uns einfach einen Blick in die Personalliste werfen, das könnte uns schon ein Stückchen weiterhelfen! Und bitte haben sie Verständnis, dass wir derzeit dem ganzen hohe Geheimhaltung beimessen.“ Aber das äußerte er nicht laut. Er wollte zwar, hielt sich aber aus ermittlungstaktischen Gründen doch zurück.

      „Ja, können sie natürlich gerne tun. Was sollte ich dagegen einzuwenden haben? Aber glauben sie mir, in meinem Ensemble gibt es keine Verbrecher, die habe ich handverlesen! Da lege ich die Händen für jeden einzelnen ins Feuer.“

      Er hatte wohl bemerkt, dass er vorhin beinahe übers Ziel hinausschoss.

      „Mag sein und ehrt sie“, mischte sich Degoth ein“, aber sind sie bitte vorsichtig, dass sie sich nicht ihre Finger verbrennen.

      “Dissieux stutze. Sie sahen es ihm an. Dann rief er seine Sekretärin und bat die Personalmappe vorzulegen. Plötzlich wurde er richtig förmlich. Durch die Seitentür trat die Dame, die sie zuvor begleitete. Sie war nicht aufgeregt, aber ihr Rosagesicht zeigte auch jetzt ihre leichte Verlegenheit. Der Direktor übergab die gerade erhaltene Personalliste, aus denen alle Mitwirkenden ersichtlich waren.

      „Nehmen sie sich Zeit, es ist keine Eile angesagt“, schob er, eher etwas unsicher, nach. Obwohl er gerade dies vermeiden wollte. „Geben sie mir die Akten bitte später wieder persönlich zurück. Sie erlauben, dass ich währenddessen meiner Arbeit von hier aus nachgehe! Wenn sie Fragen haben, unterbrechen sie mich.“

      Zeile für Zeile gingen sie die Namenslisten aufmerksam durch. Ab und an schaute der Direktor über den