Der Zarewitsch. Martin Woletz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Woletz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742791696
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den Ehrgeiz, mich immer wieder auf einen freundlicheren Umgangston hinzuweisen.

      „Ich bin jederzeit erreichbar“. Mit diesem Satz legte ich den Hörer auf. Ich hasste es, wenn ich bei aller Gründlichkeit keine raschen Ergebnisse erzielen konnte. Mittlerweile war es Nachmittag geworden und ich war der Lösung des Falles um keinen Schritt näher gekommen. Wieder griff ich zum Hörer.

      „Habt Ihr über den Anrufer etwas Neues?“ Von Dr. Karner erfuhr ich, dass das Gespräch von Wien aus geführt wurde.

      „Geht das Genauer?“

      „Natürlich, Herr Kollege, ich werde gleich alles liegen und stehen lassen und mich nur noch um ihre Probleme kümmern.“ Die Stimme klang nicht mehr ganz so zwitschernd wie noch vorhin.

      „Geschätzte Kollegin“, ich war zwar für Provokationen ziemlich unempfänglich, verstand sie aber sofort und gut, „wir haben einen toten Tschetschenen im Kühlfach liegen und wenn ich nicht bald ein paar handfeste Informationen bekomme, kann es leicht sein, dass noch weitere Menschen sterben. Falls Sie allerdings nur in der Lage sind, rasch und ordentlich zu arbeiten, wenn Ihnen Ihr durchaus attraktiver Bauch nicht gekrault wird, dann sollten wir das rasch klären. Aber erst nachdem Sie mir die Ergebnisse geliefert haben.“

      Ich sah vor meinem geistigen Auge, wie Dr. Karner die Lippen zusammenkniff. Sie wusste, dass sie den Bogen überspannt und dass ich mit dem, was ich sagte, nicht Unrecht hatte.

      „Das ist mir bewusst, Herr Chefinspektor. Aber ein kollegiales ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ ist ja wohl nicht zu viel verlangt. Und nehmen Sie den folgenden Rat unter Kollegen an: Der Umgangston hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun. Und ich arbeite nun mal lieber, wenn ich weiß, dass meine Arbeit geschätzt wird. Sie doch auch?“

      Ich biss nicht auf den Köder an.

      „Fühlen Sie sich geschätzt, aber beeilen Sie sich, wenn es Ihnen möglich ist.“ Wieder hängte ich grußlos ein. Bei einer Mordermittlung zählte jede Minute. Je mehr Zeit zwischen dem Tatortbesuch und dem Start der eigentlichen Ermittlungen verging umso schwerer war es, den oder die Täter zu finden. Das schienen meine Kollegen nicht immer zu verstehen. Zuerst wurde ich von einer grünschnabligen Revierinspektorin beim Verhör von Schweiger gestört, dann hatte ein spießiger Gruppeninspektor nur Vorschriften und seine Männlichkeit im Kopf und jetzt kam auch noch die Gerichtsmedizinerin mit Umgangsformen daher. Auch wenn wir bislang nur beruflich Kontakt gehabt hatten, schätzte ich sie beruflich und persönlich sehr. Wären wir keine Kollegen und müssten uns hauptsächlich über tote Menschen unterhalten, vielleicht wären wir ja doch eines Tages miteinander auf einen Kaffee gegangen.

      Zu meinem Glück fehlte jetzt nur noch, dass…

      In diesem Moment summte mein Telefon und auf dem Display erschien der Name „Kahl“. Das hatte ich gemeint. Major Kahl wollte mich sprechen. Ich konnte mir schon denken, was der Inhalt der Besprechung sein würde. Vorschriften, Vorschriften, mein Benehmen gegenüber Kollegen, das an einem einzigen Vormittag zu zwei Beschwerden geführt hatte und noch mehr Vorschriften. Über den Fall selbst würde wohl die wenigste Zeit gesprochen werden. So war der Major. Durch und durch papiergeil. Ich hob den Hörer ab.

      „Korelev, kommen Sie in mein Büro. Sofort.“ Ich wollte zuerst die Ergebnisse aus dem Labor abwarten und startete einen Verzögerungsversuch.

      „Ich bin mitten in den Ermittlungen, Herr Major. Können wir das verschieben? Ich wollte noch ein paar Informationen einholen.“

      „Genau darum geht es. Um das „Informationen einholen“. Darüber werden wir ausführlich sprechen. Ich erwarte Sie umgehend.“

      Damit war das Gespräch beendet. Ich erhob mich und machte mich auf den Weg in den sechsten Stock. Der Major beliebte über seinen Leuten zu thronen.

      „Herein!“ Der Major hob den Blick und sah mich kurz an, als ich in sein Büro trat.

      „Sie wollten mich sprechen, Herr Major?“

      „Sie haben heute Morgen einen neuen Fall übernommen, Chefinspektor Korelev?“

      „Wir haben einen toten Tschetschenen, seinen schweigenden Bruder und einen als Flüchtling getarnten russischen Schlepper. Dazu noch einen verstockten Hauswirten.“

      „Das ist ja sehr gut. Ist einer dieser Männer unser Mörder?“

      „Möglich.“

      „Haben Sie schon einen Hinweis.“

      „Ja.“

      „Auf Ihre übliche Art und Weise, oder haben Sie sich ausnahmsweise einmal an die Vorschriften gehalten?“

      „Der Russe hat einen Beamten attackiert und ich musste einschreiten.“

      „Ich frage mich nur, wie er in die Au gekommen ist. Der Weg hierher führt meines Wissens mittels einer Brücke direkt über die Donau?“

      „Ich habe noch ein wenig Zeit zum Nachdenken gebraucht. Außerdem wollte ich den verletzten Kollegen zu einem Arzt bringen.“

      „In der Lobau?“

      „Warum nicht?“

      „Korelev, es liegen bereits wenige Stunden nach Ermittlungsbeginn zwei Beschwerden von Ihren Kollegen auf meinem Tisch. Dazu kommt, dass wir den Verdächtigen nicht kriminaltechnisch erfassen können, weil ihn auf einem Foto nicht einmal seine eigene Mutter erkennen würde. Und der Vermieter klagt über Kopf- und Rückenschmerzen. Ich habe Ihnen bereits mehrere Male zu verstehen gegeben, dass ich wünsche, dass Sie sich bei Vernehmungen an die Vorschriften halten. Sie wissen, dass ich keine Rambo-Alleingänge wünsche. Und Sie haben sich wieder einmal über diese Anordnung hinweggesetzt. Sie haben Verdächtige alleine verhört, unnötige Gewalt angewandt und Kollegen diskreditiert. Dazu haben Sie beim Kollegen Berger die notwendige Hilfeleistung unterlassen. Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?“

      „Ich habe eine Spur gefunden, die uns wahrscheinlich zum Mörder führt. Diesem Hinweis möchte ich nachgehen.“

      „Chefinspektor, ich möchte von Ihnen wissen, was Sie zu Ihren Verfehlungen zu sagen haben. Sie wissen, dass ich Sie jederzeit in die Wüste schicken könnte.“ Major Kahl lächelte überlegen.

      „Natürlich können Sie das, Herr Major“, antwortete ich ruhig. Innerlich kämpfte ich mit meiner Antwort. Wenn ich weiter in diesem Fall ermitteln wollte, dann durfte ich keinesfalls die Antwort geben, die mir als erstes in den Kopf geschossen war.

      „Aber wenn es mir wieder gelingen würde, diesen Fall rasch zu lösen, dann würde ich wahrscheinlich erwähnen, dass ich erst durch unser derzeitiges Gespräch auf die richtige Spur gekommen bin. Ihnen ist dann die Beförderung sicher und Sie kämen ins Kommando. Dann hätten Sie, was Sie wollen und wären mich los. Zwei Fliegen mit einer Klatsche, Herr Major.“

      Kahl hatte seinen Kopf über einen Aktenstapel gesenkt, um mir zu demonstrieren, wie gleichgültig ihm meine Meinung war. Als ich den Satz beendet hatte, sah ich, wie sich die Kopfhaut zwischen dem angegrauten Haarkranz rot verfärbte.

      „Glauben Sie ja nicht, dass Sie der Einzige sind, der diesen Fall lösen könnte. Nehmen wir nur Ihren bemerkenswerten Kollegen, Chefinspektor Spitzer.“

      Es war mir klar, warum Kahl ausgerechnet Spitzer ins Gespräch brachte. Kahl wusste genau, dass ich Spitzer nicht ausstehen konnte. Alleine schon aus diesem Grund mochte er ihn.

      „Selbstverständlich könnte Kollege Spitzer diesen Fall bearbeiten.“ Ich machte eine kleine Pause, um die volle Aufmerksamkeit zu erlangen.

      „Aber dann müssten Sie sich von der Beförderung verabschieden.“

      „Das geht zu weit, Chefinspektor! Ich dulde solche Frechheiten nicht. Kollege Spitzer ist ein ausgezeichneter Polizist, der sich Respekt verdient hat.“

      „Ist das alles, Herr Major? Ich hab noch zu tun.“

      „Sie halten sich ab sofort streng an die Vorschrift, haben Sie gehört? Wenn ich noch eine Beschwerde höre, dann